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Haft I: Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten, oder: Androhung von Zwangsmaßnahmen erlaubt?

entnommen wikimedia.org

Heute – am Valentinstag 🙂 – gibt es hier drei Haftentscheidungen bzw. Entscheidungen, die mit Haftfragen zu tun haben. Passt doch :-).

Ich beginne mit einem Beschluss des KG, und zwar mit dem KG, Beschl. v. 04.09.2023 – 2 Ws 93/23. Die Entscheidung hat insofern mit Haft zu tun als es um die Frage der Zulässigkeit von Androhung von Zwangsmaßnahmen in einer Ladung eines im Ausland lebenden Angeklagten geht.

Ergangen ist die Entscheidung des KG nach dem sog. zweiten Rechtsgang. Der Angeklagte ist 2020 vom AG wegen schweren Bandendienbstahls verurteilt worden. Dagegen die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, die das LG teilweise verworfen hat. Das KG hebt dann auf Revision der Staatsanwaltschaft auf und verweist zurück.

Nach vorangegangenen Versuchen, das Berufungsverfahren weiterzuführen, hat das LG dann am 23.01.2023 einen Hauptverhandlungstermin für den 25.04.2023 angesetzt. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte entsprechend der Verfügung der Vorsitzenden durch internationales Einschreiben mit Rückbrief sowie öffentlich geladen, wobei die Ladung in spanischer Sprache erfolgt ist und folgenden, ebenfalls übersetzten, Zusatz enthielt: „Soweit einer Verwerfung ihrer Berufung entgegensteht, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde, gilt folgendes: wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann unabhängig von der Anwesenheit einer Verteidigerin/eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht Ihre Vorführung oder Ihre Verhaftung angeordnet werden. Die Vollstreckung sämtlicher mit dieser Ladung angedrohten Zwangsmaßnahmen erfolgt ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.“

Ausweislich des Rückscheins ist dem Angeklagten diese Ladung am 20.01.2023 in Spanien zugestellt worden. Die in deutscher und spanischer Sprache verfasste Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung war darüber hinaus in der Zeit vom 10. bis zum 28.02.2023 an der Gerichtstafel des LG ausgehängt. Zu der Berufungshauptverhandlung am 25.04.2023 ist der Angeklagte ohne Entschuldigung nicht erschienen. Auf eine Vertretungsvollmacht hat sich der anwesende Verteidiger nicht berufen. Daraufhin hat die Kammer nach Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung einen Haftbefehl gemäß § 329 Abs. 3 StPO erlassen und die Verhaftung des Angeklagten angeordnet. Die Hauptverhandlung wurde anschließend ausgesetzt.

Am 07.06.2023 hat die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des Haftbefehls vom 25.04.2023 die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls beantragt, welcher erlassen und der Staatsanwaltschaft vom LG am 09.06.2023 übersandt worden ist. Mit Verfügung vom 22.06.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls die Einleitung der internationalen Fahndung veranlasst. Am 14.07.2023 wurde der Angeklagte durch die spanischen Behörden festgenommen und nach zwei Tagen mit der Maßgabe wieder freigelassen, sich am 29.08.2023 seiner Auslieferung zu stellen. Tatsächlich erfolgte die Auslieferung, der sich der Angeklagte entsprechend der vorherigen Ankündigung freiwillig gestellt hat, jedoch erst am 31.08.2023. Er wurde per Flugzeug nach München überführt und dort um 14.40 Uhr festgenommen. Anschließend wurde er noch am selben Tag nach Berlin überführt, wo ihm am 01.09.2023 der Haftbefehl verkündet worden ist.

Gegen den Haftbefehl vom 25. 04.2023 wendet sich der Angeklagte mit der Beschwerde seines Verteidigers. Das KG hat die Beschwerde als unbegründet worden:

„1. Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden, zu dieser ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Da im Hinblick auf die im Raum stehende Bewährungsentscheidung die Anwesenheit des Angeklagten und der persönliche Eindruck vom Angeklagten unerlässlich war, war die Anordnung der Verhaftung des Angeklagten auch geboten und mithin verhältnismäßig (§ 329 Abs. 3 StPO).

2. Auf diese Folge war der Angeklagte mit der Ladung auch ausdrücklich hingewiesen worden – so wie es § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorschreibt. Lebt der Angeklagte dauerhaft im Ausland, wird diese Warnung in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, für zulässig (und erforderlich) angesehen, wenn sie den für den Zustellungsempfänger eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 29. Februar 2008 – I Ws 60/08 –, juris; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG, Beschluss vom 10. November 2010 – 3 Ws 459/10 –, juris mwN – auch hinsichtlich der gegenteiligen Auffassungen). Denn bereits die Androhung von Zwangsmaßnahmen auf dem Territorium eines fremden Staates ist geeignet, dessen Souveränität zu berühren (vgl. KG aaO).

Ebenfalls zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass der Erlass eines Europäischen Haftbefehls die Souveränität des ausländischen Staates nicht berührt, da der ersuchte Staat im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung und der dort geltenden Befugnisse eigenständig über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und die Auslieferung der gesuchten Person entscheidet. Erst mit der Überstellung nach Deutschland wird der deutsche Haftbefehl – entsprechend der Warnung – vollstreckt.

Anders als das Landgericht Kleve in seiner von der Verteidigung herangezogenen Entscheidung (vgl. LG Kleve, Beschluss vom 24. August 2018 – 120 Qs 45/18 –, juris)  meint, ist es auch nicht widersprüchlich und stellt schon gar keine Täuschung des Angeklagten dar, wenn die Justizbehörden eine Warnung aussprechen, wonach Zwangsmaßnahmen gegen den säumigen Angeklagten nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ergriffen werden, dann aber diese Zwangsmaßnahmen mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls ermöglichen. Die Warnung vor Zwangsmaßnahmen soll dem Angeklagten die Chance eröffnen, sich dem Verfahren freiwillig zu stellen, um Zwangsmaßnahmen gegen sich zu vermeiden. Sie soll ihm keinen Weg aufzeigen, sich dem Verfahren zu entziehen. Die Einschränkung, dass eventuelle Zwangsmaßnahmen nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden, dient in diesem Zusammenhang – was das Landgericht Kleve verkennt – keineswegs dazu, den Angeklagten wider besseren Wissens in Sicherheit zu wiegen, sondern alleine dazu, die Souveränität des Aufenthaltsstaates zu respektieren.“