Schlagwort-Archive: Geldautomat

StGB I: Geldscheine in der Ausgabe des Geldautomaten, oder: Raub oder räuberische Erpressung?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Am StGB-Tag kommt heute als erstes der BGH, Beschl. v. 12.11.2024 – 3 StR 301/24 – zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung (Fall II.3. der Urteilsgründe) verurteilt.

Dagegen die Revision. Der BGH sagt: Das festgestellte Geschehen ist „rechtlich unzutreffend gewürdigt“ und hat den Schuldspruch geändert :

„a) aa) Nach den Feststellungen im Fall II.3. der Urteilsgründe schlug der physisch deutlich überlegene Angeklagte einen Geschädigten mit Fäusten und forderte grundlos „200 bis 300 €“ von ihm. Weil das Opfer kein Bargeld mit sich führte, zwang der Angeklagte es unter Androhung weiterer Gewalt, zu einem Geldautomaten zu gehen. Dort musste der Geschädigte seine Karte nebst PIN eingeben. Der Angeklagte, der schräg hinter ihm stand, drückte auf den am Bildschirm angezeigten höchsten verfügbaren Auszahlungsbetrag von 1.000 €. Der Automat gab davon mangels weiterer Kontodeckung 140 € aus, die der Angeklagte unter Aufrechterhaltung der Drohkulisse einsteckte.

bb) Dieses Geschehen stellt entgegen der rechtlichen Würdigung des Landgerichts keine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung, sondern einen Raub in Tateinheit mit Körperverletzung dar. Denn wer unberechtigt Geldscheine ergreift und einsteckt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten bereitliegen, nachdem der Berechtigte zuvor Bankkarte und PIN eingegeben hat, bricht den Gewahrsam des Geldinstituts an den Geldscheinen und nimmt fremde Sachen weg (BGH, Beschluss vom 21. März 2019 – 3 StR 333/18, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 17 mwN).

(1) Die Frage, ob der Gewahrsam der Bank an Bargeld, das ein Geldautomat nach technisch ordnungsgemäßer Bedienung ausgibt, lediglich gelockert oder bereits aufgegeben ist, wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet. Nachdem der 2. Strafsenat einen Fall, in dem der Täter den Berechtigten nach PIN-Eingabe gewaltsam weggestoßen hatte, als räuberische Erpressung bewertet hatte, weil der Gewahrsam durch das Geldinstitut mit der Geldausgabe bereits preisgegeben und nicht gebrochen worden sei (BGH, Beschluss vom 16. November 2017 – 2 StR 154/17, NJW 2018, 245 Rn. 12), wollte der 3. Strafsenat Revisionen von Angeklagten verwerfen, die durch Ablenkung des Berechtigten an die Geldscheine gelangt und wegen Diebstahls u.a. verurteilt worden waren. Im deshalb eingeleiteten Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG, das sich später wegen Rechtsmittelrücknahme erledigte, hat der Senat einen Gewahrsamsbruch gegenüber der Bank angenommen. Die Frage, ob gleichfalls der Gewahrsam desjenigen gebrochen wird, der den Vorgang durch Eingabe von Bankkarte und PIN in Gang gesetzt hat, hat er offengelassen (BGH, Beschluss vom 21. März 2019 – 3 StR 333/18, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 17 Rn. 22). Im Nachgang hat der 4. Strafsenat dies für die „Ablenkungsfälle“ entschieden; er hat ausgeführt, dass jedenfalls der Täter, der trickreich die Aufmerksamkeit des Bankkunden ablenke und so an das im Ausgabefach des Automaten bereitliegende Geld gelange, (auch) dessen Gewahrsam breche (BGH, Beschluss vom 3. März 2021 – 4 StR 338/20, BGHSt 66, 55 Rn. 7 ff.).

(2) Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest. Ein Täter bricht den Gewahrsam an einer dem Zugriff Dritter preisgegebenen Sache, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der bisherige Gewahrsamsinhaber die Wegnahme nur bestimmten Personen gestatten will, der Täter aber nicht zu diesem Personenkreis gehört (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1987 – 3 StR 209/87, BGHSt 35, 152, 159 f.). So liegt es hier: Der Wille des Geldinstituts auf die Übertragung des Gewahrsams ist erkennbar nicht an jedermann gerichtet, sondern auf die Person beschränkt, die sich durch Eingabe von Karte und PIN legitimiert hat. Greift ein anderer zu, bricht er den Gewahrsam der ausgebenden Bank.

Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Angeklagte einen Raub gemäß § 249 Abs. 1 StGB beging. Dass er nicht Mitarbeitern des Geldinstituts, sondern dem Geschädigten mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben drohte, steht der Erfüllung des Tatbestands nicht entgegen. Denn das Nötigungsmittel muss sich nicht gegen den Gewahrsamsinhaber richten. Es genügt die Bedrohung einer Person, die nach Meinung des Täters den (fremden) Gewahrsam an der Sache wahren will (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 126).

