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StPO I: Unterjährige Änderung der Gerichtsbesetzung, oder: Wirksamkeitsvoraussetzungen

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Und ab heute läuft es hier wieder normal. Urlaub ist vorbei.

Ich mache dann noch einmal einen StPO-Tag. den starte ich mit derm BayObLG, Beschl. v. 14.10.2024 – 206 StRR 320/24 – zur Wirksamkeit der unterjährigen Änderung eines Geschäftsverteilungsplanes. In der Revision hatte der Angeklagte die Unwirksamkeit der Änderung geltend gemacht. Mit Erfolg. Das BayObLG sieht mit „einigen Bauschschmerzen“ die Verfahrensrüge als zulässig erhoben an – bitte selbst lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziegen – und führt dann zu Begründetheit aus:

„4. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Übertragung des den Angeklagten betreffenden Verfahrens auf die 7. Strafkammer ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Das erkennende Gericht war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen. Es liegt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung vor, § 338 Nr. 1 StPO.

a) Der Senat geht von folgendem Prozessgeschehen aus:

Bei Vorlage der Berufungen gegen das Urteil des Amtsgerichts Freising vom 4. April 2023 an das Landgericht Landshut als Berufungsgericht mit Eingang am 8. August 2023 (Rev.Begr. S. 42, Bl. 1121 d.A.) war die 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut gemäß dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Geschäftsverteilungsplan für die Sache zuständig. Mit Datum vom 17. Oktober 2023 wurde seitens des Präsidiums der 15. Nachtrag zur richterlichen Geschäftsverteilung bei dem Landgericht Landshut für das Geschäftsjahr 2023 beschlossen, der unter Ziff. „I. Feststellung“ folgende Formulierung enthält:

„1. Die dritte Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) ist wegen mehrerer Anklagen der Europäischen Staatsanwaltschaft überlastet (vgl. Belastungsanzeige vom 10.03.2023). Es wird eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet.
2. Staatsanwältin als Gruppenleiterin Z. ist mit Wirkung vom 01.11.2023 zur Vorsitzenden Richterin am Landgericht ernannt worden. […]
(Beschluss S. 1; Rev.Begr. S. 78).

Unter II. Nr. 1 heißt es:
„Vorsitzende Richterin am Landgericht Z. wird Vorsitzende der 7. Strafkammer.“ (Beschluss S. 2, Rev.Begr. S.79).

II. Nr. 17 enthält folgende Regelung:

„Alle anhängigen Berufungsverfahren der 6. Strafkammer, die am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist, werden der 7. Strafkammer übertragen.“ (Beschluss S. 10, Rev.Begr. S. 87)

Das gegenständliche Berufungsverfahren wurde entsprechend dieser Regelung auf die 7. Strafkammer übergeleitet und von dieser weitergeführt. Das angefochtene Berufungsurteil wurde von der 7. Strafkammer erlassen.

b) Die Revision rügt zu Recht, dass der Präsidiumsbeschluss vom 17. Oktober 2023 jedenfalls in Ansehung der Übertragung der gegenständlichen Berufungssache auf die 7. Strafkammer den Anforderungen des § 21e Abs. 1, Abs. 3 GVG an eine unterjährige Änderung von Geschäftsaufgaben nicht standhält.

aa) Gemäß § 21e Abs. 1 GVG ist die Verteilung der richterlichen Geschäfte vor dem Beginn eines Geschäftsjahres für dessen Dauer zu bestimmen. Änderungen während des laufenden Geschäftsjahres haben dem Maßstab des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG zu entsprechen. Dies ist der Fall, wenn sie aus den im Gesetz genannten Gründen, beispielsweise wegen der Überlastung eines Spruchkörpers, nötig werden.

(1) § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG muss im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG eng ausgelegt und entsprechend angewendet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1976, 5 StR 314/76, NJW 1976, 2029; s. auch Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022,12653 Rn. 14 m.w.N.), denn eine Änderung im laufenden Geschäftsjahr birgt stets Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters in sich.

Dies gilt in besonderem Maße für die Überleitung bereits anhängiger Verfahren, bei denen schon eine anderweitige Zuständigkeit begründet war. Deshalb ist es in solchen Fällen geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, umfassend und nachvollziehbar zu dokumentieren und den Verfahrensbeteiligten – jedenfalls auf Verlangen – zur Kenntnis zu bringen, um den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung auszuschließen (BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 14; Urteil vom 9. April 2009, 3 StR 376/08, NJW 2010, 625 Rn. 11; Beschluss vom 22. März 2016, 3 StR 516/15, NStZ 2016, 562; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690). Der Änderungsgrund muss im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll der entsprechenden Präsidiumssitzung festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen (BGH NStZ 2016, 562).

