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Trunkenheitsfahrt des Radfahrers, oder: Wie „besoffen“ darf ein Radfahrer sein?

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Und zum Tagesschluss dann eine verkehrsstrafrechtliche Entscheidung, und zwar das KG, Urt, v. 30.03.2017 – (3) 161 Ss 42/17 (6/17), das sich zu Fragen der absolute Fahrunsicherheit bei Radfahrern verhält. Das AG Tiergarten hat den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit dem Fahrrad öffentliches Straßenland befahren hat und dabei so stark alkoholisiert war, dass eine „um 20.25 Uhr entnommene Blutprobe … einen Mittelwert von immerhin 2,00 Promille Ethanol“ ergeben hat. Dieses Verhalten hat das Amtsgericht mit Blick auf den „Forschungsbericht des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft e. V.‚ Grenzwerte für absolute Fahruntüchtigkeit bei Radfahrern’ von Daldrup, Hartung, Maatz u. a. vom August 2014“ für straflos gehalten. Der Strafrichter ist der Auffassung, die Studie „könnte nahelegen, dass die Rechtsprechung den Grenzwert von 1,6 Promille nach oben korrigieren müsste“, weshalb eine Verurteilung nach § 316 StGB nicht in Betracht komme. Gegen den Freispruch die Revision der Amtsanwaltschaft Berlin. Die hatte Erfolg.

„1. Das angefochtene Urteil verfehlt die Voraussetzungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO. Nach dieser Vorschrift muss das freisprechende Urteil ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Nach dieser Maßgabe muss das Urteil – wie im Fall des § 267 Abs. 1 StPO – den festgestellten Sachverhalt schildern, es sind also in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen festzustellen, die das Gericht für erwiesen hält (vgl. BGH NStZ 2012, 110; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 59. Aufl., § 267 Rn. 31 mwN).

Daran fehlt es hier. Den Urteilsfeststellungen ist schon nicht zu entnehmen, von welcher Blutalkoholkonzentration das Amtsgericht überhaupt ausgegangen ist. Zwar teilt das Urteil mit, dass die um 20.25 Uhr entnommene Blutprobe einen „Mittelwert von immerhin 2,00 Promille Ethanol“ aufgewiesen habe. Es versäumt jedoch die entscheidende Feststellung, wie hoch die Blutalkoholkonzentration war, als der Angeklagte die vorgeworfene Tat beging. Das Urteil verschweigt auch die Tatzeit, so dass dem Senat eine eigene Rückrechnung selbst dann verwehrt wäre, wenn ihm der Zeitpunkt des Trinkendes mitgeteilt würde. Auch dies ist allerdings nicht der Fall.

2. Lediglich informatorisch teilt der Senat mit: Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils ergibt sich, dass der Strafrichter von einer über 1,6 Promille liegenden Tatzeit-Blutalkoholkonzentration ausgegangen ist. Warum er hierin trotz entgegenstehender gefestigter Rechtsprechung (vgl. BayObLG Blutalkohol 30, 254; OLG Celle NJW 1992, 2169; OLG Hamm NZV 1992, 198; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 356; OLG Zweibrücken NZV 1992, 372; Fischer, StGB 64. Aufl., § 316 StGB Rn. 27 mwN) keine Straftat gesehen hat, hätte eingehender Darstellung und Würdigung gegebenenfalls abweichender wissenschaftlicher Erkenntnisse bedurft. Die Ergebnisse statistischer Untersuchungen und der experimentellen Alkoholforschung wären in einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und hieraus die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Folgerungen zu ziehen gewesen (vgl. BGHSt 21, 157). Die „Verweisung“ auf den „Forschungsbericht Nr. 28“, der angeblich „Aktenbestandteil“ sei (UA S. 4), verfehlt diese Anforderungen und auch die prozessualen Möglichkeiten des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Eine derart pauschale Verweisung ist schon durch den Grundsatz ausgeschlossen, dass ein Urteil aus sich heraus verständlich sein muss (vgl. BGHSt 30, 225; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 267 Rn. 2 mwN). Und offensichtlich handelt es sich bei der in Bezug genommenen 56-seitigen Studie auch nicht um eine Abbildung, auf die nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen werden könnte.“

Deutliche Worte 🙂 . Das KG scheint von der Studie nicht viel zu halten – die wird man übrigens auch kritisch sehen müssen -, sondern hält (inzidenter) wohl an dem „Grenzwert“ von 1,6 Promille fest.

Senkung der Promillegrenze für Radfahrer, oder: Wem kann man was „ans Herz legen“?

Ist denn schon wieder Sommer?, habe ich mich gefragt, als ich vorhin die Meldung zur morgen beginnenden Innenministerkonferenz gehört habe (vgl. dazu hier aus der FAZ). Denn ziemlich regelmäßig im Sommer kommen die Meldungen und Forderungen für eine strengere Alkoholgrenze bei Radfahrern. So auch heute, obwohl das Wetter nun nicht gerade sommerlich ist.

Die Grenze für die absolute Fahrunsicherheit liegt für Radfahrer derzeit – etwas vereinfacht – bei 1,6 Promille für den § 316 StGB – in der Rechtsprechung der OLG, der BGH geht wohl immer noch von 1,7 Promille aus, jedenfalls ist mir andere Rechtsprechung nicht bekannt. Liegt die BAK unter dem Wert, müssen Ausfallerscheinungen (Schlangenlinien, Kleinunfälle o.Ä.) hinzutreten, um zur Strafbarkeit zu kommen. Die Radfahrer werden also anders als die Autofahrer behandelt, bei denen man/die Rechtsprechung ab 1,1 Promille von absoluter Fahrunsicherheit ausgeht.

Nun kann man mit Recht davon ausgehen, dass für diese „Ungleichbehandlung“ kein Grund besteht. Denn ein Fahrradfahrer wird kaum erst mit 1,6 Promille absolut fahrunsicher sein. Deshalb spricht viel dafür, die Grenze bei den Radfahrern zu senken und ggf. an die für die Autofahrer geltende anzugleichen.

Nur, es geht m.E. nicht so, wie es sich offenbar die Innenministerkonferenz bzw. ihr Vorsitzender für die Frühjahrskonferenz vorstellt, nämlich: „Am Mittwoch beginnt in Hannover das Frühjahrstreffen der Innenminister (IMK). Dabei wollen die Ressortchefs den Verkehrs- und Justizministern „ernsthaft“ die Senkung der Promillegrenze ans Herz legen.“ Denn mit „ans Herz legen“ ist es nicht getan. Die Angleichung geht nicht so einfach „per order mufti“, denn wir haben es ja nicht mit einem gesetzlichen Grenzwert wie bei § 24a Abs. 1 StVG – 0,5 Promillegrenze – zu tun, den der Gesetzgeber ändern könnte, sondern mit einem von der Rechtsprechung entwickelten Grenzwert. Den Gerichten können aber die Verkehrs- und Justizminister nicht einfach mal eben so „„ernsthaft“ die Senkung der Promillegrenze ans Herz legen.“ Da muss sich schon bei den Gerichten – OLG, BGH aber auch den AG und LG – etwas bewegen, also die Rechtsprechung muss sich ändern.

Das hatte der niedersächsische Innenminister sicherlich auch gemeint. Nur: Warum sagt er es dann nicht?