In der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 20.01.2022 – 2 RVs 60/21 – geht um unerlaubtes Handeltreiben in nicht geringer Menge. Das AG hatte den Angeklagten deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen die (Sprung)Revision, die beim OLG Hamm erfolgreich war:
„Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Antragsschrift vom 21.12.2021 folgendes ausgeführt:
„1. Das Amtsgericht hat – soweit hier relevant – folgende Feststelllungen getroffen: Der Angeklagte bewahrte spätestens ab dem 13.05.2019 in seinem Zimmer in der Wohnung pp. in pp. 300 Gramm Marihuana, 10 Ecstasy-Tabletten, 0,5 Gramm netto Haschisch sowie weitere 9,1 Gramm netto Marihuana auf. Von den zum Preis von 3.000 Euro auf Kommission erworbenen 300 Gramm Marihuana waren 250 Gramm zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch den Angeklagten vorgesehen, um aus den Erlösen dessen Eigenkonsum zu finanzieren. Die weiteren aufbewahrten Betäubungsmittel – „mit Ausnahme der Ecstasy-Tabletten“ – waren zum Eigenkonsum des Angeklagten bestimmt.
Zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel hat das Amtsgericht festgestellt, dass die 300 Gramm Marihuana „mindestens einen Wirkstoffanteil im Bereich oberhalb der nicht geringen Menge besaßen, bei 5% Wirkstoff 15 Gramm THC und bei 10% 30 Gramm THC“.
2. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht. Verfügt ein Angeklagter – wie vorliegend ¬über verschiedene Einzelmengen von Betäubungsmitteln, die teilweise dem Eigenverbrauch und teilweise dem gewinnbringenden Weiterverkauf zu dienen bestimmt sind, kommt eine Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nur dann in Betracht, wenn die Handelsmenge den Grenzwert der nicht geringen Menge übersteigt (zu vgl. Patzak in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Auflage, § 29a Rdnr. 159 ff.). Wird der Grenzwert der nicht geringen Menge erst durch die Gesamtmenge aus Handelsmenge und Eigenverbrauchsmenge erreicht, die ihrerseits jeweils unter dem Grenzwert liegen, liegt nur Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben gem. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG vor. Dass die vom Angeklagten allein für den Weiterverkauf vorgesehene Menge von 250 Gramm Marihuana – weitere 50 Gramm Marihuana sowie die Kleinmenge Haschisch dienten zum Eigenverbrauch, der Verwendungszweck der Ecstasy-Tabletten wurde nicht festgestellt – jedoch eine für die Annahme einer nicht geringen Menge bei Cannabisprodukten erforderliche Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC enthielt, hat das Amtsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Zwar durfte das Amtsgericht den Wirkstoffgehalt des nach den weiteren Feststellungen später an den Verkäufer zurückgegebenen und daher für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung stehenden Betäubungsmittels grundsätzlich durch Schätzung bestimmen und war dazu auch zur Bestimmung des Schuldgehalts der Tat rechtlich gehalten. Das Amtsgericht hat jedoch nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dargelegt, auf welcher tatsächlichen Grundlage seine Schätzung beruht. Insbesondere hat es keine weitergehenden Feststellungen zur Qualität des Betäubungsmittels – ggf. unter Berücksichtigung von Kaufpreis, Herkunft oder Beurteilung durch Tatbeteiligte – getroffen oder seine Annahme, das Marihuana habe einen Wirkstoffanteil „im Bereich oberhalb der nicht geringen Menge“ besessen, sonst tragfähig begründet.
Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Schuldspruch nicht auf diesem Rechtsfehler beruht. Insbesondere kann nicht aufgrund der bloßen Menge des Betäubungsmittels sicher davon ausgegangen werden, dass die Grenze zur nicht geringen Menge betreffend die Handelsmenge in jedem Fall überschritten war. Dies wäre – bezogen auf die Handelsmenge von 250 Gramm – zwar noch bei einem Wirkstoffgehalt von 3 Prozent, nicht mehr aber bei einem niedrigeren Wirkstoffgehalt der Fall gewesen. Da der mittlere THC-Gehalt von Marihuana im Jahr 2019 2,6 Prozent betrug (zu vgl. BT-Drs. 19/32520, S. 3) und auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine durchschnittliche Qualität bei Marihuana bereits ab einem Wirkstoffgehalt von 2 Prozent angenommen werden kann (Patzak, aaO, Vor §§ 29ff. Rdnr. 339 ff.), bedarf die Sache insoweit weiterer Aufklärung.“
Dieser Rechtsfehler dürfte gemäß § 357 StPO zur Erstreckung der Aufhebung auch auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten pp1. führen, der vom Amtsgericht wegen „gemeinschaftlicher unerlaubter Abgabe“ derjenigen Betäubungsmittelmenge verurteilt worden ist, deren Bewertung als nicht geringe Menge nach dem Vorgesagten nicht frei von Rechtsfehlern ist.“
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. …“