(2) Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Präsidiums vom 17. Oktober 2023 bereits deshalb nicht, weil die erforderliche Dokumentation derjenigen Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung der Geschäftsverteilung im hier maßgeblichen Punkt veranlasst haben. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob die Überleitung des den Angeklagten betreffenden anhängigen Berufungsverfahrens von der 6. auf die 7. Strafkammer rechtmäßig war.

(i) Das Präsidium hat im Änderungsbeschluss (lediglich) festgestellt, Anlass für die Änderung der Geschäftsverteilung sei die Überlastung der 3. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer; es werde eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet (Beschluss unter „I.“ Rev.Begr. S. 78). Dem lag eine Überlastungsanzeige der 3. Strafkammer (bereits vom 10. März 2023) zugrunde (Bezugnahme im Beschluss a.a.O.; Anzeige der Vorsitzenden der 3. Strafkammer vom 10. März 2023, Rev.Begr. S. 98 f.). Von einer Überlastung der 6. Strafkammer ist das Präsidium ersichtlich nicht ausgegangen. Weder im Beschluss noch in einer sonst dokumentierten Stellungnahme – die auch nachträglich zum Zweck der Heilung noch möglich gewesen wäre (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 21e GVG Rn. 15; BGH Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 39) – findet sich ein diesbezüglicher Hinweis. Aus der Verfügung des Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 16. August 2023 zu den gegenständlichen Verfahrensakten, die dahin lautet, eine „derzeitige“ Terminierung sei wegen der Belastung der Kammer nicht möglich, sie werde „nach Bewältigung der aktuellen Auslastung“ erfolgen (Rev.Begr. S. 45; Bl. 1124 d.A.), ergibt sich nichts anderes. Ausweislich der Verfügung ist diese lediglich den Verfahrensbeteiligten, nicht aber dem Präsidium des Landgerichts zugeleitet worden, die demzufolge eine Überlastung der 6. Strafkammer auch nicht dokumentiert hat. Im Übrigen ergibt sich aus der Verfügung auch inhaltlich keine dauerhafte Überlastung der 6. Strafkammer im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG, allenfalls eine „derzeitige“ Auslastung mit anderen Verfahren; eine Terminierung nach deren Bewältigung wurde in Aussicht gestellt.

(ii) Der Generalstaatsanwaltschaft ist einzuräumen, dass als weiterer Änderungsgrund gemäß § 21e Abs. 3 GVG in Betracht kommt, dass die Neubildung eines Spruchkörpers (7. Strafkammer) eine Neuverteilung von Geschäftsaufgaben erforderlich gemacht haben kann (vgl. dazu KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 30). Gleichwohl ist auch insoweit lediglich dokumentiert, dass infolge des außergewöhnlichen Geschäftsanfalls in der 3. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) der neu geschaffenen Kammer neben neu eingehenden Verfahren auch ein Teil der dort bereits anhängigen Wirtschaftsstrafsachen übertragen wird. Die Zuweisung auch anderer Verfahren, hier von bereits anhängigen Berufungsverfahren in allgemeinen Strafsachen, entbehrt einer Begründung. Dieser Mangel betrifft auch die Frage, aus welchen Gründen insoweit eine Umverteilung zum 1. November 2023 noch im laufenden Geschäftsjahr nötig war.

(3) Das Revisionsgericht hat die aufgezeigten Mängel bei seiner rechtlichen Prüfung zu berücksichtigen. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung des Präsidiums nach § 21 e Abs. 3 GVG nicht lediglich einer Vertretbarkeits – oder Willkürkontrolle, sondern ist einer vollständigen revisionsgerichtlichen Überprüfung unterworfen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013, 2 StR 116/13, NStZ 2014, 226 Rn. 17; Urteil vom 7. April 2021, 1 StR 10/20, NStZ 2023, 122 Rn. 17, je m.w.N; für den verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab ebenso BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690).

Ob, wie es die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Vorlageschreiben vertritt (S. 6), abweichend hiervon eine Prüfung lediglich auf objektive Willkür vorzunehmen ist, wenn das Präsidium die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG fehlerhaft beurteilt hat (angedeutet, aber letztlich offengelassen von BGH, Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022, 12653 Rn. 25 und BGH, Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 44 ff.), bedarf keiner Entscheidung.

