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Entfernen vom Unfallort, oder: Arglistige Obliegenheitsverletzung im Sinne des VVG

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Die zweite Entscheidung, das LG Osnabrück, Urt. v. 26.03.2020 – 9 S 166/19 – ist auch schon nicht mehr „ganz jung“. Es hängt schon etwas länger in meinem Blogordner, Heute dann aber endlich 🙂 .

Das LG hat sich zu den Voraussetzungen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung i.S. von § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort geäußert..

Gestritten worden ist über das Bestehen eines Zahlungsanspruches aus einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Für das Fahrzeug des Beklagten bestand bei derm eine Haftpflichtversicherung. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung zugrunde. Der Beklagte war mit dem vorbenannten Fahrzeug am 25.10.2017 in O. in einen Verkehrsunfall verwickelt. Bei diesem Verkehrsunfall wurde ein weiteres Fahrzeug der Marke Toyota,  welches von Herrn P. geführt wurde, beschädigt. Herr P. zeigte gegen Mittag des 25. 10.2017 den Vorfall bei der Polizei an. Gegen Spätnachmittag/ Abend nahm die Polizei Kontakt mit dem Beklagten auf. Der Beklagte wurde am 26.03.2018 vom AG Osnabrück  wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie einer Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldzahlung verurteilt.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Beklagte eine Obliegenheitsverletzung begangen hat, da er sich unerlaubt vom Unfallort entfernte und erst 11 Stunden nach dem Unfall als Täter ermittelt werden konnte. Das AG hat die Klage nach Anhörung des Beklagten sowie Vernehmung der Zeugen P., M., J. und S. abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass der Beklagte nicht zu ihrer Überzeugung eine Obliegenheitsverletzung arglistig begangen habe. Dem Beklagten sei der Kausalitätsgegenbeweis gelungen. Die Obliegenheitsverletzung habe die Regulierung nicht nachteilig beeinflusst.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Die hatte beim LG Erfolg:.

„Der Beklagte haftet dem Kläger aus § 116 Abs. 1 S. 2 VVG in Verbindung mit Ziffern E.1.2, E.7.1, E.7.2, E.7.3 AKB, § 28 Abs. 3 VVG auf Rückzahlung von 2.162,26 €. Die Forderungshöhe ist von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt worden.

Gemäß § 28 Abs. 3 VVG ist der Versicherer, auch wenn die Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistung des Versicherers ursächlich ist, nicht zu Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe nicht den Nachweis erbracht, dass der Beklagte arglistig die Obliegenheit verletzt habe.

Der Vorwurf der Arglist setzt keine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers voraus. Vielmehr genügt bereits das Bestreben, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche zu beseitigen. Arglistig handelt der Versicherungsnehmer schon dann, wenn er die Obliegenheit bewusst begeht und dabei billigend in Kauf nimmt, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann, vgl. BGH VersR 2011, 1121.

Die Kammer teilt die Auffassung, welche in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, wonach nicht jedes unerlaubte Entfernen vom Unfallort pauschal als Arglist im Sinne der versicherungsrechtlichen Regelung zur Obliegenheit angesehen werden kann. Es sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls entscheidend, vgl. BGH, r + s 2013, 61.

Für das Vorliegen von Arglist ist der Versicherer, mithin der Kläger, beweispflichtig.

Ein Beweis ist gemäß § 286 ZPO erbracht, wenn das Gericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Dies erfordert keinen absoluten Grad an Gewissheit. Vielmehr ist ein solcher Grad an Gewissheit ausreichend, der Zweifeln Schweigen gebietet, vgl. Greger in Zöller, 33. Auflage 2020, § 286, Rdnr. 19.

Das Berufungsgericht ist zwar gemäß § 529 ZPO grundsätzlich an die Feststellungen des Amtsgerichts gebunden, es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Vorliegend hat das Amtsgericht die Angaben des Beklagten nicht hinreichend gewürdigt und hinterfragt.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Osnabrück spricht für ein arglistiges Verhalten des Beklagten sein Verhalten gegenüber den strafrechtlichen Ermittlungsbehörden. Nachdem er zunächst am Unfalltag den Unfall und dessen Bemerken gegenüber den Polizeibeamten eingeräumt hat, hat er im Rahmen einer anschließenden Aussage vor der Polizei den Vorfall hingegen in Abrede gestellt. Im Rahmen des Strafverfahrens hat der Beklagte zunächst angegeben, dass ihm nichts aufgefallen sei und er seine Fahrt fortgesetzt habe. Erst nach einer Unterbrechung des Verfahrens hat der Beklagte eingeräumt, dass er nervös geworden sei und deswegen weitergefahren sei. Ihm tue sein Fehlverhalten leid. Er habe gemerkt, dass etwas geschürft habe.

Ebenfalls berücksichtigt die Kammer den Fahrweg, den der Kläger nach dem Unfall zur Schule genommen hat. Wie die Kammer im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung über die Berufung nach Anhörung des Klägers mitgeteilt hat, ist ein solcher Streckenverlauf nicht plausibel nachvollziehbar. Nach Ansicht der Kammer belegt die Fahrstrecke vielmehr, dass der Kläger beabsichtigte, seinen Verfolger, den geschädigten Herrn P., abzuhängen. Im Unterschied zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. Februar 2018, 20 U 188/17, ist auch nicht ersichtlich, dass der Unfall von einem Dritten bemerkt worden ist und daher eine Verzögerung nicht zu befürchten ist. Darüber hinaus hat der Kläger sich auch nicht unmittelbar nach Schulschluss darum bemüht, seine Beteiligung am Unfallgeschehen gegenüber den Ermittlungsbehörden aus eigenem Antrieb kundzutun.

