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Strafzumessung III: Drei Fälle Leistungserschleichung ==> 4 Monate, oder: Da zuckt selbst das BayObLG

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Und als dritte Entscheidung des Tages dann noch den BayObLG, Beschl. v. 21.05.2019 – 203 StRR 594/19. Er nimmt Stellung zur Frage: Welche Strafe ist bei Bagatelldelikten angemessen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Leistungserschleichung in drei Fällen (Gesamtschaden: 9 €) zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die auf die Rechtsfolgen beschränkt worden war, hat das LG den Angeklagten mit Urteil vom 22.11.2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten (Einzelstrafen je zwei Monate) verurteilt (ist eben Bayern).

Das BayObLG meint:

„Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) und hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Monate zu reduzieren ist.
Die Verhängung der Einzelstrafen von jeweils zwei Monaten und der daraus gebildeten viermonatigen Gesamtfreiheitsstrafe halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, da sie angesichts der geringen Schadenshöhe und fehlender weiterer besonderer strafschärfender Kriterien keinen gerechten Schuldausgleich für das begangene Tatunrecht mehr darstellen. Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich allein Sache des Tatrichters und das Revisionsgericht kann die Entscheidung nur auf Rechtsfehler nachprüfen. Darunter fällt aber auch die Überprüfung, ob sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, ob sie also in grobem Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.07.2014, 2 OLG 2 Ss 170/14 – unveröffentlicht, OLG Hamm Beschluss vom 06.03.2014, III-1 RVs 10/14 – juris; BGH Beschluss vom 15.04.2014, 2 StR 626/13 – juris; Fischer, StPO, 66. Auflage, § 46 Rn 146, 149a).

Bei einer Verurteilung wegen eines Bagatelldelikts, wie etwa Leistungserschleichung, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Verhängung einer auch nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzzeitigen Freiheitsstrafe, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 47 StGB vorliegen. In der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung von Handlungs- und Erfolgsunwert kann nämlich ein Weniger an Erfolgsunwert (hier: geringe Schadenshöhe) durch ein Mehr an Handlungsunrecht (hier: vielfache, teils einschlägige Vorstrafen, der Angeklagte stand unter Bewährung) ausgeglichen werden. Beim Angeklagten handelt es sich um einen hartnäckigen Rechtsbrecher, der sich in der Vergangenheit weder durch Geldstrafen noch durch eine Vielzahl von Freiheitsstrafen, die zum Großteil auch vollzogen wurden, beeindrucken ließ. In derartigen Fällen ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.06.1994, 2 BvR 710/94 – juris).

Allerdings wird bei Bagatelldelikten die Dauer der Freiheitsstrafe dadurch begrenzt, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zur geringen Schadenshöhe stehen muss. Die verhängte Strafe darf sich daher weder nach oben noch nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320). Bei Leistungserschleichungen mit geringer Schadenshöhe ist auch bei hartnäckigen Wiederholungstätern, abhängig von den konkreten Strafzumessungsgründen, in der Regel die Verhängung der einmonatigen Mindeststrafe geeignet, gerechter Schuldausgleich zu sein. Die im vorliegenden Fall verhängten, darüber liegenden Einzelstrafen und die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe stellen im vorliegenden Fall aufgrund Fehlens besonderer Erschwernisgründe somit keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar.

Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist die Rechtsfolge vom Senat herabzusetzen (§ 354 Abs. 1a Satz 2 StPO). Angesichts der vom Berufungsgericht angeführten Strafzumessungserwägungen ist aus dem Strafrahmen des § 265a Abs. 1 StGB auf Einzelstrafen von jeweils einem Monat und eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Monaten zu erkennen.
(…)“

Immer noch ganz schön heftig….

Für Bagatelldelikte auch Bagatellstrafen…..

Strafzumessung bei Bagatelldelikten ist nicht einfach. Das zeigt einmal mehr der OLG Naumburg, Beschl. v. 28.06.2011 – 2 Ss 68/11. Das OLG hat eine landgerichtliche Entscheidung wegen nicht ausreichender Feststellungen des AG zum Einfluss von Persönlichkeitsstörungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und dann in einer „Segelanweisung“ zur Strafzumessung Stellung genommen. Das AG hatte die mehrfach, zum Teil einschlägig vorbestrafte und nach Aussetzung einer Restfreiheitsstrafe von ca. 10 Monaten unter Bewährung stehende Angeklagte wegen Diebstahls und Erschleichens von Leistungen in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. FDas LG hatte die Berufung der Angeklagten verworfen.

Das OLG führt u.a. aus:

…… Sowohl bei den Leistungserschleichungen als auch im Falle des Diebstahls überwiegen die für die Angeklagte sprechenden Umstände. Dennoch gelangt das Landgericht zu kurzen Freiheitsstrafen zwischen zwei und vier Monaten und zwar gestützt auf die Vorstrafen, die sich hieraus ergebende Bewährung, die Rückfälligkeit und das zwangsläufig damit einher gehende Bewährungsversagen. Diese Momente können zweifelsohne die Schuld erhöhen. Sie dürfen aber nicht dazu führen, die konkrete Tat aus dem Blick zu verlieren und ohne Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Vorstrafen und erneutem Straffälligwerden den Vorstrafen das Primat bei der Strafzumessung einzuräumen. Ist die Tatschuld gering, können auch einschlägige Vorstrafen ohne weitergehende besondere erschwerende Umstände nicht zu einem wesentlich höheren Unrechtsgehalt der Tat führen (OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Stuttgart NJW 2007, 37, 38; OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2002, 2 Ss 768/02 – zitiert in juris; Beschluss vom 10. Januar 2008, 3 Ss 491/07 – zitiert in juris). Die auf die konkrete Tat bezogene Schuld hat limitierende Funktion. Es ist nicht zulässig, die schuldangemessene Strafe aus spezial- oder generalpräventiven Gründen heraus zu überschreiten. Deshalb verbietet sich ein Automatismus, wonach einschlägige Vorstrafen selbst bei geringsten Taten stets zu einer erhöhten Strafe führen. Das Urteil des Landgerichts lässt aber genau diesen tatunabhängigen Effekt der Vorstrafen der Angeklagten und damit eine fehlerhafte Rechtsanwendung (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig/Stree, § 46 Rdn. 65 m.w.N.) besorgen. Es ist im Einzelfall natürlich nicht ausgeschlossen, eine erhöhte persönliche Schuld festzustellen und daher eine Freiheitsstrafe zu verhängen (BGH NJW 2008, 672 f. [BGH 15.11.2007 – 4 StR 400/07]; BayObLG NJW 2003, 2926, 2927 m.w.N.; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Hamburg NStZ-RR 2004, 72, 73; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 2 St OLG Ss 150/05 – zitiert in juris). Zu beachten bleiben aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, welche sich in ihrer Strafe begrenzenden Wirkung mit dem Schuldprinzip decken (BVerfG NJW 1979, 1039, 1040 [BVerfG 17.01.1979 – 2 BvL 12/77]; Beschluss vom 7. Januar 1999, 2 BvR 2178/98). Wird die schuldangemessene Strafe überschritten, ist das Übermaßverbot verletzt (OLG Hamburg aaO.). Der Tatrichter muss deshalb in Fällen wie diesem – Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten und Bagatellschäden – zu erkennen geben, dem Übermaßverbot und dem Vorrang der Tatschuld Rechnung getragen zu haben. …….“