Die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entlastung der 3. Strafkammer tatsächlich vorlagen, und nach welchem Maßstab dies zu überprüfen wäre, spielt für die hier maßgebliche Frage keine Rolle. Entscheidend ist, dass sich für die Regelung betreffend die 6. Strafkammer gar keine Begründung findet. Dem Senat ist es daher, unabhängig vom anwendbaren Prüfungsmaßstab, überhaupt nicht möglich nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die Übertragung der bereits anhängigen Berufungssache erfolgt ist und nicht erst, ob das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zutreffend bewertet wurde.

c) Zudem bestehen durchgreifende Rechtsbedenken gegen die Bestimmtheit der Geschäftsverteilung, soweit sie den Übergang von in der 6. Strafkammer bereits anhängiger Berufungsverfahren davon abhängig gemacht hat, dass diese „am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“ (II. Nr. 17 des Beschlusses, Rev.Begr. S. 87).

aa) Sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegte Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016, 2 BvR 2023/16, BeckRS 2016,111809 Rn. 25; BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 11). Es muss im Vorhinein so genau wie möglich feststehen, welcher Richter für welches Verfahren im Einzelfall berufen ist (Münchener Kommentar zur StPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29 m.w.N.). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn die Neuverteilung durch den Geschäftsverteilungsplans selbst erfolgt, nicht aber, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen (BVerfG a.a.O. Rn. 26).

bb) Diesem Maßstab wird die gegenständliche Regelung nicht gerecht.

(1) Nach dem Inhalt der am 17. Oktober 2023 vom Präsidium beschlossenen Klausel sollte der Übergang bereits anhängiger Berufungsverfahren von zwei Voraussetzungen abhängig sein, die, so jedenfalls der Wortlaut, am 1. November 2023 noch vorliegen sollten: die Sache sollte noch anhängig und noch nicht (für die Zukunft) terminiert sein. Jedenfalls hinsichtlich der zweiten Voraussetzung lag es demnach in der Hand des Vorsitzenden der 6. Strafkammer, im verbleibenden Zeitraum zwischen dem 17. und dem 31. Oktober 2023 die Voraussetzungen für den Übergang des Verfahrens eintreten zu lassen oder zu verhindern, je nachdem, ob er die Sache noch terminieren oder dieses unterlassen würde. Damit handelt es sich um eine Bestimmung, die die Begründung einer konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Zuständigkeit in unzulässiger Weise in die Entscheidungsgewalt eines Spruchkörpers gelegt hat, der gerade Adressat der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollte (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 31 für eine Regelung, die den Übergang von Verfahren an die Frage knüpft, ob bis zum Stichtag das Hauptverfahren noch eröffnet wird).

(2) Die Generalstaatsanwaltschaft weist zwar in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hin, dass Regelungen in einem Geschäftsverteilungsplan ebenso wie abstrakt-generelle Gesetze der Auslegung, auch im Lichte des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, zugänglich sind (Vorlageschreiben S. 7). Der Senat sieht jedoch keinen Spielraum für eine Interpretation dahingehend, dass es für die Frage, ob das Verfahren schon terminiert sei, auf den Tag des Präsidiumsbeschlusses ankommen solle, und deshalb kein Spielraum für eine Manipulation bis zum Stichtag 1. November 2023 gegeben sei. Die Bestimmung im Präsidiumsbeschluss stellt das Datum „01.11.2023“ den erst danach genannten beiden Voraussetzungen für einen Übergang der Sache voran, was dafür spricht, dass auch beide auf diesen Termin in der Zukunft bezogen sind. Auch aus der verwendeten Zeitform lassen sich keine abweichenden Schlüsse ziehen. Beide Voraussetzungen sind, nach Nennung des künftigen Stichtags, im Präsens formuliert („noch anhängig sind“; „noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“); für eine differenzierende Auslegung dahin, dass sich diese Klauseln auf unterschiedliche Daten beziehen könnten, sieht der Senat keinen ausreichenden Anhalt. Lediglich ergänzend sei bemerkt, dass auch der Vorsitzende der 6. Strafkammer selbst die Regelung dahin ausgelegt hat, dass er den Übergang der Sache durch eigene Terminierung noch verhindern könne, denn unter dem 26. Oktober 2023 hat er verfügt, dass ihm eine „Terminierung dieses Verfahrens […] vor dem 01.11.2023 nicht mehr möglich“ sei (Rev.Begr. S. 46; Bl. 1125 d.A.).