Schließlich hat der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass er Kontakt mit einem Rechtsanwalt aufgenommen hat. Er war sich mithin seiner Verpflichtung, gegenüber den Strafermittlungsbehörden seine Beteiligung anzugeben, bewusst. Der ihm erteilte Rat, sich nicht zu melden, vermag dieses Fehlverhalten nicht zu entschuldigen.

In einer solchen Situation ist nach Ansicht der Kammer von einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung auszugehen. Nach Ansicht der Kammer hat der Beklagte auch billigend in Kauf genommen, dass sein Verhalten die Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Hierbei berücksichtigt die Kammer, dass der Kläger nicht Eigentümer des Fahrzeuges ist. Wie sich aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft O. ergibt, ist Eigentümerin des Fahrzeuges die Großmutter des Beklagten

Der Kläger hat mithin den Nachweis einer arglistigen Obliegenheitsverletzung erbracht.“

„… meine Fahrzeugdaten im EDR lasse ich nicht auslesen“, oder: Obliegenheitsverletzung bei der Kaskoversicherung?

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Im Verkehrszivilrecht – ja: „Kessel Buntes“ stelle ich heute zunächst das LG Köln, Urt. v. 26.03.2020 – 26 O 236/19 – vor. Es behandelt eine m.E. ganz interessante Frage, und zwar:

Der Kläger verlangte von der Beklagten als Kaskoversicherung eine Leistung anlässlich eines von ihm behaupteten Versicherungsfalls. der vom Kläger geschilderte Unfallhergang wird von einem Sachverständigen angezweifelt. Die beklagte Versicherurng geht davon aus, dass durch das Auslesen der im Fahrzeug vorhandenen Daten, insbesondere dem sogenannten Event-Data-Recorder (EDR) der Eintritt des Versicherungsfalls umfänglich überprüft werden konnte. Es legt deshalb dem Kläger eine Einwilligungserklärung mit der Bitte vor, dass er diese gegenzeichnet und die Untersuchung des Fahrzeuges/das Auslesen der Daten durch einen von der Beklagten eingeschalteten Sachverständigen gestattet. Der Kläger verweigert das. Die Beklagte verweigerte daraufhin die Leistung aus der Kaskoversicherung mit dem Hinweis auf eine Obliegenheitsverletzung des Klägers. Der Kläger erhebt dann Klage, die vom LG Köln abgewiesen wird:

„Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Entschädigungsanspruch nach A.2.3.2, A.2.7.1 AKB. Keine Partei hat vorgetragen, dass die vorgelegten AKB in den entscheidungserheblichen Passagen mit den vorgelegten AKB entsprechen würden.

Die Beklagte ist nach E.5.2 AKB i.V.m, § 28 Abs. 2 WG leistungsfrei.

Der Kläger hat seine Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.3. AKB arglistig verletzt.

Danach hat der Kläger der Beklagten Untersuchungen zu den Umständen des Schadensereignisses sowie zu ihrer Leistungspflicht zu ermöglichen, soweit ihm dies zumutbar ist.

Durch seine Weigerung, den Fahrzeugdatenspeicher auslesen zu lassen, hat der Kläger hiergegen verstoßen.

Die Beklagte hatte an der Auslesung ein auf der Hand liegendes berechtigtes Interesse, weil diese Aufschluss über etwa aufgetretene technische Fehler geben konnte, die der Beklagten im Rahmen ihrer Regulierungsprüfung eine Einschätzung erlaubte, ob es sich um ein manipuliertes Schadensereignis handelt oder nicht.

Es sind keine Umstände dafür ersichtlich, dass dem Kläger die Gestattung der Speicherauslesung unzumutbar gewesen wäre. Soweit er darauf abstellt, dass die Beklagte aus der Auslesung Rückschlüsse auf sein Fahrverhalten ziehen könnte, macht er deutlich, dass ihm klar war, um was es geht, und dass er eben dies durch seine Weigerung verhindern und der Beklagten eine wichtige Erkenntnisquelle für ihre Regulierungsprüfung verschließen wollte.

Dieses Verhalten des Klägers war arglistig, weil er erkennbar auf die Regulierungsentscheidung der Beklagten Einfluss nehmen wollte, zumindest in der Form, die Prüfung aufgrund verringerter Tatsachenbasis für sich unkomplizierter und zügiger zu gestalten.

Dafür, dass die Beklagte die Auslesung begehrt hat, um für die Regulierung irrelevante Informationen zu erlangen, ist nichts ersichtlich.

Selbst wenn man von einer nur vorsätzlichen Aufklärungsobliegenheitsverletzung des Klägers ausgehen würde, bliebe es bei der Leistungsfreiheit der Beklagten. Das Fahrzeug ist nach Polen verkauft und der Kläger geht selbst davon aus, dass das Fahrzeug für eine Untersuchung nicht zur Verfügung steht. Folglich kann er auch den Kausalitätsgegenbeweis nicht führen.“