Und dann habe ich hier noch einmal den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 -1 ORs 7/23 -, über den ich bereits einmal berichtet habe, und zwar hier: StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?
Ich komme heute auf die Entscheidung zurück, und zwar wegen eines zweiten Tatvorwurfs, der dem Angeklagten gemacht worden ist. Dem liegt/lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:
„Am 14. Dezember 2021 begab sich der Angeklagte zu einer familiengerichtlichen Anhörung betreffend seinen Sohn zum Amtsgericht Cuxhaven. Aufgrund der dort geltenden 3-G-Regelung – welche er nicht erfüllte – wurde ihm jedoch der Zugang verwehrt. Auf den Vorschlag des Wachtmeisters S., noch einen Test zu absolvieren, ging er nicht ein, sondern echauffierte sich und rief u.a. „Schweine! Kackdemokratie!“ Dann machte er in Richtung der Sicherheitsscheibe und der dort anwesenden Wachtmeister den Hitlergruß und rief laut „Heil Hitler!“, bevor er das Gebäude verließ.“
Das AG hat den Angeklagten deswegen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt (§ 86a StGB). Das OLG hat auch insowiet aufgehoben:
2. Auch im Hinblick auf das Tatgeschehen am 14. Dezember 2021 lassen die dazu getroffenen Feststellungen eine Subsumtion unter die Strafvorschrift des § 86a Abs. 1 StGB nicht zu.
a) Zunächst hätte sich das Landgericht vorliegend mit dem Kontext, in dem der Angeklagte die festgestellten Handlungen vollzogen hat, auseinandersetzen müssen. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Kennzeichenverwendung, die dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, aus dem Tatbestand ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15, NJW 2015, 3590, 3592 mwN); dies ist etwa der Fall, wenn sie als Protest gegen überzogene polizeiliche Maßnahmen und deren Charakterisierung als nazistische Methoden aufzufassen und damit als Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu verstehen ist (BGH, Urt. v. 18. Oktober 1972 – 3 StR 1/71, NJW 1971, 106, 107; ähnlich OLG Oldenburg, Beschl. v. 28. November 1985 – Ss 575/85, NStZ 1986, 166; OLG Koblenz, Beschl. v. 28. Januar 2008 – 1 Ss 331/07, juris Rn. 11). Dies muss der Täter jedoch in offenkundiger und eindeutiger Weise zum Ausdruck bringen (BGH, Urt. v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, NJW 2007, 1602 f.; vgl. auch BeckOK/Ellbogen, StGB, 58. Ed., § 86a Rn. 35), was nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (MK/Anstötz, StGB, 4. Aufl., § 86a Rn. 20).
Unter dem danach maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt, ob die Kennzeichenverwendung durch den Angeklagten dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, hat die Strafkammer die einzelnen Umstände der Tat nicht untersucht. Dabei lag es nach dem Kontext, in dem der Angeklagte sich wie festgestellt verhielt – er konnte aufgrund der bestehenden 3-G-Regel nicht an einem ihn betreffenden familiengerichtlichen Termin teilnehmen – sowie seiner allgemeinen politischen Einstellung – er war Kritiker der Coronamaßnahmen und nahm an entsprechenden Kundgebungen teil („Sonntagsspaziergang“) – durchaus nahe, dass er dadurch seinen Protest gegen die Wachtmeister des Amtsgerichts bzw. die Verantwortlichen für die geltenden Coronaregeln zum Ausdruck bringen und diese als nazistische Methoden brandmarken wollte.
Ob dies ggf. auch für objektive Beobachter eindeutig erkennbar war, kann nur aus den näheren Begleitumständen gefolgert werden. Feststellungen hierzu und zu einer für die Bewertung ebenfalls bedeutsamen möglichen Reaktion von Beobachtern fehlen aber bislang.
b) Auch zur Frage der „öffentlichen“ Kennzeichenverwendung fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die öffentliche Verwendung setzt voraus, dass das Kennzeichen für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis von jedenfalls drei Personen wahrgenommen werden kann; auf die tatsächliche Wahrnehmung kommt es dabei nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 19. August 2014 – 3 StR 88/14, NStZ 2015, 81, 83 mwN; Senat, Urt. v. 10. Mai 1994 – 1 Ss 71/94, NStZ 1994, 440). Keine Öffentlichkeit soll danach etwa beim Gebrauch gegenüber einem einzelnen oder wenigen Polizeibeamten bestehen; mitunter wird sogar ein nicht überschaubarer Personenkreis für erforderlich gehalten (vgl. BGH Beschl. v. 10. August 2010 – 3 StR 286/10, BeckRS 2010, 21238).
Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil nicht, um von einer Öffentlichkeit im oben genannten Sinn ausgehen zu können. Den Feststellungen lässt sich lediglich entnehmen, dass sich die fragliche Szene im Eingangsbereich des Amtsgerichts Cuxhaven abgespielt hat und dass mehr als ein Wachtmeister anwesend war. Um wie viele es sich dabei genau handelte und ob ggf. noch weitere Personen anwesend waren, wird nicht mitgeteilt.“