Heute dann StPO. Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 26.09.2023 – 5 StR 350/23.
Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen verurteilt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat die dem Angeklagten beigeordnete Verteidigerin, Rechtsanwältin Bö. am 20.03.2023 Revision eingelegt, woraufhin ihr das Urteil am 27.04. 2023 zugestellt worden ist. Nachdem eine Revisionsbegründung innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht eingegangen war und sich die Vorsitzende zuvor beim Büro der Verteidigerin erfolglos nach einer Revisionsbegründung erkundigt hatte, hat die Strafkammer die Revision durch Beschluss vom 08.06.2023 gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Der Beschluss ist der Verteidigerin am 15.06.2023 zugestellt worden. Am 21.06.2023 hat Rechtsanwalt I. als gewählter Verteidiger des Angeklagten die Revision gegen das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge begründet und die Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision sowie die Entscheidung des Revisionsgerichts über den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Angeklagte habe Rechtsanwältin Bö. „unmittelbar“ nach seiner Verurteilung und „auch noch einmal telefonisch nach der Urteilsverkündung aus der Haft heraus“ mit der „Einlegung und Führung der Revision“ beauftragt. Er sei davon ausgegangen, „dass die Rechtsanwältin alles Notwendige unternehmen würde, um die Revision form- und fristgemäß zu führen“, habe jedoch am 15.06.2023 den Beschluss des Landgerichts erhalten und am selben Tag von Rechtsanwältin Bö. auf Nachfrage erfahren, dass jene die Revision nicht begründet habe, woraufhin er sich an Rechtsanwalt I. gewandt habe. Zur Glaubhaftmachung des Vortrags hat Rechtsanwalt I. eine als „eidesstattliche Versicherung“ bezeichnete Erklärung des Angeklagten beigefügt, die eine – nicht vollständig übereinstimmende – Sachverhaltsschilderung enthält, und die Richtigkeit seiner eigenen Darstellung des Gesprächs mit dem Angeklagten „anwaltlich versichert“.
Im weiteren Verfahren hat Rechtsanwältin Bö. schriftsätzlich mitgeteilt und anwaltlich versichert, dass sie dem Angeklagten, der keine Revision habe einlegen wollen, geraten habe, zunächst Revision einzulegen und deren Erfolgsaussichten auf der Grundlage des schriftlichen Urteils zu prüfen. Diesem Rat sei der Angeklagte gefolgt. Nach Eingang des schriftlichen Urteils habe sie mit ihm das weitere Vorgehen telefonisch besprochen; Ergebnis dessen sei gewesen, dass der Angeklagte gebeten habe, die Revision zurückzunehmen. Sie habe daraufhin keine Revisionsbegründung abgegeben. Nach Erhalt des Verwerfungsbeschlusses habe der Angeklagte telefonisch mitgeteilt, dass er doch an der Revision habe festhalten wollen und sei so aufgebracht gewesen, dass das Gespräch habe beendet werden müssen.
Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig angesehen:
„2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist unzulässig, weil entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht glaubhaft gemacht ist, dass den Angeklagten kein Verschulden an der Fristversäumung getroffen hat.
Schon vor Eingang des Schriftsatzes der beigeordneten Verteidigerin war nicht hinreichend dargetan, dass der Angeklagte seine Verteidigerin mit der fristgemäßen Einlegung und Begründung der Revision beauftragt hatte. Denn seiner „eidesstattlichen Versicherung“ kam angesichts der Möglichkeit, von ihr eine Erklärung beizuholen, kein nennenswerter Beweiswert zu. Auch über die anwaltliche Versicherung des gewählten Verteidigers konnte die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten zur Beauftragung der beigeordneten Verteidigerin nicht glaubhaft gemacht werden.
Aus der anwaltlichen Versicherung der beigeordneten Verteidigerin ergibt sich zudem ein anderer Geschehensablauf, so dass nunmehr erst Recht das fehlende Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumung nicht glaubhaft gemacht ist.