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Voraussetzungen für die Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV, oder: Aufenthaltserlaubnis für Vater und Sohn

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Und dann die zweite Entscheidung zum RVG. Aber mal etwas ganz anderes, nämlich die Frage nach der Anwendung der Nr. 1008 VV RVG.

Vorgestellt wird der VG Bremen, Beschl. v. 22.12.2023 – 2 E 2138/22 – mit folgendem Sachverhalt: Die Rechtsanwältin hat einen Vater und seinen minderjähriger Sohn vertreten. Die haben beim VG einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs (§ 80 Abs. 5 VwGO) gegen eine ablehnende Entscheidung, ihnen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, gestellt. Das VG hat den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag gemacht, der die Kosten des Verfahrens den Beteiligten jeweils zur Hälfte auferlegte und von diesen angenommen wurde. Der Streitwert für das Verfahren ist auf 2.500,00 EUR festgesetzt worden.

In ihrem Kostenfestsetzungsantrag haben die Antragsteller u.a. – unter Zugrundelegung des Streitwertes von 2.500,00 EUR – eine 1,6 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG in Höhe von 355,20 EUR angesetzt, wobei eine Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG berücksichtigt war. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat das beanstandet. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung lägen nicht vor, weil es sich nicht um „denselben Gegenstand“ handele. Gegenstand seien die beiden Begehren auf Erteilung je einer Aufenthaltserlaubnis gewesen. Diese beiden Gegenstände seien zu einem Gegenstandswert von 2.500 EUR festgesetzt worden.

Das Angebot, eine Überprüfung der Gegenstandswertfestsetzung in die Wege zu leiten, habe die Prozessbevollmächtigte ausgeschlagen. Die Antragsteller haben Antrag auf Durchführung einer gerichtlichen Entscheidung gestellt. Das VG hat den Antrag als unbegründet angesehen:

„Der gemäß §§ 165, 151 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist unbegründet.

Der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller steht die geltend gemachte Erhöhungsgebühr nach Ziff. 1008 VV RVG nicht zu. Nach dieser Vorschrift erhöht sich, sofern eine Vertretung von mehreren Personen in derselben Angelegenheit vorliegt, die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr für jede weitere Person um 0,3. Vertritt ein Rechtsanwalt in demselben Verfahren mehrere Auftraggeber, entsteht ihm regelmäßig ein höherer Aufwand, als dies beim Tätigwerden für nur einen Mandanten der Fall wäre. Um diesen Mehraufwand zu vergüten, sieht das Kostenrecht zwei im Ansatz unterschiedliche Wege vor, nämlich durch eine Erhöhung des Streit- bzw. Gegenstandswerts bei unverändertem Gebührensatz oder durch eine Erhöhung des Gebührensatzes bei unverändertem Streit- /Gegenstandswert. Auf welchem dieser Wege eine Vergütung des Mehraufwands des Rechtsanwalts erfolgt, hängt davon ab, ob seine Tätigkeit für mehrere Mandanten sich auf einen oder mehrere Verfahrensgegenstände bezieht. Ist die Vertretung mehrerer Personen mit mehreren Verfahrensgegenständen verbunden, sind nach § 22 Abs. 1 RVG die Werte dieser unterschiedlichen Verfahrensgegenstände zusammenzurechnen. Eine Erhöhung des Gebührensatzes erfolgt hingegen nicht, denn Ziff. 1008 VV RVG sieht eine solche nur vor, soweit der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit für die Auftraggeber derselbe ist. Der erhöhte Vergütungsanspruch ergibt sich in diesen Fällen aus den nach § 13 RVG mit der Höhe des Streit-/Gegenstandswerts steigenden Gebühren. Werden hingegen mit Blick auf denselben Verfahrensgegenstand mehrere Personen vertreten, bleibt der Streit-/Gegenstandswert unverändert. Stattdessen erhöht sich gemäß Nr. 1008 VV RVG in diesem Fall der Gebührensatz um 0,3 für jeden zusätzlichen Auftraggeber, wobei mehrere Erhöhungen zusammengenommen einen Gebührensatz von 2,0 nicht überschreiten dürfen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.5.2014 – 19 E 55/14 –, juris, Rn. 14 f. m.w.N.). Ob die Tätigkeit eines Rechtsanwalts für mehrere Mandanten denselben oder unterschiedliche Verfahrensgegenstände betrifft, ist im Einzelfall anhand der konkret wahrgenommenen Angelegenheiten zu ermitteln. Das RVG enthält keine Legaldefinition des Begriffs desselben Verfahrensgegenstands. Ein einheitlicher Gegenstand im gebührenrechtlichen Sinne ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt für mehrere Auftraggeber wegen desselben konkreten Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig geworden ist. Steht hingegen jedem Auftraggeber das (jeweils) geltend gemachte Recht allein zu, handelt es sich um verschiedene Gegenstände (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.5.2014 – 19 E 55/14 –, juris, Rn. 16 ff. m.w.N.).

