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Aktenversendungspauschale, oder: Wie ist das bei elektronischer Aktenführung?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den AG Rottweil, Beschl. v. 27.08.2020 – 5 OWi 259/20. Die habe ich mir beim Kollegen Gratz vom VerkehrsrechtsBlog „geklaut“. Das AG nimmt zum Anfall der Aktenversendungspauschale (§ 107 Abs. 5 OWiG) in den Fällen der elektronischen Aktenführung gemäß § 110a Abs. 1 OWiG Stellung. Deren Anfall hatten die meisten AG, die sich mit der Frage befasst haben, in der letzten Zeit verneint. Das AG Rottweil sieht das für Baden-Württemberg anders:

„Der nach § 108 Abs. 1 Nr. 3 OWiG zulässig erhobene Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet abgewiesen.

1. Nach § 107 Abs. 5 OWiG kann von demjenigen, der – wie der Rechtsanwalt des Betroffenen mit Schreiben vom 08.07.2020 – die Versendung einer Akte beantragt, eine Auslagenpauschale in Höhe von 12,00 € erhoben werden. Hierbei ist die Akteneinsicht in der durch § 32f StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG vorgeschriebenen Form zu gewähren.

2. In der Rechtsprechung etlicher Amtsgerichte ist insoweit anerkannt. dass bei mangelhafter oder unvollständiger Aktenführung die Auslagenpauschale nicht zu erstatten bzw. erst dann fällig wird, wenn Akteneinsicht im Rechtssinne gewährt worden ist (Vgl. Hierzu beispielsweise: AG Eutin Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09 und AG Soest. Beschl. vom 14.09.2016 – 21 OWi 295/16).

Die Versendung eines Aktenauszugs, d.h. eines Teils der Akte, hat daher nicht das Entstehen der Aktenversendungspauschale zur Folge, da diese nur entsteht, wenn das Begehren auf Akteneinsicht vollständig gewährt worden ist (AG Gelnhausen, Beschl. v. 5.3.2018 – 44 OWi 57/17).

In diesem Zusammenhang ist weiterhin anerkannt, dass die Erhebung der Aktenversendungspauschale bei einer elektronisch geführten Akte zwingend voraussetzt, dass der Aktenauszug den von § 110 d OWiG a.F. aufgestellten Voraussetzungen genügt und einen zusätzlichen Vermerk betreffend die qualifizierte Signatur des elektronischen Dokuments aufweisen muss (AG Lüdinghausen NStZ 2016, 163, beck-online ). Als zwingend wurde es insoweit insbesondere angesehen, dass das elektronische Dokument nach § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. den Vermerk enthält, wann und durch wen die Unterschrift übertragen worden ist (AG Eutin Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09).

Dieser Rechtsprechung ist insoweit zuzustimmen, als dass durch § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. nachträglich die Feststellung ermöglicht werden sollte, wann und durch wen die Urschrift in elektronische Form übertragen worden ist (BeckOK OWiG/Valerius, OWiG § 110b Rn. 4). Zweck dieser Rechtsprechung war es demnach die Behörden dazu anzuhalten, die Vorgaben zu der Führung einer elektronischen Akte zu beachten. Gerade mit Blick auf den Zweck des § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F., der dazu diente die Korrespondenz zwischen Urschrift und Scan – der letztlich Gegenstand des nachfolgenden Verfahrens werden wird – sicherzustellen.

Die zu § 110b OWiG aF und § 110d OWiG aF ergangene Rechtsprechung , die die Pflicht zur Zahlung der Gebühr bei mangelhafter oder unvollständiger Aktenführung verneinten, ist dem Grunde- auch nach der Novellierung der Normen weiterhin anwendbar (Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 110c Rn. 15).

3. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch insoweit von der zuvor zitierten Rechtsprechung, als dass weder eine Verfahrensvorschrift verletzt wurde, der eine dem § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F vergleichbare Bedeutung zukommt, noch dass die Aktenausdrucke lückenhaft übersendet worden sind.

a) Auch wenn in Baden-Württemberg noch keine Rechtsgrundlage für die elektronische Führung von Akten erlassen worden ist (AG Bühl, Beschl vom 31.07.2020 – 1 OWi 41 /20, das i.E. allerdings anderer Ansicht ist), führt dies – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht zu dem Entfallen der Aktenversendungspauschale.

b) Das OLG Koblenz Beschl. v. 6.9.2016 – 1 OWi 3 SsRs 93/16 stelle für das Bundesland Rheinland-Pfalz fest, dass die Zentrale Bußgeldstelle die digitale Aktenführung ohne Rechtsgrundlage betreibt, da die nach jetziger Rechtslage gem. § 110a OWiG erforderliche Rechtsverordnung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erlassen worden ist.

Allerdings stellte das OLG Koblenz ebenfalls fest, dass diese Feststellung nicht dazu führt, dass ein Bußgeldbescheid, der seine Grundlage in einer elektronisch geführten Akte hat, und der mit der dortigen EDV-Anlage in Papierform hergestellt worden ist, alleine deshalb unwirksam ist bzw. alleine deshalb nicht Grundlage einer Verurteilung auf Grundlage des OWiG sein kann.

