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Beweisantrag II: Fristsetzung beim Beweisantrag, oder: War die Einhaltung der gesetzten Frist unmöglich?

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Im zweiten Posting stelle ich hier den BGH, Beschl. v.  13.03.2024 – 5 StR 393/23 – vor. Die Angeklagten sindt vom LG u.a. wegen wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dagegendie Revisionen, die keinen Erfolg hatten. In seinerm Verwerfungsbeschluss hat der 5. Strafsenat „ergänzend“ zum Vortrag des GBA zu den erhobenen Verfahrensrügen Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„2. Zu den von dem Angeklagten Y. erhobenen Verfahrensrügen, die unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten das Setzen einer Frist zur Stellung von Beweisanträgen und die Ablehnung eines nach Ablauf der Frist gestellten „Beweisantrags“ in den Urteilsgründen beanstanden, bemerkt der Senat über die Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus ergänzend:

a) Soweit geltend gemacht wird, die Frist habe nicht bestimmt werden dürfen, weil kein Verdacht für eine Prozessverschleppung bestanden habe, ist diese Rechtsauffassung unzutreffend (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2023 – 3 StR 160/22, NJW 2024, 1122 ff.; vom 10. Januar 2024 – 6 StR 276/23, NJW 2024, 1594, 1595).

b) Mit der Stoßrichtung, die Frist sei angesichts der langen Verfahrensdauer und komplexen Beweisaufnahme unangemessen kurz gewesen, erweist sich die Rüge als unzulässig, weil sie den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt. Denn die Revision hat den sich aus der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft ergebenden Umstand verschwiegen, dass die Verteidiger schon längere Zeit vor der Fristsetzung (jedenfalls sechs Wochen) darüber informiert waren, dass die Strafkammer die Beweisaufnahme schließen wollte. Ohne die Kenntnis dieser Zeitabläufe wäre dem Senat eine Prüfung der Angemessenheit der Fristsetzung nicht möglich gewesen.

c) Darüber hinaus rügt die Revision, die Strafkammer habe durch Bescheidung des nach Fristablauf gestellten Antrags erst im Urteil gegen § 244 Abs. 6 Satz 3 und 4 StPO und den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.

aa) Der Verfahrensbeanstandung liegt das folgende Geschehen zugrunde:

Am 171. Hauptverhandlungstag verfügte der Vorsitzende, dass den Beteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen von einer Woche gesetzt werde. Auf Beanstandung am nächsten Hauptverhandlungstag – noch vor Fristablauf – wurde die Verfügung des Vorsitzenden von der Strafkammer bestätigt; eine Gegenvorstellung vom 173. Hauptverhandlungstag, einem Freitag, an dem die Frist ablief, wies die Strafkammer mit Beschluss vom selben Tag zurück. Am darauffolgenden Hauptverhandlungstag stellte einer der Verteidiger den Antrag, einen namentlich und mit Anschrift bezeichneten Zeugen zu laden mit der Begründung, dieser werde bekunden, dass er „während eines Aufenthalts in einem öffentlichen Raum“ ein Gespräch des Geschädigten „mit einer anderen männlichen Person mitbekommen“ habe. In dem Gespräch, das sich „am vergangenen Wochenende ereignet habe“, habe der Geschädigte eingeräumt, dass er die Angeklagten falsch beschuldigt und insbesondere den Sachverhalt übertrieben dargestellt habe. Weiter heißt es in dem Antrag, die Verteidigung habe zunächst die Angaben vor Stellung des Antrages selbst durch Vernehmung des Zeugen verifizieren wollen. „Nachdem die Kammer aber mit ihrer Beweisaufnahme am Ende [sei, werde] der Antrag unmittelbar gestellt.“

Die Strafkammer wies den Antrag im Urteil als Beweisermittlungsantrag zurück, denn das „Begehren [lasse] alle für die Stellung eines ernsthaften Beweisbegehrens zu verlangenden Angaben vermissen, die die Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen u.a. in örtlicher, zeitlicher, situativer, personeller und relationaler Hinsicht konkretisieren.“ Auch nach den Maßstäben der gerichtlichen Aufklärungspflicht sei dem Antrag nicht nachzugehen.

bb) Die Rüge hat keinen Erfolg.

(1) Soweit sie mit der Stoßrichtung erhoben ist, die Strafkammer habe den Antrag nicht erst im Urteil bescheiden dürfen, weil die Verteidigung nach § 244 Abs. 6 Satz 5 StPO mit dem Antrag die Tatsachen glaubhaft gemacht habe, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht hätten, bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit. Denn in dem zitierten Antrag wird ausgeführt, dass die Verteidigung selbst beabsichtigt habe, den Zeugen zu vernehmen, um seine Angaben zu verifizieren. Im Widerspruch dazu erklärte der Verteidiger im Anschluss an die Antragstellung auf Nachfrage des Vorsitzenden jedoch, er könne keine Angaben zu dem behaupteten Gespräch machen, „weil er das Gespräch schnell abgebrochen habe, da er mit Zeugen während eines laufenden Verfahrens nicht spreche.“ Dieser Widerspruch wird im weiteren Rügevorbringen nicht ausgeräumt.

