Schlagwort-Archive: Gutachten

Gibt es ein Delegationsrecht des Sachverständigen?

Oder anders gefragt: Kann/Darf ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger z.B. die Exploration auf eine Hilfskraft übertragen. Der BGH, Beschl. v. 25.05.2011 – 2 StR 585/10 verneint das:

… Allerdings hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, es sei unbedenklich, dass die unter anderem mit der Schuldfähigkeitsbegutachtung beaufragte psychiatrische Sachverständige Dr. K. die Durchführung einer Exploration des Angeklagten „einer erfahrenen Hilfskraft mit der Qualifikation einer Diplom-Psychologin übertragen“ hat. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hat die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung. Es besteht daher ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (vgl. Schmid, Krank oder böse? Die Schuldfähigkeit und die Sanktionenindikation dissozial persönlichkeitsgestörter Straftäter und delinquenter „Psychopaths“ sowie die Zusammenarbeit von Jurisprudenz und Psychiatrie bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, 2009, S. 479; Schnoor, Beurteilung der Schuldfähigkeit – eine empirische Untersuchung zum Umgang der Justiz mit Sachverständigen, 2009, S. 125 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 337; s. auch § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss – jedenfalls soweit dies überhaupt möglich ist (vgl. BGHSt 44, 26, 32) – eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Eine Delegation der Durchführung dieser Untersuchung an eine Hilfsperson scheidet daher aus.“

Beanstandet hat der BGH zudem die landgerichtliche Würdigung/Befassung mit dem Sachverständigengutachten. Im Ergebnis aber ohne Erfolg, da das Urteil auf den vom BGH festgestellten Rechtsfehlern nicht beruhte. Aber: Das fehlende Delegationsrecht kann ein Angriffspunkt gegen Sachverständigengutachten sein.

Alle Jahre wieder: Ostern, aber auch der EuGH zur ausländischen FE

Ostern  ist – ebenso wie Weihnachten – alle Jahre wieder. Und alle Jahre wieder gibt es auch Entscheidungen des EuGH zur ausländischen Fahrerlaubnis, einer der verkehrsrechtlichen Dauerbrenner.

Der EuGH, Beschl. v. 02. 12. 2010 – C-334/09 (Rechtssache Scheffler) musste dazu jetzt noch einmal Stellung nehmen. „Musste“ ist deshalb formuliert, weil man der Entscheidung des EuGH schon deutlich anmerkt, dass der EuGH dieses Problem und die damit zusammenhängenden Fragestellungen eigentlich „leid ist“. Denn der EuGH sagt erneut, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine es deutschen Behörden verwehrt, die Nichteignung eines Führerscheinsinhabers aufgrund eines negativen Eignungsgutachtens festzustellen, wenn die Gründe für die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens ausschließlich vor der Erteilung des ausländischen Führerscheins zu sehen sind und kein Bezug zum Verhalten des Betroffenen nach der Erteilung des EU-Führerscheins besteht.

Der EuGH hatte auch schon früher ausgeführt, dass nur neue, nach der Erteilung der Fahrerlaubnis liegende Umstände geeignet seien, die Anerkennung ausländischer Führerscheine abzulehnen. Das hat er jetzt noch einmal klargestellt. Neu ist nur der vom EuGH nunmehr aufgestellte Grundsatz, dass auch nachträglich beigebrachte Eignungsgutachten Bezug auf Umstände haben müssen, die nach Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis liegen, um ggf. anerkennungsschädlich zu sein.

Step by Step – nach dem Psychologen auch einen Psychiater?

In Verfahren, in denen bereits ein SV-Gutachten zur Glaubwürdigkeit eines Zeugen/einer Zeugin vorliegt, stellt sich häufig die Frage, ob nicht auch noch ein psychiatrische Untersuchung erfolgen muss/soll.

Der BGH, Beschl. v. 15.02.2011 – 1 StR 19/11 setzt sich mit dieser Frage und der Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrages des Angeklagten auseinander. Der BGH verneinte die Notwendigkeit bzw. hatte keine Bedenken, dass das Tatgericht in dem Verfahren (Vorwurf der Vergewaltigung) den Antrag auf Einvernahme eines psychiatrischen Sachverständigen zur Frage der Glaubwürdigkeit der Geschädigten mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts abgelehnt hatte. Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sei bereits eine forensisch erfahrene Psychologin herangezogen worden, die aus nervenärztlicher Sicht keine Einschränkungen hinsichtlich der Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit festgestellt habe. Der Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen bedürfe es in einem solchen Falle nicht (mehr).

Schriftliches Sachverständigengutachten, ja oder nein?

Für das Erkenntnisverfahren ist ja nicht ganz unbestritten, ob der Verteidiger/Angeklagte einen Anspruch auf ein schriftliches (Vor)Gutachten hat (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 12.02.2008 – 1 StR 649/07). Das wird teilweise mit Hinweis auf das Mündlichkeitsprinzip verneint. Nun hat das KG – allerdings für das Vollstreckungsverfahren – in  seinem Beschl. v. 08.03.2010 – 2 Ws 40-41/10 ausgeführt, dass dort im Gegensatz zur Beauftragung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung, in der die Regeln der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit herrschen, es sich bei der Prüfung der Aussetzung des Strafrestes nach § 454 StPO in seinem Grundsatz um ein schriftliches Verfahren handelt, so daß ein Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Vorlage eines schriftlichen Gutachtens besteht. Zumindest also da, besteht ein Anspruch, obwohl das m.E. eine Selbstverständlichkeit ist, so dass man sich fragt, warum dazu erst das KG bemüht werden musste. Man wird m.E. das ein oder andere Argument aus der Entscheidung des KG auch auf das Erkenntnisverfahren übertragen können.

Kardinalfehler beim Sachverständigengutachten

Ein in der Praxis häufiger Fehler hat jetzt (mal wieder) zur Aufhebung eines Urteils durch den BGH geführt (vgl. Urt. v. 04.08.2010 – 2 StR 194/10). Das LG hatte seinen Freispruch u.a. auf ein Sachverständigengutachten gestützt. In dem Zusammenhang beanstandet der BGH,

„…, dass das Landgericht nicht dargelegt hat, welche Ausführungen die aussagepsychologische Sachverständige Dipl. Psych. G. gemacht hat. Hält der Tatrichter die Zuziehung eines Sachverständigen für erforderlich, so hat er grundsätzlich dessen Ausführungen in einer zusammenfassenden Darstellung wiederzugeben, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH, NStZ-RR 1996, 233; NStZ 2007, 538). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Tatrichter dem Gutachter nicht folgt oder wenn dies – wie hier – aus den übrigen Urteilsgründen nicht ersichtlich wird.

Dem werden die Gründe des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Sie beschränken sich auf eine bruchstückhafte Wiedergabe der Ausführungen der aussagepsychologischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung. Daraus ist auch nicht zu entnehmen, zu welchem Gesamtergebnis ihr Gutachten gelangt ist. Der Hinweis des Landgerichts auf die auch nach Ansicht der Sachverständigen bestehende Detailarmut der Aussagen der Zeuginnen D. und J. reicht nicht aus, zumal drei Aussagen von unmittelbaren Zeu-gen des behaupteten jeweiligen Tatgeschehens vorliegen, die in der Gesamt-schau unter Umständen die richterliche Überzeugung von der Richtigkeit des jeweiligen Vorwurfes selbst dann begründen könnten, wenn jede für sich genommen dazu nicht ausreicht.“

Wie gesagt: Häufiger Fehler, auch im OWi-Verfahren, der dann regelmäßig zur Aufgebung führt.