Der Schuldspruch ist deshalb aus Klarstellungsgründen zu ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

(3) Einer erneuten Anfrage beim 2. Strafsenat bedarf es für die Schuldspruchänderung nicht. Denn der Angeklagte brach hier zusätzlich den (Mit-)Gewahrsam des Geschädigten (zu den Maßstäben s. etwa BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 10/20, NStZ 2020, 483 Rn. 5 mwN) und beging deshalb ohnehin einen Raub. Dieser stand, nachdem er den Zahlungsvorgang mittels seiner Bankkarte und PIN in Gang gesetzt hatte, weiterhin direkt vor dem Automaten mit dem Angeklagten im Rücken. Schon durch die unmittelbare körperliche Nähe konnte er ohne Weiteres auf die ausgeworfenen Geldscheine einwirken und hatte damit die tatsächliche Sachherrschaft. Das wollte er an sich auch. Denn wer mit der eigenen Karte und PIN Geld „zieht“, und sei es als Nötigungsopfer, hat in der Regel einen Herrschaftswillen über den Inhalt des Ausgabefachs. Nach den Regeln der sozialen Anschauung ist dieser ihm zuzuordnen, es ist „sein“ Geld (s. insgesamt BGH, Beschluss vom 3. März 2021 – 4 StR 338/20, BGHSt 66, 55 Rn. 8 ff. mwN). In diese tatsächliche von einem natürlichen Willen getragene Sachherrschaft des Geschädigten brach der Angeklagte ein. Unter dem Eindruck der Bedrohung duldete der Geschädigte die Wegnahme – das äußere Erscheinungsbild ist insoweit eindeutig (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 3 StR 87/24, juris Rn. 4 mwN) – und ist damit Raubopfer. Wie es im Fall der Gewaltausübung (s. BGH, Beschluss vom 21. März 2019 – 3 StR 333/18, NStZ 2019, 726: zur Seite zerren/schubsen) liegt, bedarf hier weiterhin keiner Entscheidung.“

StGB I: Geldscheine aus dem Ausgabefach eines Geldautomaten, oder: Diebstahl/Raub?

entnommen wikimedia.org
photo taken by: de:User:Stahlkocher

Heute seit lämgerem dann mal wieder ein Tag mit materiell-rechtlichen Entscheidungen, also StGB.

Und ich beginne mit einem Anfragebeschluss des 3. Strafsenats des BGH. Der hat dem 2. Strafsenat des BGH im BGH, Beschl. v. 21.03.2019 – 3 StR 333/18 – folgende Fragen gestellt:

„1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Wer unberechtigt Geldscheine an sich nimmt, die im Ausgabefach eines Geldautomaten zur Entnahme bereit liegen, nachdem der Berechtigte den Auszahlungsvorgang durch Eingabe von Bankkarte und zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, bricht den an den Geldscheinen bestehenden Gewahrsam des Geldinstituts.
2. Der Senat fragt bei dem 2. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.“

Grundlage der Anfrage sind folgende Feststellungen des LG:

„Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen versuchten die Angeklagten teilweise allein, teilweise mit anderen gemeinschaftlich in Bankfilialen Geld von Kunden zu erbeuten, die dort an Automaten Geld abheben wollten. Zu diesem Zweck warteten die Angeklagten zunächst ab, bis ein Kunde seine Bankkarte in den Geldautomaten eingeführt und seine PIN eingegeben hatte. Sodann versuchten sie, den Kunden abzulenken, indem sie ihn ansprachen und ihm Prospekte oder Ähnliches vorhielten; dadurch wollten sie zugleich die Sicht des Kunden auf das Display bzw. die Eingabetastatur verdecken. Gleichzeitig versuchte einer der Angeklagten, von dem Kunden unbemerkt einen möglichst hohen Geldbetrag einzugeben und das anschließend ausgeworfene Geld aus dem Ausgabefach zu entnehmen. Durch die Ablenkung der Kunden und die Ausnutzung des Überraschungsmoments wollten die Angeklagten eine etwaige Gegenwehr der Opfer vermeiden; sie hatten grundsätzlich nicht vor, gewaltsam gegen diese vorzugehen. In zwei Fällen, an denen der Angeklagte M.Z. beteiligt war, zerrten die Täter das Opfer allerdings von dem Geldautomaten weg bzw. stießen es zur Seite, um den Geldbetrag einzugeben und das in dem Ausgabefach liegende Geld an sich zu nehmen. Dem Angeklagten M. Z. gelang es in diesen beiden sowie in drei anderen Fällen, Geldbeträge zwischen 50 € und 500 € zu erbeuten; in einem weiteren Fall konnte der Bankkunde den Abhebevorgang abbrechen, bevor die Angeklagten einen Geldbetrag eingeben konnten, so dass M. Z. und seine Mittäter ihr Vorhaben als gescheitert ansahen. Der Angeklagte L.Z. erbeutete in sechs Fällen Geldbeträge zwischen 70 € und 500 €; in weiteren sechs Fällen blieb sein Vorhaben erfolglos. In drei Fällen gingen die Bankkunden irrtümlich davon aus, den Abhebevorgang erfolgreich abgebrochen zu haben, während der Geldautomat tatsächlich noch Geld ausgab, das die Angeklagten an sich nahmen. In zwei Fällen gelang es den Angeklagten, den auszuzahlenden Betrag von den Kunden unbemerkt auf mehrere Hundert Euro zu erhöhen und diese an sich zu nehmen.“

Das LG hat die Taten als versuchten und vollendeten Diebstahl bzw. Raub gewertet. Es ist ist davon ausgegangen, dass die Angeklagten den Gewahrsam der Bankkunden an den im Ausgabefach des Geldautomaten befindlichen Geldscheinen brachen bzw. brechen wollten.

Das sieht der 3. Strafsenat auch so. Er will deshalb die Revisionen verwerfen. An der beabsichtigten Entscheidung sieht er sich aber durch den BGH, Beschl. v. 16.11.2017 – 2 StR 154/17 – gehindert. Und darum fragt er, was der 2. Strafsenat mit seiner Rechtsprechung macht. Mal sehen, was als Antwort kommt.