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Haft II: Drei Monate zwischen Eröffnungsreife und HV, oder: Mehr ist nicht nur „vorübergehende Überlastung“

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Im zweiten Posting etwas zum Beschleunigungsgrundsatz. Ergangen ist der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 19.07.2023 – 1 Ws 225- 229/23 – in einem BtM-Verfahren, das sich gegen fünf Angeklagte richtet. Die haben sich seit dem 17. bzw. 19.11.2022 in Untersuchungshaft befunden..

Die StA hat am 14.04. 2023 Anklage zum LG Frankfurt am Main erhoben. Der Vorsitzende der zutsändigen Strafkammer zeigte dem Präsidium des LG Ende Mai 2023 die Überlastung der Kammer an und ersuchte das Präsidium, die Überlastung der Strafkammer festzustellen und das Verfahren auf eine andere Strafkammer zu übertragen. Das Präsidium des LG hat am 31.05. wurde die Überlastungsanzeige erörtert. Eine Überlastung wurde nicht festgestellt.

Die Strafkammer hat dann mit Beschlüssen vom 30. 06.2023 die Haftbefehle gegen die Angeklagten außer Vollzug. Zur Begründung führte sie aus, dass die Durchführung der Hauptverhandlung vor Januar 2024 nicht in Betracht komme und vor diesem Hintergrund der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Außervollzugsetzung gebiete. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die hatte keinen Erfolg. Das OLG hat die aufgehoben:

„Auf die Beschwerden der Staatsanwaltschaft, die gemäß § 301 StPO auch zugunsten der Angeschuldigten wirken, sind die Haftbefehle aufzuheben.

Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle ist vorliegend nicht gerechtfertigt, weil das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz MRK folgende Beschleunigungsgebot verletzt ist. Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. nur BVerfG, BeckRS 2007, 33088). Liegt ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor, kann die Untersuchungshaft zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung nicht mehr als notwendig anerkannt werden. Selbst wenn noch keine vermeidbare Verzögerung vorliegt, aber bereits hinreichend deutlich absehbar ist, dass das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben werden kann, ist von der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft abzusehen (BVerfG, BeckRS 2007, 33088; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2012, 62). Eine erst bevorstehende, aber zum Entscheidungszeitpunkt schon deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht einer bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung gleich (BVerfG, Beck RS 2021, 1240 Rn. 39).

So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hat in den angefochtenen Entscheidungen festgehalten, dass angesichts der Belastungssituation der Kammer die Hauptverhandlung nicht vor Januar 2024 beginnen könne. Zwischen Eröffnungsreife und Hauptverhandlung lägen mithin nicht drei Monate, wie dies üblicherweise der Fall sein soll, sondern rund sechs Monate. Damit verzögert sich das Verfahren absehbar um mindestens drei Monate, weshalb schon nicht von einer nur vorübergehenden Überlastung auszugehen ist. Die Verzögerung ist schließlich auch der Justiz anzulasten, was die Aufhebung und nicht die Außervollzugsetzung der Haftbefehle gebietet. Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, die Kammer wähne sich trotz der anderslautenden Entscheidung des Präsidiums und auch zu Unrecht überlastet und könne bei gebotener Reduzierung der Sitzungstage in dem Verfahren … eine Terminierung im September 2023 ermöglichen, bedarf es keiner Entscheidung des Senats. Der Senat hat keine Möglichkeit, auf die Terminierung der Kammer Einfluss zu nehmen, geschweige denn, eine bestimmte Terminierung zu erzwingen. Umgekehrt, soweit die Kammer der Auffassung ist, das Präsidium habe eine Überlastung zu Unrecht nicht festgestellt, vermag der Senat auch keinen Einfluss auf die Gerichtsorganisation des Landgerichts zu nehmen. Es verbleibt dabei, dass ein Beginn der Hauptverhandlung vor Januar 2024 mit dem Beschleunigungsgebot nicht in Einklang zu bringen ist. Justizinterne Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium des Gerichts und der Kammer bzgl. deren Belastungssituation dürfen nicht zu Lasten der Angeschuldigten gehen. Die Angeschuldigten haben die absehbare Verzögerung keinesfalls zu vertreten.“