Und die zweite Entscheidung kommt mit dem VG Koblenz, Urt. v. 10.12.2019 – 4 K 773/19.KO – ebenfalls vom VG Koblenz. Und auch mit einem Dauerbrennerthema, nämlich Fahrtenbuchauflage. Die ist dem Halter eines Motorrades auferlegt worden, mit dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden war. Es gab ein Messfoto, auf dem der Fahrer wegen des getragenen Motorradhelmes nicht zu erkennen war. Der Halter erklärte gegenüber der Bußgeldstelle bei seiner „Anhörung im Bußgeldverfahren“, er sei nicht der verantwortliche Fahrzeugführer, vielmehr habe einer seiner beiden Söhne das Motorrad zum fraglichen Zeitpunkt gefahren; im Übrigen mache er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
Daraufhin erfolgte die Abgabe der Bußgeldangelegenheit an den Ermittlungsdienst der Kreisordnungsbehörde zur Fahrerermittlung. Dieser lehnte die Durchführung der Fahrerermittlung mit der Begründung ab, anhand der vorgelegten Unterlagen sei eine zweifelsfreie Identifizierung der beiden in Betracht kommenden Fahrzeugführer, der beiden Zwillingssöhne des Klägers, nicht möglich. Daraufhin gab es dann eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 15 Monaten.
Dagegen die Klage, die Erfolg hatte:
„Rechtsgrundlage für die Anordnung der Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der Bescheid vom 29. Januar 2019 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil die Ermittlung des Fahrzeugführers, der den in Rede stehenden Verkehrsverstoß begangen hatte, nicht unmöglich war. Hierfür kommt es im Wesentlichen darauf an, ob die Ermittlungsbehörde unter sachgerechtem und rationalem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen diejenigen Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Ermittlungen nach der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Dies bedeutet, dass es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten ist, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg versprechende Ermittlungen anzustellen, falls der Fahrzeughalter erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ablehnt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 1994 – 11 B 130/93 -, nach juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, DAR 2006, S. 172). Dies gilt auch dann, wenn der Fahrzeughalter den in Frage kommenden Personenkreis weit fasst und nicht auf einzelne Personen eingrenzt; liegt eine solche Eingrenzung auf einzelne Personen hingegen vor, muss die Behörde aufgrund der dann vorliegenden konkreten Anhaltspunkte weitere Ermittlungen anstellen (vgl. Haus, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, § 31 StVZO Rn. 53 m.w.N. aus der Rspr.). Benennt der Kläger z.B. einen überschaubaren Kreis von Angehörigen, die als Verantwortliche für den Verkehrsverstoß in Betracht kommen, muss die Behörde diese Personen in der Regel befragen, da eine solche Befragung nicht von vorneherein aussichtslos erscheint (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 10 S 722/07 -, juris, Rn. 4). Entsprechende Maßstäbe gelten auch dann, wenn – wie hier der Fall – die beiden Zwillingssöhne des Fahrzeughalters als Fahrer in Betracht kommen (vgl. hierzu auch VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2014 – 6 K 4161/13 -, juris, Rn. 44 ff.). In diesem Fall ist – selbst wenn die vorhandenen Fotos eine Identifizierung des Fahrers erschweren oder gar unmöglich machen – nicht ausgeschlossen, dass einer der beiden Zwillinge die Tat eingesteht (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 45).
Hiervon ausgehend waren die von der Bußgeldstelle getroffenen Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers im vorliegenden Fall unzureichend. Gemessen an der Schwere der Tat – eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 33 km/h innerorts, die mit einem Bußgeld sowie zwei Punkten im Fahreignungsregister und einem Monat Fahrverbot geahndet wird – wäre es der Bußgeldstelle zumutbar gewesen, weitere Ermittlungen in Richtung der beiden Söhne des Klägers anzustellen. Dabei wäre es nicht nur möglich und – wie bereits ausgeführt – womöglich erfolgversprechend gewesen, diese zu befragen. Angesichts der Tatsache, dass die beiden Zwillingssöhne deutlich unterschiedliche Körpergrößen aufweisen (G pp. H pp. eine Körpergröße von 187 cm, I pp. H pp. eine Körpergröße von 179 cm, s. Blätter 35 und 37 der Verwaltungsakte), wäre es der Bußgeldstelle auch zumutbar gewesen, anhand der Radarfotos und der dort abgebildeten Kleidung und des Helmes des Fahrers weitere Ermittlungen anzustellen. Möglicherweise hätte sich nach einer Befragung der Söhne des Klägers auch ein Verdacht gegen den Kläger selbst erhärtet.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass – wie der Beklagte meint – eine Befragung der Zwillingssöhne des Klägers zu einer Strafbarkeit der Mitarbeiter der Bußgeldstelle nach § 344 des Strafgesetzbuches führen würde. Zwar kann bereits die Übersendung eines Anhörungsschreibens im Bußgeldverfahren an einen erkennbar Unbeteiligten zu einer Strafbarkeit der ermittelnden Beamten nach der genannten Vorschrift führen (vgl. LG Hechingen, Urteil vom 6. Juni 1984 – 126/83 -, NJW 1986, 1823; Hecker, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 344 Rn. 10 m.w.N.). Die Mitarbeiter der Bußgeldstelle sind in Fällen wie dem vorliegenden aber nicht gehalten, die vom Fahrzeughalter benannten Personen unmittelbar als Betroffene im Sinne des § 55 des Ordnungswidrigkeitengesetzes – OWiG – anzuhören. Vielmehr sind zunächst – gegebenenfalls unter Einschaltung der Polizei nach § 53 OWiG – weitere Befragungen und Ermittlungen anzustellen. Ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person ist hingegen erst dann einzuleiten, wenn sich ein konkreter Verdacht gegen eine bestimmte Person ergibt (vgl. Lutz, Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 53 Rn. 13). In diesem Stadium kann sich ein Bußgeldverfahren wie das hier zugrundeliegende in der Regel aber erst dann befinden, wenn die nach den Einlassungen des Fahrzeughalters als Fahrzeugführer in Betracht kommenden Personen von der Bußgeldbehörde befragt worden sind. Erst danach kann in der Regel eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob sich ein konkreter Verdacht gegen eine Person ergibt bzw. ob das Verfahren mangels Feststellung eines solchen konkreten Verdachts einzustellen ist. Dabei ist es im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, dass es sich bei den vom Fahrzeughalter benannten Personen um dessen Zwillingssöhne handelt. Da die der Bußgeldbehörde vorliegenden Radarfotos das Gesicht des Fahrzeugführers nicht eindeutig erkennen lassen, ist eine Identifizierung des Fahrzeugführers durch dessen Gesicht ohnehin nicht oder wenn überhaupt nur unter erschwerten, der Bußgeldbehörde nicht zumutbaren Bedingungen möglich.“