d) Wegen der aufgezeigten Verstöße gegen § 21e Abs. 3 GVG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt sich die Überleitung des gegenständlichen Verfahrens von der ursprünglich zuständigen 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut auf die 7. Strafkammer als unzulässig dar. Das erkennende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 StPO vor.“

StPO II: In der HV nachgeholter Eröffnungsbeschluss, oder: Das geht nur ohne Schöffen

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem OLG Hamburg, Beschl. v. 04.03.2021 – 2 Rev 9/21 – geht es um die Nachholung der Eröffnungsentscheidung in der laufenden Hauptverhandlung. Aber mal nicht Klassiker bei der großen Strafkammer, sondern „nur“ beim Schöffengericht. Aber da gilt nichts anderes: Entschieden werden kann nur mit der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung, also ohne Schöffen:

„Auf die zulässig erhobene und begründete Revision des Angeklagten (§§ 341, 344, 345 StPO) war das Verfahren im Hinblick auf die zur Verurteilung gelangte Tat aus der Anklageschrift vom 8. Juni 2020 wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses gem. § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.

Es mangelt an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.

1. Mit dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens lässt das Gericht gem. § 207 Abs. 1 StPO die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem letztere stattfinden soll. Die Entscheidung muss in schriftlich verkörperter Form vorliegen (LK-Stuckenberg § 207 Rn. 33 m.w.N.).

Spricht das Gericht die Zulassung der Anklage nicht ausdrücklich aus, kann diese auch aus schlüssiger Erklärung zu entnehmen sein, sofern dem ausgelegten richterlichen Willensakt deutlich zu entnehmen ist, dass das Gericht die Anklage nach Prüfung und Annahme der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zulassen wollte (MüKo-StPO/Wenske § 207 Rn. 26; LR-Stuckenberg § 207 Rn. 54), weshalb insbesondere eine – im Ergebnis bejahende – Auseinandersetzung des Gerichts mit der Frage hinreichenden Tatverdacht erkennbar sein muss (vgl. BGH Beschl. v. 20. November 1987, Az.: 3 StR 493/87; Wenske aaO.; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 17; HK-Julius/Schmidt § 207 Rn. 17). In der nur begrenzt einheitlichen Grundsätzen folgenden obergerichtlichen Rechtsprechung sind unter anderem ein Verbindungsbeschluss, eine Besetzungsentscheidung bei zugleich ergangenem Haftbefehl, und die zeitlich eng mit einer Haftfortdauerentscheidung zusammenfallende Bestimmung eines Hauptverhandlungstermins als schlüssige Eröffnungsentscheidung ausgelegt worden, während ein Übernahmebeschluss oder eine Termins- und Ladungsverfügung für sich genommen regelhaft nicht ausreichen (Schneider aaO. m.w.N.; Stuckenberg aaO.).

Eine zunächst unterbliebene Eröffnung des Hauptverfahrens kann auch noch während laufender (erstinstanzlicher) Hauptverhandlung nachgeholt werden (grundlegend: BGHSt 29, 224; vgl. ferner: BGH Beschl. v. 20. Mai 2015, Az.: 2 StR 45/14; BGH Beschl. v. 2. November 2005, Az.: 4 StR 417/05; BGH Beschl. v. 27. Februar 2014, Az.: 1 StR 50/14; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 21 m.w.N.), wobei die mündliche Verkündung und Protokollierung in der Sitzungsniederschrift dem Schriftformerfordernis genügt (BGH Beschl. v. 3. Mai 2001, Az.: 4 StR 59/01; Meyer-Goßner/ Schmitt § 207 Rn. 8).

Die nachgeholte Eröffnungsentscheidung muss allerdings in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung und mithin ohne etwaig der Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung angehörende Schöffen erfolgen (jeweils für Verfahren vor der Großen Strafkammer: BGH Beschl. v. 20. Mai 2015, Az.: 2 StR 45/14; BGH Beschl. v. 27. Februar 2014, Az.: 1 StR 50/14; BGH Beschl. v. 2. November 2005, Az.: 4 StR 418/05; vgl. LR-Stuckenberg § 207 Rn. 61). In Verfahren vor dem Amtsgericht entscheidet außerhalb der Hauptverhandlung – gemäß § 30 Abs. 2 GVG auch soweit diese vor dem Schöffengericht geführt wird – der zuständige Richter am Amtsgericht allein.