Ausgehend hiervon ist im Streitfall der Mehraufwand der Prozessbevollmächtigten durch die Addition der Streitwerte Rechnung zu tragen. Eine Erhöhung der Gebühr gemäß Ziff. 1008 VV RVG kommt nicht in Betracht. Es liegen unterschiedliche Verfahrensgegenstände vor, weil die beiden Antragsteller jeder für – und nicht als Rechtsgemeinschaft – ein auf die Erteilung je einer Aufenthaltserlaubnis gerichtetes, rechtlich eigenständiges Rechtsschutzbegehren verfolgt haben. Dass die Klagebegehren in materiell-rechtlicher Hinsicht voneinander abhängen, ist unerheblich (vgl. für die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.5.2014 – 19 E 55/14 –, juris, Rn. 19 ff.).“

 

Verteidigung gegen mehrere Adhäsionsklagen, oder: Wie hoch ist der Gegenstandswert?

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Da heute Freitag ist, wie immer: Zwei Entscheidungen zu Gebühren bzw. mit gebührenrechtlichem Einschlag.

Zunächst stelle ich in dem Zusammenhang den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.2019 – 1 Ws 360/18 – vor.  Der behandelt die Frage der Höhe des Gegenstandswertes (für die Gebühr Nr. 4143 Vv RVG), wenn der Rechtsanwalt den Angeklagten gegen die Adhäsionsklagen mehrerer vertritt. Das OLG sagt: Die Gegenstandswerte der Adhäsionsklagen sind zusammenzurechnen, weil die Adhäsionsverfahren eine gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 RVG bilden:

„1. Zutreffend ist der Rechtspfleger zunächst davon ausgegangen, dass der Nebenklägervertreter die Verfahrensgebühr aus Nr. 4143 VV RVG nach §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG nur einmal erhält. Denn seine Tätigkeit zur Durchsetzung der Schadens- und Schmerzensgeldansprüche der drei von ihm vertretenen Nebenkläger hat er im Rahmen desselben Adhäsionsverfahrens erbracht. Er ist deshalb in derselben Angelegenheit im Sinne von §§ 7, 15 RVG tätig geworden (OLG Stuttgart NStZ-RR 2015, 128; OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2009 – 2 Ws 8/09; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Auflage, Nr. 4143 VV RVG Rn. 7 m.w.N.).

Für die Entscheidung der Frage, ob eine oder mehrere Angelegenheiten im Sinne von §§ 7 und 15 RVG vorliegen, ist zur Vermeidung von Bewertungswidersprüchen nämlich allein auf zivilrechtliche Maßstäbe abzustellen (OLG Stuttgart, a.a.O.). Danach ist im Fall der objektiven oder subjektiven Klagehäufung, also auch dann, wenn ein Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren die Klagen mehrerer Kläger vertritt, in aller Regel nur eine Angelegenheit gegeben. Denn in diesem Fall geht die anwaltliche Tätigkeit regelmäßig auf einen einheitlichen Auftrag zurück, hält sich in demselben Rahmen, und zwischen den Handlungen des Rechtsanwalts besteht ein innerer Zusammenhang (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.). Hiervon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen, in dem die Adhäsionsanträge der drei Nebenkläger auf demselben Lebenssachverhalt beruhen.

2. Obwohl der Nebenklägervertreter in nur einer Angelegenheit tätig wurde, handelt es sich bei den Ansprüchen der drei Nebenkläger aber um drei verschiedene Gegenstände im Sinne von §§ 22 ff. RVG. Denn für den Gegenstandsbegriff ist allein auf die wirtschaftliche Identität abzustellen, die bei der Vertretung mehrerer Auftraggeber nur dann vorliegt, wenn der Rechtsanwalt für diese Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig wird und sie insoweit eine Rechtsgemeinschaft oder eine dieser gleichgestellte Gemeinschaft bilden (Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage, Nr. 1008 VV RVG Rn. 135). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil den Nebenklägern das von ihnen im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Recht jeweils allein zusteht (OLG Brandenburg, a.a.O.). Zutreffend hat der Rechtspfleger daher die Gegenstandwerte für die Klagen der drei Nebenkläger nach § 22 Abs. 1 RVG addiert und die Summe zur Bemessung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG herangezogen (OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.; Burhoff/Volpert, a.a.O., Nr. 4243 VV RVG Rn. 31).

3. Die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG ist jedoch nicht angefallen. Zwar kommt diese grundsätzlich in Betracht, wenn der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit mehrere Auftraggeber vertreten hat. Nach Abs. 1 und 2 der Anmerkung zu Nr. 1008 VV RVG ist dies bei Wertgebühren – wie bei der vorliegend in Frage stehenden Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG – im Unterschied zu Fest- und Rahmengebühren jedoch nur der Fall, wenn darüber hinaus derselbe Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt und die verschiedenen Auftraggeber daran gemeinschaftlich beteiligt sind (vgl. Burhoff/Volpert, a.a.O., Teil A, Rn. 1533). Hiervon ist vorliegend jedoch nicht auszugehen, weil – wie soeben ausgeführt – die drei Klagen der drei Nebenkläger unterschiedliche Gegenstände im Sinne des RVG darstellen, deren Werte nach § 22 Abs. 1 RVG zu addieren sind (so auch: OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.). Bereits hierdurch erfährt die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG unter dem Gesichtspunkt der Vertretung mehrerer Auftraggeber in derselben Angelegenheit eine Erhöhung, so dass eine weitere Erhöhung durch Zubilligung einer Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG auch nicht sachgerecht erscheint.“