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U-Haft II: Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Maßgeblich ist das konkrete Erscheinungsbild der Tat

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Und im zweiten Posting geht es dann auch um den Haftgrund. Das LG Wiesbaden hat im LG Wiesbaden, Beschl. v. 15.05.2024 – 1 Qs 37/24 – den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, von dem das AG ausgegangen war verneint. Dem Beschuldigten wird in dem Verfahren gewerbsmäßiger Bandendiebstahl in 17 Fällen vorgeworfen. Das reichte dem LG nicht für den Haftgrund nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO:

„Auch die Voraussetzungen des Haftgrunds der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO liegen nicht vor.

Die Wiederholungsgefahr i.S. dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat im Sinne des §§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO begangen zu haben. Bereits diese Voraussetzung ist nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.

Allerdings stellt der Vorwurf des gewerbsmäßigen Bandendiebstahls unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds gemäß dem §§ 243 Abt 1 S. 2 Nr. 3, 244a Abs. 1 StGB in jedem einzelnen der Fälle eine Anlasstat nach dem Katalog des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO dar, die grundsätzlich geeignet ist, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu begründen. Bereits gemäß der angedrohten Freiheitsstrafe des § 244a Abs. 1 StGB ist hierbei auch von einer Straferwartung für jedenfalls einem Teil der verwirklichten Straftaten von über einem Jahr auszugehen (ausreichend: vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 — 3 Ws 161/10), wobei dahingestellt bleiben kann, ob nicht ohnehin auf die zu erwartende Gesamtfreiheitsstrafe maßgeblich abzustellen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 —3 Ws 161/10).

Allerdings beeinträchtigt der gegebene dringende Tatverdacht die Rechtsordnung nicht schwerwiegend, so dass auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ausgeschlossen ist.

Im Hinblick auf das Grundrecht der Freiheit der Person ist ein strenger Maßstab an das Bestehen des Haftgrunds anzulegen und auch bei der Prüfung, ob weitere schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind, sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 35,185). Da jede Straftat die Rechtsordnung beeinträchtigt und die in § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO genannten Katalogtaten bereits abstrakt-generell schwerwiegender Natur sind, kann die Auslegung des Merkmals der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung nur dahingehend erfolgen, dass einschränkend erforderlich ist, dass die jeweilige Anlasstat auch im Einzelfall schwer wiegt (KHK zur StPO, 9. Aufl. 2023, zu § 112a Rn. 14a). Diese muss daher in ihrer konkreten Gestalt, insbesondere nach Art und Ausmaß des angerichteten Schadens, einen hohen Unrechtsgehalt aufweisen, so dass in einer Gesamtschau wenigstens eine Einordnung in dem Bereich der „oberen Hälfte der mittelschweren Kriminalität“ zu erfolgen hat (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 14.09.2016 — 1 Ws 126/16; OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 — 3 W s 161 /10; OLG Braunschweig, Beschluss vom 07.11.2011 — Ws 316/11). Dabei ist auf die einzelne Tat und nicht auf die Gesamtheit aller Taten abzustellen (OLG Frankfurt a.M., a.a.O.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 24.11.2009 — 1 W s 126 /09; MüKo, StPO, 2. Aufl. 2023, zu § 112a, Rn. 40), da durch leichtere Übergriffe in der Regel keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung im Sinne der Störung des allgemeinen Rechtsfriedens eintritt.

Maßgeblich für die Beurteilung im Rahmen des konkreten Erscheinungsbildes der Tat sind insbesondere Art und Umfang des jeweils angerichteten Einzelschadens, wobei bei der jeweiligen Einzeltat ein Schaden von mindestens 2000 € erreicht sein muss (MüKo, a.a.O., Rn. 26; KK zur StPO, 9. Aufl. 2023, zu § 112a, Rn. 14a; für gewerbsmäßigen Betrug: OLG Naumburg, Beschluss vom 26.07.2011 — 1 Ws 616 /11; OLG Hamburg, Beschluss vom 20.07.2017- 2 Ws 110/17; vgl. a. OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010 — 3 Ws 161/10). Vorliegend wird dem Beschuldigten vorgeworfen, in 17 Fällen gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande Beträge zwischen 10 E und 1100 E widerrechtlich entwendet zu haben. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung kann hiernach nicht begründet werden,

Selbst wenn jedoch entgegen der hier vertretenen Auffassung das Vorliegen einer schwerwiegenden Beeinträchtigung bei fortgesetzten Taten auch anhand des Gesamtschadens zu bestimmen sein sollte, kann dieser auch bei tatmehrheitlich begangenen Serientaten nur bei einem sehr hohem (weit Überdurchschnittlichem) Gesamtunrecht Berücksichtigung finden (KK, StPO, 9. Aufl. 2023, zu § 112a, Rn. 14a; LG Freiburg, Beschluss vom 24.04.2015-2 Qs 47/15). Auch ein solches vermag die Kammer bei einem Gesamtschaden von 7802,36 € nicht zu erkennen.