Die Mitwirkung der Schöffen an der Eröffnungsentscheidung verbietet sich über die gesetzliche Zuständigkeitsbestimmung hinaus auch generell schon deshalb, weil diesen die für die Entscheidung nach § 203 StPO erforderliche umfassende Aktenkenntnis fehlt (vgl. BGH Beschl. v. 2. November 2005, Az.: 4 StR 418/05). Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass gemäß § 30 Abs. 1 GVG die Schöffen an den im Laufe der Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen auch dann teilnehmen, wenn diese in keiner Beziehung zu der Urteilsfällung stehen und auch ohne mündliche Verhandlung erlassen werden können. Der Umstand, dass noch nach Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eine Nachholung der Eröffnung des Hauptverfahrens richterrechtlich für zulässig erachtet wird, führt nicht dazu, dass es sich um eine im gesetzlichen Sinne „im Laufe der Hauptverhandlung“ zu erlassende Entscheidung handelt (BGH aaO.). Zur Nachholung der Eröffnungsentscheidung ist daher grundsätzlich das Verfahren zu unterbrechen und die Eröffnungsentscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung nachzuholen (BGH aaO.).

Mangelt es an einem schriftlich abgefassten Eröffnungsbeschluss, so ist das Verfahren in jeder Lage von Amts wegen aufgrund des dadurch begründeten Verfahrenshindernisses einzustellen (BGH, Beschl. v. 16. August 2017, Az.: 2 StR 199/17; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 15, 20 m. w. Nachw.). Eine Zurückverweisung kommt nicht in Betracht (Schneider aaO. Rn. 20 m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen fehlt es vorliegend an einer wirksamen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens.

a) Bis zum Beginn der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung ist eine die Anklage vom 8. Juni 2020 zulassende Eröffnungsentscheidung weder ausdrücklich noch konkludent ergangen. Insbesondere ist nicht schon der Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins und der Ladung der Verfahrensbeteiligten durch das Amtsgericht eine konkludente Zulassung der Anklage vom 8. Juni 2020 zu entnehmen. Die für die Eröffnungsentscheidung erforderliche richterliche Auseinandersetzung mit der Frage hinreichenden Tatverdachts geht aus diesen Verfügungen nicht hervor.

b) Die Eröffnungsentscheidung ist auch nicht durch den in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 29. Juli 2020 gefassten Beschluss über die Verbindung der unter den Geschäftszeichen 726b Ds 125/19 und 726b Ls 79/20 geführten Verfahren und die Zulassung der Anklage vom 8. Juni 2020 nachgeholt worden. Als Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist diese Entscheidung unwirksam, da sie ausweislich der Sitzungsniederschrift unter Mitwirkung der Schöffen und damit nicht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung nach § 30 Abs. 2 GVG vorgeschriebenen Besetzung ergangen ist.

Daraus, dass nach der amtsgerichtlichen Sitzungsniederschrift die Entscheidung über die Verfahrensverbindung und die Zulassung der Anklage vom 8. Juni 2020 in der Hauptverhandlung „Beschlossen und verkündet“ worden ist, folgt, dass das Gericht diese Entscheidung in der im Protokolleingang genannten Gerichtsbesetzung mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen getroffen hat. Anhaltspunkte dafür, dass es sich stattdessen um eine allein durch den Abteilungsvorsitzenden und damit in der in § 30 Abs. 2 GVG vorgesehenen Besetzung getroffene Entscheidung handelt, ergeben sich aus dem Protokoll nicht, insbesondere weist dieses auch keine der Verkündung der Entscheidung vorangehende Unterbrechung der Hauptverhandlung aus. Für die Annahme, der Vorsitzende könnte die Entscheidung bereits vor Beginn der Hauptverhandlung getroffen und lediglich in der Hauptverhandlung bekannt gemacht haben, lässt die vorgenannte Dokumentation, wonach die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht nur verkündet, sondern auch „beschlossen“ worden ist, ebenfalls keinen Raum. Schließlich ist in der Sitzungsniederschrift der nachfolgend ergangene weitere Beschluss über die teilweise Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO, der in der Hauptverhandlung gem. § 30 Abs. 1 GVG unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu ergehen hatte, ebenfalls mit der Eingangsformel „Beschlossen und verkündet:“ und damit in identischer Weise dokumentiert.“