Nichts anderes kann in dem Ergebnis gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall kein Bußgeldbescheid, sondern ein selbstständiger Kostenbescheid seine Grundlage in einer elektronisch geführten Akte findet. Ebenso wie ein derartiger Bußgeldbescheid Grundlage einer bußgeldrechtlichen Ahndung sein kann, kann ein selbstständiger Kostenbescheid Grundlage für die Anforderung der Aktenversendungspauschale sein und führt nicht pauschal zu der Unwirksamkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Kostenbescheids.

c) In Anwendung der zuvor entwickelten Grundsätze, ist maßgeblich für die Abweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, dass die elektronische Akte weder mangelhaft geführt noch unvollständig übermittelt worden ist.

Auch von Seiten des Antragstellers werden keine diesbezüglichen Mängel an der Aktenführung vorgebracht. Insbesondere wurde gegen keine Norm verstoßen, der eine ähnlich hohe Bedeutung wie § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F zukommen würde, dessen Aufgabe es war die Integrität der elektronisch geführten Akte sicherzustellen.

Gerügt wird einzig das Fehlen der gem. § 110a OWiG erforderlichen Rechtsverordnung. Sofern von Teilen der Rechtsprechung die Anforderung an die elektronische Führung von Akten nun dahingehend verschärft wird, dass eine Aktenverendungspauschale nur gefordert werden können soll, wenn die Akte zulässigerweise, d.h. auf Grundlage einer Rechtsverordnung geführt wird, folgt das erkennende Gericht dieser Auffassung – aus den zuvor genannten Gründen- nicht (a.A. bspw. AG Pirmasens Beschl. v. 13.4.2017- 1 OWi 424/16).“

LG Göttingen: Erstattung von Kopien der elektronischen Akte, oder: Mittagspause und Längenzuschlag

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Am heutigen Freitag dann – wie gewohnt – RVG-Fragen.

Und den Opener mache ich mit dem LG Göttingen, Beschl. v. 3.3.2020 – 6 Ks 25 Js 14421/18 (11/18). Der behandelt zwei Fragen, nämlich die nach der Erstattung von Kopien der elektronischen Akte und die nach Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger.

Der antragstellende Kollege, der Kollege Wieseman aus Northeim, Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Mordes. Im Verlauf des Strafverfahrens bekam er Akteneinsicht durch Überlassung eines elektronischen Aktendoppels auf einem Datenträger in einem allgemein lesbaren PDF-Format. Nach Abschluss des Verfahrens hat er die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung beantragt. Er hat u.a. auch für vier Hauptverhandlungstage die sog. Längenzuschläge Nr. 4122 VV RVG in Höhe von jeweils 212,- EUR sowie eine Pauschale in Höhe von 1.029,25 EUR für 6.745 Ausdrucke aus den Verfahrensakten geltend gemacht. Diese Gebühren und Auslagen sind nicht festgesetzt worden. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt, das hinsichtlich der Längenzuschläge Erfolg hatte.

Ich will hier nicht die gesamte recht umfangreich begründete Entscheidung einstellen, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Hier nur (meine) Leitsätze, und zwar:

  1. Der Ausdruck einer vollständigen elektronischen Akte, die dem Rechtsanwalt zur dauerhaften Nutzung überlassen wurde, ist grundsätzlich nicht erforderlich. Wenn die elektronischen Akten durch Ordner und Verzeichnisse übersichtlich gestaltet sind und nach gewünschten Informationen deshalb gezielt gesucht werden kann, ist dem Verteidiger die Arbeit mit ihnen am Computerbildschirm zuzumuten.
  2. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine in die Mittagszeit fallende Unterbrechung als Mittagspause gelten und deshalb sollen und deshalb von der für die Ermittlung eines Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer abzuziehen ist, ist von Bedeutung, ob die (ungefähre) Dauer der Unterbrechung bereits vor Verhandlungsbeginn an dem jeweiligen Tag absehbar ist und der Pflichtverteidiger sich auf diese Unterbrechung hat einstellen können.

Und folgende „Anmerkung“: Die Auffassung des LG zur Erstattungsfähigkeit der Kopien entspricht wohl dem „Mainstream“ in der Rechtsprechung der OLG (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A. Auslagen aus der Staatskasse [§ 46 Abs. 1 und 2], Rn 248 ff). Teilweise werden die Fragen aber auch differenzierter gesehen (Vgl. z.B. OLG Nürnberg RVGreport 2017, 388 = StraFo 2017, 297 = AGS 2018, 73). Es ist m.E. bedauerlich, dass sich das LG damit nicht befasst, sondern (einfach) seinem OLG folgt und diese unpraktikable Rechtsprechung fortschreibt. Denn es schreibt sich leicht, wie einfach man mit einer PDF-Datei umgehen kann. In der Praxis des Verfahrens sieht das dann, wie man von Verteidigern hört, ganz anders aus. Nicht alle JVAs sind so gut gerüstet, dass sie für den Verteidiger und seinen Mandanten Notebooks u.a. vorhalten und/oder den Einsatz von Notebooks ohne Probleme erlauben.

In der Frage der Längenzuschläge wird man dem LG aber folgen können. Wenn man schon nicht auch Mittagspausen generell zur Hauptverhandlungszeit rechnet, dann muss man aber zumindest eine Unterbrechung in der „Mittagszeit“ darauf hin überprüfen, ob es sich um eine geplante/vorhersehbar Mittagspause i.e.S. gehandelt hat oder eben doch nur um eine Unterbrechung, die zufällig in die Mittagszeit gefallen ist (vgl. dazu auch. KG RVGreport 2007, 305 = StRR 2007, 238; OLG Jena RVGreport 2008, 459 = StRR 2008, 478 2; LG Osnabrück StRR 2011, 207).