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BtM II: Urteilsgründe bei Handel mit „Kleinstmenge“, oder: Feststellungen zum Wirkstoffgehalt

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Und dann nach dem Aufreger des Tages, dem BGH, Beschl. v. 23.04.2024 – 5 StR 153/24 – dazu: BtM I: 5. Ss des BGH pampt zur „nicht geringen Menge“, oder: Gesetzesbegründung „verhallt“ beim BGH) geht es mit der nächsten BtM-Entscheidung, dem der OLG Celle, Beschl. v. 04.04.2024 – 2 ORs 17/24 – ruhiger weiter.

Das AG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Nach den den Feststellungen  verkaufte der Angeklagte für insgesamt 220 € gewinnbringend 0,4g Kokain an den gesondert Verfolgten B. und weitere 3,16g Kokain an den gesondert Verfolgten G. Zur Beweiswürdigung hat das AG ausgeführt, Grundlage der getroffenen Feststellungen seien das glaubhafte Geständnis des Angeklagten sowie das in der Hauptverhandlung verlesene Sicherstellungsprotokoll. Zudem habe ein ESA-Schnelltest des sichergestellten Rauschgifts ein positives Ergebnis bzgl. Kokain ergeben, wobei sich eine schlagartig intensive blaue Verfärbung gezeigt habe.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1. Die knappen Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, denn ihnen ist die vorsätzliche Begehungsweise ebenso wie die erforderliche Eigennützigkeit des Betäubungsmittelgeschäftes noch ausreichend zu entnehmen. Für die Annahme von Eigennutz reicht es aus, wenn – wie hier – nach Art und Umfang der auf Umsatz gerichteten Tätigkeit andere als eigennützige Motive ausscheiden (Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG § 29 Rn. 350).

2. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Revisionsgericht prüft allein, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist lediglich dann der Fall, wenn die Beweis-würdigung widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1984, 180; NStZ-RR 2004, 238).

Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes erweist sich die Beweis-würdigung des angefochtenen Urteils als frei von Rechtsfehlern.

Legt der Tatrichter das Geständnis des Angeklagten seinen Feststellungen zugrunde, weil er es für glaubhaft erachtet, so ist er nicht stets verpflichtet, es in den Urteilsgründen in allen seinen Einzelheiten zu dokumentieren; es kann vielmehr bei einfach gelagerten Sachverhalten genügen, auf die Feststellungen Bezug zu nehmen und nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen er das Geständnis für glaubhaft erachtet (Senat, Beschluss vom 8. März 2024, 2 ORs 23/24; OLG Celle, Beschluss vom 14.12.2017, 3 Ss 48/17).

So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hat die Glaubhaftigkeit des Geständnisses ersichtlich durch die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der von dem Angeklagten verkauften Kokainmengen und deren Untersuchung durch einen durchgeführten ESA-Schnelltest überprüft. Zwar darf die Feststellung, dass es sich bei sichergestellten Substanzen um Betäubungsmittel handelt, nicht allein auf das Ergebnis eines ESA-Schnelltests gestützt werden, da es sich nicht um ein in der Praxis als zuverlässig anerkanntes Standardtestverfahren handelt (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – 1 ORs 144/23 –, juris; Senat, Beschluss vom 25. Juni 2014 – 32 Ss 94/14 –, juris). Vorliegend hat das Amtsgericht die Er-kenntnisse aus dem ESA-Schnelltest indes lediglich zur Überprüfung der geständigen Angaben des Angeklagten, der den Verkauf von Kokain an die Zeugen B. und G. eingeräumt hatte, her-angezogen. Dies ist nicht zu beanstanden.

2. Entgegen der Rechtsauffassung der Revision waren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Kokains vorliegend entbehrlich.

Zwar ist es zutreffend, dass auf die hier fehlenden konkreten Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nur ausnahmsweise verzichtet werden kann. Bei Kleinstmengen von Betäubungsmitteln kommt dem Wirkstoffgehalt indes nach der Rechtsprechung des BGH keine bestimmende Be-deutung (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) für die Strafbemessung zu; Feststellungen zum Wirkstoff-gehalt des verfahrensgegenständlichen Rauschgifts sind vielmehr entbehrlich, wenn es nach den Gesamtumständen ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflusst hätte (BGH, Beschl. v. 31.5.2022 – 6 StR 117/22, NStZ-RR 2022, 250)

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, wonach eine „Kleinstmenge“ im Sinne der o.g. Rechtsprechung nur bei bis zu 3 Konsumeinheiten anzunehmen ist (vgl. Beschluss vom 25.09.2017 – 2 Ss 104/17) nicht mehr fest. Diese dürfte unter Berücksichtigung der o.g. BGH-Rechtsprechung überholt sein. Denn dieser Entscheidung lag u.a. ein festgestellter Besitz von 9g Cannabis zugrunde und damit eine Gewichtsmenge, die den Grenzwert der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG überschreitet (vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Auflage 2021, § 29, Rn. 2125ff.). Der BGH betont, dass „Kleinstmengen“ bereits gegeben sind, wenn das Erreichen des Grenzwerts der nicht geringen Menge rechnerisch von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a.a.O.).

So liegt der Fall hier. Denn nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils verkaufte der Angeklagte eine Menge von insgesamt 3,56g Kokain, wobei selbst bei Zugrundelegung „guter Qualität“ im Straßenverkauf von 40 % (vgl. hierzu: Weber/Kornprobst/Maier, a.a.O., vor §§ 29ff., Rn. 1019f.) eine Menge von 1,424g Cocainhydrochlorid und damit weniger als 1/3 des Grenz-wertes der nicht geringen Menge (5,0g Cocainhydrochlorid) gegeben wäre.

