Am Beginn der 13 KW. – der ersten „Kontaktverbotwoche“, mal sehen wie lange es dauert, wir haben es selbst in der Hand – dann gleich etwas schwerere Kost. Im OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2020 – 3 RVs 1/20 – geht es nämlich – leider – mal wieder um die Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB).
Gegenstand des Verfahresn ist die Veröffentlichung auf einer Internetseite. Dort hatte der Angeklagte einen Artikel veröffentlicht, in dem er den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde u.a. als „der freche Juden-Funktionär“ bezeichnet hat. Das AG und das LG haben ihn wegen Volksverhetzung verurteilt. Das OLG Hamm sieht das ebenso:
„2) Die näher ausgeführte Sachrüge vermag die Revision ebenfalls nicht zu begründen.
Soweit die Revision ausführt, die Äußerung des Angeklagten sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, ist dies unzutreffend. Denn bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen des Angeklagten hat das Landgericht die Anforderungen beachtet, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben.
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt nicht vorbehaltlos. Es findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 130 StGB n.F. gehört (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2002 – 1 BvR 232/97 -, juris, Rdnr. 9). Zutreffend ist zwar insoweit, dass die Verurteilung wegen einer Äußerung gegen Art. 5 Abs. 1 GG verstößt, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 28. März 2017 – 1 BvR 1384/16 -, juris, Rdnr. 17 m.w.N.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Kriterien für die Auslegung sind neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext, in welchem die umstrittenen Äußerungen stehen, auch für die Zuhörer bzw. Leser erkennbare Begleitumstände, unter denen die Äußerungen fallen. Es ist deshalb von Bedeutung, ob sich die Äußerungen an einen in irgendeiner Richtung voreingenommenen Zuhörerkreis richten und ob den Zuhörern die politische Einstellung des Angeklagten bekannt ist. Diese Umstände können Hinweise darauf geben, wie der durchschnittliche Zuhörer die Äußerungen auffassen wird (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 4 StR 283/05 -, juris Rdnr. 12).
Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Deutung des Landgerichts keinen rechtlichen Bedenken. Nach dem Wortlaut und unter Berücksichtigung des Erklärungszusammenhangs, in welchem die umstrittenen Äußerungen fielen, kam vielmehr eine andere, nicht dem Tatbestand des § 130 StGB unterfallende Auslegung nicht in Betracht. Denn der wörtlich im Berufungsurteil wiedergegebene Text ist nach Auffassung des Senats auch unter Berücksichtigung seines Kontextes nicht mehrdeutig und lässt im Ergebnis nur die auch vom Landgericht vorgenommene Auslegung zu. Der Angeklagte spricht von dem Zeugen E als „der freche Juden-Funktionär“. Der Begriff des „frechen Juden“ gehört zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus. Ohne Zweifel handelt es sich bei der Verwendung dieser Begrifflichkeit um eine auf die Gefühle des Adressaten abzielende, über bloße Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer feindseligen Haltung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, so dass diese Äußerung ein „Aufstacheln zum Hass“ im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt.
Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass bei der Bezeichnung als „Jude“ angesichts der Begleitumstände des Gebrauchs im Einzelfall eine Verletzung der Menschenwürde vorliegen könne und zwar insbesondere dann, wenn sich der sich Äußernde – wie hier – mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere oder seine Äußerungen sonst damit in Zusammenhang stünden. Die in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgte menschenverachtende Art der Stigmatisierung von Juden als Juden und die damit implizit verbundene Aufforderung an andere, sie zu diskriminieren und zu schikanieren, – so das Bundesverfassungsgericht – gebieten auch heute eine besondere Sensibilität im Umgang mit der Bezeichnung eines anderen als Juden. Das sei auch bei der Deutung einer Äußerung im Rahmen einer strafrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6. September 2000 – 1 BvR 1056/95 -, juris, Rdnr. 43).
Hier hat der Angeklagte im Kontext Bezüge zum Nationalsozialismus hergestellt, indem er beispielsweise „ein Buch über vorbildliche und bewährte Männer der Waffen-SS“ erwähnt. Dabei kann entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung dahinstehen, ob der Angeklagte hierbei „nur“ einen Buchtitel zitiert, oder ob er selbst die Männer der Waffen-SS für vorbildlich und bewährt hält, so dass eine weitergehende Aufklärung durch das Landgericht insoweit entbehrlich war. Denn selbst wenn es sich hierbei „nur“ um einen Buchtitel gehandelt haben sollte, ändert dies an der Auslegung seiner eindeutig judenfeindlichen Äußerung „der freche Juden-Funktionär“ nichts.
Dass der Angeklagte den eindeutig nationalsozialistischen Sprachgebrauch vom „frechen Juden“ um das mittels eines Bindestrichs angefügte Substantiv „Funktionär“ erweitert, führt ebenfalls nicht dazu, dass seine Äußerung zu einer anderen Auslegung führt. Dabei hat der Senat nicht übersehen, dass es sich bei der Veröffentlichung des Angeklagten um eine Reaktion auf einen Beitrag des WDR gehandelt hat, in dem der Zeuge E als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde F-T interviewt worden war. Entgegen der Auffassung der Revision ist es hier fernliegend, dass allein die Eigenschaft des Funktionärs Ziel der Kritik des Angeklagten gewesen sei. Denn wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte es der nationalsozialistisch geprägten und vorangestellten Kombination der Worte „freche“ und „Jude“ sowie der Einleitung des Satzes mit: „Noch dreister gebärdet sich (…)“ nicht bedurft. Dass der einschlägig wegen Volksverhetzung vorbestrafte Angeklagte die o.g. Begrifflichkeiten dennoch in diesem Zusammenhang genutzt hat, lässt nur darauf schließen, dass es ihm gerade auf den herabwürdigenden und an den Nationalsozialismus anknüpfenden Sprachgebrauch ankam.“