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Bussgeldbescheid I: Nachkarten ist nicht, oder: Es muss alles sofort auf den Tisch

© Orlando Florin Rosu - Fotolia.com

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Zum Ende der Woche dann zwei – erfreuliche – Entscheidungen aus dem Rechts des Bußgeldbescheides. Erfreutlich deshalb, weil in beiden Entscheidungen die Bußgelverfahren eingestellt worden sind, weil die Bußgeldbehörden Fehler beim Erlass der Bußgeldbescheide gemacht haben. Zunächst der AG Essen, Beschl. v. 30.06.2016 – 38 OWi-90 Js 2760/15-953/15, den mir der Kollege Sticher aus Essen übersandt hat.

Es geht um folgenden Sachverhalt:  Der Betroffene wurde am 11.06.2015 um 11:00 Uhr während der Fahrt mit einem LkW kontrolliert. Wegen von den Polizeibeamten festgestellter Verstöße wurden in der Folgezeit mehrere Bußgeldbescheide erlassen und zwar einer am 24.06.2015 wegen nicht verkehrssicheren Verstauens von Ladung, einer am 14.10.2015 wegen Verstoßes gegen § 55 Abs. 1 GewO – Handel mit Schrott ohne Reisegewerbekarte – und einer am 22.10.2015 wegen Sammelns von Altmetallen ohne Berechtigung. Der Bußgeldbescheid vom 24.06.2015 wird rechtskräftig. Das AG hat im Beschl. v. 30.06.2016 nun das Verfahren gemäß § 206 a StPO i. V. m. §§ 46, 84 Abs. 1 OWiG eingestellt, weil eine Doppelverfolgung vorliegt.

„Der Bußgeldbescheid zu Ziff. 1) ist rechtskräftig. Damit besteht ein Verfolgungshindernis gemäß § 84 Abs. 1, da dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. In den beiden anderen Bußgeldbescheiden vom 14. und 22.10.2015 hat die Stadt Essen dieselbe Ordnungswidrigkeit noch einmal verfolgt. Dieselbe Tat ist im verfahrensrechtlichen Sinne zu verstehen, es liegt nur ein einziger historischer Vorgang vor, der nicht Gegenstand mehrerer verschiedener Verfahren sein kann. Sämtliche Bußgeldbescheide enthalten denselben Tatort und dieselbe Tatzeit. Es liegt eine natürliche Handlungseinheit vor.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Verwaltungsbehörde, die den ersten Bußgeldbescheid erlassen hat, für die Ahndung der im Bußgeldbescheid nicht berücksichtigten weiteren Ordnungswidrigkeiten sachlich gar nicht zuständig gewesen wäre. Macht eine Verwaltungsbehörde eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand ihrer bußgeldrechtlichen Untersuchung, so trifft auch sie eine umfassende Kognitionspflicht wie sie der Strafrichter im Strafverfahren zu beachten hat. Der geschichtliche Vorgang ist deshalb erschöpfend im Hinblick auf verwirklichte Bußgeldtatbestände zu untersuchen. Im Falle eines Bußgeldbescheides über die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne entsteht bei Rechtskraft eine Sperrwirkung hinsichtlich der Verfolgung aller Bußgeldtatbestände, die in der Tat im verfahrensrechtlichen Sinne liegen, unabhängig davon, ob sie seinerzeit erkannt oder übersehen wurden.“

Also: Nachkarten ist nicht, oder: Es muss alles sofort auf den Tisch.

Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig… Die eigene Beweiswürdigung der StA

Gleiches Recht für alle, habe ich gedacht, als ich im BGH, Beschl. v. 21.09.2011 – 1 StR 95/11 – gelesen habe, wie der BGH mit Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft umgegangen ist.. Revision war von der Staatsanwaltschaft eingelegt worden. Die hatte u.a. die Beweiswürdigung des Landgerichts angegriffen. Dazu schreibt der BGH dann das, was man häufig(er) zu Angeklagten Revisionen liest, und was ein häufiger Fehler im Revisionsrecht ist:

„………….aa) Das Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft erschöpft sich in dem unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen…..“

Der BGH hat das landgerichtliche Urteil dann aber dennoch aufgehoben, und zwar wegen Verletzung der sog. Kognitionspflicht des Tatgerichts. Dieses hatte seine Feststellungen nicht erschöpfend rechtlich gewürdigt.