Im Übrigen hat zuletzt auch das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 3. März 2023 – (3) 161 Ss 212/22 (73/22) –, juris) in einem Fall, bei dem der Angeklagte nach den Feststellungen eine Tablette Subutex für 10,- € verkauft und im Übrigen 12 weitere Subutex-Tabletten bei sich ge-führt hatte, um auch diese gewinnbringend an weitere Abnehmer zu veräußern, eine „Kleinst-menge“ im o.g. Sinne angenommen, obwohl der Grenzwert der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG überschritten war. Denn selbst bei Annahme der höchsten am Arzneimarkt erhältlichen Dosis von 8 mg Buprenorphin pro Subutex-Tablette ergab sich eine Gesamtmenge von 104 mg Buprenorphin und damit nur ca. ¼ der nicht geringen Menge (416,67mg Buprenorphin).

Auch das Saarländische Oberlandesgericht hat jüngst bei einer Betäubungsmittelmenge von 10,9 Gramm Marihuana ausgeschlossen, dass die Strafkammer gegen den Angeklagten bei einer Feststellung des Wirkstoffgehaltes nach § 29 Abs. 5 BtMG von Strafe abgesehen oder ein anderes Strafmaß verhängt hätte (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. November 2023 – 1 Ss 23/23 –, juris).

Nach alledem waren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt im vorliegenden Fall entbehrlich, so dass sich auch die Strafzumessung des angefochtenen Urteils als rechtsfehlerfrei erweist.“

„…. für 0,3 g Amphetamingemisch …. 2 Monate ohne“? Nein, nicht schuldangemessen…

entnommen wikimedia.org By Dundak - Own work

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Zum Wochenauftakt eine in meinen Augen positive Entscheidung, die hinsichtlich der Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes einer „Kleinmenge“ Betäubungsmittel Augenmaß beweist. AG und LG haben festgestellt, dass der Angeklagte „0,3 Gramm Amphetamingemisch mit einem Wirkstoffgehalt zwischen zehn und zwanzig Prozent wissentlich und willentlich bei sich führte.“ Dafür „fängt“ er sich wegen unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei der Bemessung der Strafe hat das LG zugunsten des Angeklagten dessen Geständnis im Berufungsverfahren sowie die geringe Betäubungsmittelmenge gewertet. Zu seinen Ungunsten hat es berücksichtigt, dass der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und zur Tatzeit unter Bewährung stand. Ferner hat es berücksichtigt, dass der Angeklagte einen Bekannten veranlasst hat, vor Amtsgericht falsch auszusagen, um ihn selbst zu entlasten.

Dem OLG Stuttgart gefällt das gar nicht und es hat im OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.01.2016 – 1 Ss 776/15 – aufgehoben und zurückverwiesen: Begründung:

„Die Strafe von zwei Monaten Freiheitsstrafe ist nicht mehr schuldangemessen. Sie wird den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr gerecht, weil sie zur Tat außer Verhältnis steht und den Rahmen des Schuldangemessenen überschreitet. Damit ist auch das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot verletzt…….

Ausgehend von diesen Maßstäben gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Landgericht die der Schuldbewertung durch den Umfang des Tatunrechts gesetzten Grenzen aus dem Blick verloren und demgegenüber den Gesichtspunkt des Handlungsunwerts – hier die täterbezogenen Umstände der Vorstrafen und des Bewährungsversagens – überbewertet hat. Die Tat ist der Bagatellkriminalität zuzuordnen und dort im untersten Bereich anzusiedeln. Bei dem beim Angeklagten vorgefundenen Amphetamingemisch handelt es sich um eine äußerst kleine Menge, die unter den Begriff der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG fällt.

Danach ist eine Menge als gering anzusehen, wenn sie zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (Weber, BtMG, 4. Auflage, § 29 Rdnr. 2068 m.w.N.). Bei Amphetamin liegt die Obergrenze einer geringen Menge bei 150 mg (0,15 g) Amphetamin-Base (Weber a.a.O. Rdnr. 2077). Eine Konsum-einheit entspricht daher 50 mg (0,05 g) Base.

Nach den vorliegenden Feststellungen führte der Angeklagte deutlich weniger als eine Konsumeinheit bei sich. Bei einem zugunsten des Angeklagten angenommenen Wirkstoffgehalt von zehn Prozent errechnet sich aus der nach den Urteilsfeststellungen aufgefundenen Menge von 0,3 Gramm Amphetamingemisch ein Wirkstoffgehalt von 0,03 Gramm. Dies entspricht lediglich einem Fünftel der Obergrenze der geringen Menge.

Die Verhängung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne für Tatschuld und Tatunrecht ist bei dem Besitz einer derartigen Kleinstmenge – ohne Rücksicht auf die strafrechtliche Vergangenheit eines Angeklagten oder dessen Nachtatverhalten – unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar. Die Sachverhaltsfeststellungen enthalten auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fremdgefährdung, etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte. Der neue Tatrichter wird daher prüfen, ob angesichts dieser Kleinstmenge noch besondere Umstände i.S.d. § 47 Abs. 1 StGB angenommen werden können, die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur zur Verhängung der Mindestfreiheitsstrafe führen könnten, oder ob dem Übermaßverbot durch Verhängung einer geringen Geldstrafe zu entsprechen ist, soweit nicht ohnehin ein Absehen von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG in Betracht kommt.“