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StGB III: Sexueller Missbrauch durch einen Arzt, oder: Missbrauch auch bei Einverständnis der Patientin?

entnommen wikimedi.org
Urheber Rieser Bauernmuseum Maihingen

Und als dritte Entscheidung stelle ich das OLG Hamm, Urt. v. 27.09.2022 – 5 RVs 60/22 – vor. Es geht noch einmal um sexuellen Missbrauch, und zwar der sexuelle Missbrauch eines Arztes – also § 174c StGB -, allerdings in der „Sonderform“: Mit Einverständnis der Patientin.

Das AG hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte Rechtsmittel und die Staatsanwaltschaft Berufung zu seinen Ungunsten eingelegt. Im Berufungshauptverhandlungstermin hat die Staatsanwaltschaft die Berufung zurückgenommen. Das LG hat dann das AG-Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Dagegen nun die Revisionen der Nebenklägerin und der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatten.

Die Feststellungen des LG lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen – wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext: Die Nebenklägerin befand sich wegen eines Frozen-Shoulder-Syndroms sowie diffuser Schmerzen im linken Oberschenkel in der Behandlung des Angeklagten, welcher als Orthopäde und Osteopath eine Privatpraxis betreibt. Die ganzheitlich ausgerichtete Behandlung fand an über 30 Terminen statt und umfasste in etwa zur Hälfte der Behandlungseinheiten auch ein Persönlichkeitscoaching der Nebenklägerin. Nach Besserung der Beschwerden brachte die Nebenklägerin dem Angeklagten immer mehr Zuneigung entgegen; es entstand zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin eine sexuelle Anziehung. Bei einer Behandlung griff der Angeklagte unter dem Slip der Nebenklägerin mit deren Einverständnis an deren Vagina. Bei zwei weiteren Terminen führte er seinen erigierten Penis in ihren Mund, wobei in einem Fall die Nebenklägerin nach einer Nachricht mit sexuellem Kontext sich zu der mittlerweile geschlossen Praxis des Angeklagten begab. Bei nächster Gelegenheit küssten sich beide in Form eines Zungenkusses, nachdem sich die Nebenklägerin beschwert hatte, er küsse sie nicht.

Die getroffenen Feststellungen hat das Landgericht vor allem auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt. Der Aussage der Nebenklägerin, dass sie sich bei der ersten Behandlung lediglich wegen Schmerzen an das Bein des Angeklagten gekrallt habe und weder ihre eigenen Handlungen eine sexuelle Komponente besessen hätten noch das weitere Vorgehen mit ihr abgesprochen gewesen sei, hat das Landgericht keinen Glauben geschenkt.

In rechtlicher Hinsicht liege – so das LG – kein Missbrauch eines Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses nach § 174c StGB vor, da der Angeklagte nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht seine Autoritäts- und Vertrauensstellung ausgenutzt habe. Die Annäherung an den Angeklagten sei von der Nebenklägerin ausgegangen. Diese sei nicht von seiner Autorität als behandelndem Orthopäden eingeschüchtert und eingenommen gewesen, sondern habe selbstbestimmt eine weitergehende Vertiefung der Beziehung gesucht.

Das OLG hat aufgehoben. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext. Zu der Entscheidung gibt es folgende Leitsätze:

    1. Auch wenn die Patientin oder der Patient mit den sexuellen Handlungen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses ausdrücklich einverstanden ist, versteht es sich in den meisten Fällen von selbst, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis i.S.v. § 174c StGB missbraucht. An einem Missbrauch fehlt es hingegen ausnahmsweise dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung ausgenutzt hat.
    2. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen. Wesentlicher Maßstab ist, ob sich Art und Patient/Patientin auf „Augenhöhe“ begegnet sind. Hierzu ist ggf. eine umfassende Darstellung der Kommunikation und der Beziehung der Beteiligten innerhalb und außerhalb von Behandlungsvorgängen, der Initiative zu sexuellen Handlungen und der Hintergründe der Fortsetzung der Behandlung nachdem es zu ersten sexuellen Handlungen gekommen ist, erforderlich.