Schließlich genügen keine besonderen Umstände in Tat oder der Lebensumstände des Beschuldigten dem Tatbestandmerkmal einer „schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung“. So ist bereits zweifelhaft, ob solche Umstände überhaupt geeignet sind, eine solch schwerwiegende Beeinträchtigung i.S.d. Norm zu begründen. Selbst wenn dies aber bejaht werden sollte, müssten die Umstände in ihrer Schwere einen Grad erreichen, die eine Einordnung in den „oberen Bereich der mittelschweren Kriminalität“ begründen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

So wird dem Beschuldigten vorgeworfen, zusammen mit seinen Brüdern Tankstellen und Verkaufsläden aufgesucht zu haben, wobei einer der Beschuldigten das Verkaufspersonal abgelenkt haben soll, während die übrigen Beschuldigten überwiegend E-Shishas, zum Teil auch elektronische Geräte widerrechtlich entwendeten. Hierbei handelt es sich um Ladendiebstähle, die angesichts der einfachen Ausführung und des begrenzten Schadens weder ein gesteigertes Handlungs- noch ein gesteigertes Erfolgsunrecht erkennen lassen. Allein eine gewerbsmäßige, bandenmäßige Begehung auch in 17 zeitnahen Einzelfellen genügt nicht, hier eine abweichende Bewertung und die Annahme einer Einordnung der vorgeworfenen Taten in den oberen Bereich der mittelschweren Kriminalität zu begründen. Gleiches gilt erst recht für die persönlichen Urnstände des Beschuldigten, nach welchem dieser derzeit arbeitslos ist und nach Haftentlassung in sein gewohntes Umfeld zurückkehrt. Hieraus eine besondere, schwerwiegende Beeinträchtigung i.S.d. § 112a StPO zu rechtfertigen, ist nach Ansicht der • Kammer ausgeschlossen.

Auch wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung durch die vorgeworfenen Taten nicht über das Maß der den vorgeworfenen Delikten immanenten Unrechtsgehalt hinaus beeinträchtigt.“

Haft I: Nochmals Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Kein Mittel der Verfahrenssicherung

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Und heute dann ein Tag mit Haftentscheidungen.

Ich beginne hier mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 26.05.2023 – 1 Ws 40/23. Ergangen ist der Beschluss in einem Haftbeschwerdeverfahren gegen einen Haftbefehl u.a. wegen des Tatvorwurfes der bandenmäßigen Beitragsvorenthaltung, des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges sowie der Steuerhinterziehung jeweils in einer Vielzahl von Fällen. Das OLG macht in der Entscheidung interessante Ausführungen zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) und auch zu den Fragen der §§ 121, 122 StPO.

Ich stelle hier wegen des Umfangs der Entscheidung nur die Leitsätze vor und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext zum Selbststudium. Die Leitsätze luten:

1. Die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten. Es sind daher aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen an den Haftgrund und die Qualität des Anlassdeliktes zu stellen.

2. Als die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Taten nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO kommen nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes in Betracht bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, wobei jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach den erforderlichen Schweregrad aufweisen muss.

3. Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet sein, die eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die naheliegende Gefahr besteht, er werde noch vor rechtskräftiger Verurteilung in der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache weitere gleichartige Taten begehen. Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens, wobei auch Indiztatsachen zu berücksichtigen sind.

4. Betrugstaten nach § 263 StGB können auch dann taugliche Anlasstaten nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO darstellen, wenn lediglich aufgrund der in der Baubranche geltenden Beitragspflicht zur Sozialkasse Bau der § 263 StGB hier nicht von dem nicht im Katalog der Anlasstaten genannten spezielleren § 266a StGB verdrängt wird.

5. Die Ruhensvorschrift des § 121 Abs. 3 StPO findet Anwendung auch auf die Frist nach § 122a StPO für den Vollzug einer auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Untersuchungshaft.