(2) Jedenfalls ist die Rüge auf der Grundlage des Revisionsvorbringens aber unbegründet, weil das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass entgegen § 244 Abs. 6 Satz 5 StPO die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag nicht glaubhaft gemacht wurden.

Als Ergebnis der Glaubhaftmachung müssen die entscheidungsrelevanten Tatsachen zwar nicht in einer Weise bewiesen sein, dass sie zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Das Gericht muss die relevanten Umstände – insoweit gilt nichts anderes als etwa bei § 45 Abs. 2 StPO – aber zumindest für hinreichend wahrscheinlich ansehen (MüKo-StPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 244 Rn. 185v; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn. 98; Schneider, NStZ 2019, 489, 497; Mosbacher, NStZ 2018, 9, 12), wobei es nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 347; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, aaO Rn. 98a).

Nach diesen Grundsätzen hat die Strafkammer ermessensfehlerfrei eine in diesem Sinne genügende Glaubhaftmachung verneint. Denn der Verteidiger hat letztlich jegliche Form der Glaubhaftmachung unterlassen und lediglich ausgeführt, er habe „das Gespräch“ schnell abgebrochen, da er mit Zeugen während eines laufenden Verfahrens nicht spreche. Damit bleibt schon offen, mit wem der Verteidiger „das Gespräch“ führte und damit, ob er von dem angeblich „am Wochenende“ stattgefundenen Gespräch von dem benannten Zeugen selbst oder von Dritten erfahren haben will. Weitere Fragen des Vorsitzenden dazu blockte der Verteidiger ab, indem er entgegnete, er gebe dazu keine Erklärung ab, weil er „kein Zeuge“ sei. Damit bestand für die Strafkammer keine Möglichkeit zu prüfen, ob das behauptete Gespräch überhaupt an dem Wochenende nach Ablauf der Fristsetzung stattgefunden haben konnte. Deshalb konnte sie nicht die Wahrscheinlichkeit der Umstände einschätzen, die dafür hätten sprechen können, dass die Einhaltung der Frist zur Stellung von Beweisanträgen unmöglich war.

Daran ändert nichts, dass der Vorsitzende der Strafkammer (überobligatorisch) noch am Tag der Antragstellung einen Gerichtswachtmeister zur Wohnung des angebotenen Zeugen entsandte, um einer in Erwägung gezogenen Aufklärungsverpflichtung nach § 244 Abs. 2 StPO zu genügen. Denn es stellte keine ausreichende Glaubhaftmachung für die Unmöglichkeit der Fristwahrung dar, dass in dem Antrag der Zeuge, der das Gespräch gehört haben sollte, mit ladungsfähiger Anschrift benannt worden war. Zur Glaubhaftmachung sind grundsätzlich „parate“ Beweismittel zu verwenden (MüKo-StPO/Trüg/Habetha, aaO Rn. 185w; Schneider, NStZ 2019, 489, 497). Dies folgt aus Sinn und Zweck der Glaubhaftmachung, die dem Gericht eine sofortige Entscheidung ermöglichen soll, ohne dass weitergehende Untersuchungen über die Hintergründe der Verspätung, die das Verfahren weiter verzögern würden, erforderlich sind (MüKo-StPO/Trüg/Habetha, aaO Rn. 185v mwN). Dieser Zweck würde konterkariert, wenn der Zeuge, der in der Hauptsache gehört werden soll, auch als Mittel der Glaubhaftmachung herangezogen würde. Hier war der Zeuge zudem über mehrere Stunden nicht an der genannten Anschrift anzutreffen und meldete sich trotz entsprechender Bitten gegenüber seiner dort aufhältigen Ehefrau und Schwester auch bis zum nächsten Hauptverhandlungstag nicht bei Gericht.

(3) Schließlich hat die Strafkammer im Ergebnis zu Recht verneint, dass es sich bei dem Begehren um einen Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO gehandelt hat. Ihm war jedenfalls nicht zu entnehmen, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können sollte.

Dieses durch die Schaffung der Legaldefinition mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2121) in den Gesetzestext von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO übernommene Erfordernis der sogenannten Konnexität verlangt, dass einem Beweisantrag beispielsweise zu entnehmen sein muss, weshalb ein Zeuge die Beweisbehauptung aus eigener Wahrnehmung bestätigen können soll, sofern sich dies nicht von selbst versteht. Dies soll gewährleisten, dass das Tatgericht die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache oder der Ungeeignetheit des Beweismittels prüfen kann (vgl. BT-Drucks. 19/14747, 34; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, aaO Rn. 134; Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 21a).

Diese Voraussetzung war hier nicht gegeben. Denn die vagen Angaben in dem Antrag konkretisierten die Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen weder in örtlicher („in einem öffentlichen Raum“), zeitlicher („am vergangenen Wochenende“), personeller („mit einer anderen männlichen Person“) oder situativer Hinsicht (der Zeuge soll das Gespräch „mitbekommen“ haben; unklar bleibt, ob er dies unmittelbar selbst hörte oder ob ihm darüber mittelbar berichtet wurde). Die Rüge einer Verletzung des § 244 Abs. 6 StPO war mithin auch deshalb unbegründet, weil die Vorschrift auf Beweisermittlungsanträge nicht anwendbar ist (vgl. MüKo-StPO/Trüg/Habetha, aaO Rn. 173 mwN).“