Im RVG-Teil der Woche beginne ich heute mit einem schon etwas älteren Beschluss des OLG Dresden, der mir allerdings erst vor kurzem übersandt worden ist.
In dem OLG Dresden, Beschl v. 25.02.2021 – 2 Ws 541/19 – geht es um die Frage, ob überhaupt eine wirksame Beiordnung vorliegt, die dann dazu führt, dass die Rechtsanwältin nahc §§ 45, 48 RVG gegenüber der Staatskasse Gebühren abrechnen kann.
Die Kollegin hatte in einem Verfahren beim Jugendrichter des AG (vorsorglich) ihre Bestellung zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten beantragt. Sie ist dann vom AG der Angeklagten „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG“ bestellt worden. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das AG der Rechtsanwältin gestattet, „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG […] auf Staatskosten Fahrten zur JVA Chemnitz zur Angeklagten durchzuführen“. In der Hauptverhandlung hat die Kollegin dann die Angeklagte verteidigt. Sie hat später (Pflichtverteidiger-)Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit im Strafverfahren in Höhe von insgesamt 1.297,93 EUR einschließlich Mehrwertsteuer geltend gemacht. Den Antrag hat das AG zunächst mit der Begründung zurückgewiesen, dass gemäß § 1 Abs. 2 RVG das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht für einen Verfahrensbeistand gelte. Dagegen die Erinnerung, auf die teilweise festgesetzt worden ist. Dagegen die Beschwerde an das LG und die weitere Beschwerde zum OLG. Das OLG hat festgesetzt:
„2. Die weitere Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG statthaft, weil das Landgericht sie im angefochtenen Beschluss wegen der besonderen Bedeutung der Sache zugelassen hat. Sie ist auch begründet, weil der Antragstellerin die beantragten Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit als Pflichtverteidigerin in dem oben genannten Strafverfahren zustehen.
a) Zwar hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass die Gebührentatbestände des RVG nach § 1 Abs. 2 RVG grundsätzlich nicht auf einen Verfahrensbeistand anwendbar sind. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die am 12. April 2018 durch den Jugendrichter erfolgte Bestellung als „Beistand“ ungeachtet des Wortlauts aber als (konkludente) Bestellung zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten nach §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO auszulegen. Zwar hat der Jugendrichter die ursprüngliche Wahlverteidigerin der Angeklagten ausweislich des Beschlusswortlauts (Sitzungsprotokoll vom 12. April 2018, BI. 127 d. A.) „als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG“ bestellt. Jedoch kam eine Bestellung als Beistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Betracht, weil ein Verfahrensbeistand gemäß § 69 Abs. 1 JGG nur einem Jugendlichen bestellt werden darf und die Angeklagte am 12. April 2018 bereits 18 Jahre alt und damit keine Jugendliche mehr war. Für Heranwachsende gilt, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Vorschrift des § 69 Abs. 1 JGG nicht. Die Bestellung wäre, falls sie als Beistandsbestellung auszulegen wäre, mithin unwirksam und damit gegenstandslos gewesen. Zudem hatte die Antragstellerin bereits unter dem 22. März 2018 einen Antrag als Bestellung zur Pflichtverteidigerin gemäß § 68 JGG gestellt, welchen das Amtsgericht nicht ausdrücklich beschieden hat. Sie hat darüber hinaus zu Beginn der Sitzung am 12. April 2018 ihr Wahlverteidigermandat niedergelegt. Auch dies erschiene nur dann sinnvoll, wenn sie davon ausgegangen wäre, antragsgemäß zur Pflichtverteidigerin der Angeklagten bestellt zu werden. Weiter spricht auch der Umstand, dass der Jugendrichter mit Beschluss vom gleichen Tage der Antragstellerin gestattet hat, „auf Staatskosten Fahrten zur JVA Chemnitz zur Angeklagten durchzuführen“ dafür, dass eigentlich eine Bestellung zur Pflichtverteidigerin gewollt war. Schließlich lagen die Voraussetzungen einer Bestellung zur Pflichtverteidigerin gemäß § 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO vor. Denn angesichts der Schwere der angeklagten Taten war es nicht ausgeschlossen, dass die Angeklagte zu einer erheblichen Jugendstrafe verurteilt werden würde; der Jugendrichter hat sie letztlich tatsächlich zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Antragstellerin hat nach ihrer Bestellung zum „Beistand“ im Übrigen trotz Niederlegung des Wahlmandats wie eine Verteidigerin agiert und Termine in der JVA und den Hauptverhandlungstermin wahrgenommen, so dass die Zuerkennung der Pflichtverteidigergebühren auch angesichts der tatsächlich erbrachten Leistungen gerechtfertigt erscheint.
….“
Nun ja, im Ergebnis zutreffend. Kann man auch so begründen. Ich habe allerdings Zweifel, ob das OLG mit seinem Ansatz, das RVG sei auf den Beistand nach § 69 JGG nicht anwendbar, richtig liegt.