Heute am Samstag dann mal wieder zivilrechtliche Entscheidungen zum Verkehrsrecht, und zwar zunächst das OLG Hamm, Urt. v. 19.01.2018 – 9 U 86/17. Nun ja, das behandelt nicht direkt eine verkehrsrechtliche Fragestellung, aber es hat mit der Verkehrssicherungspflicht zu tun. Passt also auch in diesen Kontext 🙂 .
Es geht um die Verkehrssicherungspflicht in einem Bekleidungsgeschäft. Geklagte hat die gesetzliche Krankenkasse einer am 31.03.2014 in dem von der Beklagten betriebenen Modehaus zu Fall gekommenen Zeugin U aus übergegangenem Recht auf Erstattung der unfallbedingt getätigten Aufwendungen. Die Zeugin U war an diesem Tag durch eine in dem Ladenlokal befindliche geöffnete Luke, die zu diesem Zeitpunkt nicht von der dafür abgestellten Verkäuferin bewacht wurde, in den darunter liegenden Bügelkeller gefallen. Das OLG geht – ebenso wie das LG – von einer Haftung der Beklagten aus, lehnt aber – nach Beweisaufnahme – ein Mitverschulden der Zeugin, das das LG mit 30 % angenommen hatte, ab:
„Der Senat vermochte nach Wiederholung der erstinstanzlich bereits durchgeführten Vernehmung der Zeugin U sowie Anhörung des Geschäftsführers der Beklagten ein – von der Beklagten zu beweisendes – Mitverschulden der Zeugin U an der Entstehung des Unfalls nicht festzustellen. Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht bei seiner Beurteilung der Unfallsituation nicht hinreichend gewürdigt, dass sich der Unfall in einem Ladenlokal ereignet hat, in welchem die Aufmerksamkeit der Kunden zielgerichtet durch die auf den Kleiderständern angebotenen Waren, Preisschilder und sonstige Hinweisschilder in Anspruch genommen und somit auch von anderen Dingen abgelenkt wird.
In einem Bekleidunggeschäft muss der Kunde allenfalls mit herabgefallenen Kleidungsstücken rechnen, nicht jedoch mit einer geöffneten Bodenluke. Eine solche Luke ist angesichts der besagten vielfältigen Ablenkungen und der Erwartungshaltung der Kunden während des Publikumsverkehrs eine so überraschende Gefahrenquelle, dass sie an sich nur außerhalb der Geschäftszeiten eröffnet werden darf. Dementsprechend hat auch der Geschäftsführer der Beklagten sich vor dem Senat dahingehend geäußert, die Luke werde üblicherweise nicht während des Publikumsverkehrs geöffnet.
Darüberhinaus lassen sich die exakten Sichtverhältnisse der Zeugin U bei Annäherung an besagten Schacht nicht mehr exakt rekonstruieren.
Bei dieser Sachlage vermag der Senat selbst in einer kurzen Ablenkung der Zeugin U durch das rechts von ihr stattfindende Gespräch ein Mitverschulden nicht zu erkennen.
Ein solches hätte jedenfalls hinter der gravierenden Verkehrssicherungspflichtverletzung, welche die Beklagte zu vertreten hat, vollständig zurückzutreten.“
Aus der PM des OLG Hamm zu dieser Entscheidung ergibt sich etwas mehr Sachverhalt. Da heißt es nämlich:
„Eine während der Geschäftszeiten im Kundenbereich eines Bekleidungsgeschäfts geöffnete Fußbodenluke mit den Maßen 2,11 m x 0,8 m stellt eine überraschende Gefahrenquelle dar, auf die sich ein Kunde nicht einstellen muss, so dass ihm bei einem Sturz in den Schacht unter der Luke 100 % Schadenersatz zustehen kann. Unter Hinweis hierauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.01.2018 das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12.04.2017 (Az. 4 O 21/15 LG Bielefeld) überwiegend abgeändert.
Das beklagte Modehaus aus Bielefeld wird nach der Verletzung einer Kundin in seinen Geschäftsräumen von der klagenden Krankenkasse aus Dortmund – aus übergegangenem Recht – auf Ersatz aufgewandter Behandlungskosten in Anspruch genommen. Die seinerzeit 66 Jahre alte Kundin, Kassenmitglied der Klägerin, begab sich im März 2014 in das Modehaus, um einen Pullover für ihre Tochter zu erwerben. Im Gang zur Kasse befand sich ein Schacht im Boden mit den Maßen 2,11 m x 0,8 m, der in den darunter gelegenen Bügelkeller führte. Dessen Abdeckung stand offen. Weil sie zur Seite sah, wo sich eine Verkäuferin mit dem Geschäftsinhaber unterhielt, übersah die Kundin die offene Luke und stürzte in den Schacht. Sie erlitt diverse Verletzungen an Schulter, Oberarm, Sprunggelenk und Fuß, unter anderem eine Oberarmfraktur und eine Fraktur des Innenknöchels.“
Trotzdem: Augen auf und nicht neugierig sein, was nebenan gequatscht wird 🙂