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Strafbefehl I: Ein Reichsbürger als Angeklagter, oder: Wenn der Angeklagte nicht Angeklagter sein will

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In die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen aus dem Strafbefehlsverfahren.

Den Opener mache ich mit einer – für mich skurrilen – Verfahrenslage im Strafbefehlsverfahren. Es handelt sich um das AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 17.09.2024 – 21 Cs-130 Js 322/24-358/24 -, über das ja auch schon anderweitig berichtet worden ist. Wenn man es liest, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Nicht über die Entscheidung sondern über den Angeklagten, der kein Angeklagter sein will.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten ist ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung über eine Geldstrafe erlassen worden. Gegen den hat Angeklagte „sinngemäß Einspruch eingelegt“. Sowohl aus dem Einspruchsschreiben als auch aus mehreren weiteren Eingaben des Angeklagten war für das AG erkennbar, dass der Angeklagte dem Reichsbürgermilieu zuzuordnen ist und die Legitimation des Gerichts wie auch die Legitimität des Verfahrens in Zweifel zog.

Das Gericht beraumt dann Hauptverhandlung an, das persönliche Erscheinen des Angeklagten wird angeordnet und er wird über die Folge eines etwaigen Ausbleibens in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß belehrt. Die Ladung wird dem Angeklagten ordnungsgemäß zugestellt worden (Anmerkung: In der veröffentlichten Entscheidung können die Daten nicht stimmen.

Bei Aufruf der Sache zur Hauptverhandlung erscheint im Saal dann

„eine männliche Person. Auf Nachfrage des Gerichts, ob sie der Angeklagte sei, erklärte diese: „Ich bin selbst nicht der Angeklagte. Aber ich bringe Ihnen den Angeklagten“, und legte die Abschrift einer Geburtsurkunde des Angeklagten auf die Angeklagtenbank. Die Person selbst blieb mittig im Saal stehen.

Der Richter forderte die männliche erschienene Person auf, auf der Angeklagtenbank Platz zu nehmen, sofern er der Angeklagte sei und wies darauf hin, dass er den Einspruch gegen den Strafbefehl verwerfen werde, wenn die Person sich nicht als der Angeklagte zu erkennen geben und als solcher an der Hauptverhandlung teilnehmen werde.

Die männliche Person erwiderte darauf: „Ich setzte mich nicht dahin, weil ich nicht der Angeklagte bin. Ich bin auch nicht hier, den Angeklagten zu verteidigen. Ich habe großen Respekt und bin mit diesem hierhergekommen. Die Person, die hier angeklagt wurde, ist hier. Das ist die Urkunde, die dort liegt. Ich bin nur ein Mensch. Ich bin als ein Angehöriger der Allgemeinheit hier anwesend. Ich bin ein Mensch. Eine Person kann nur benutzt werden. Der Angeklagte ist da, er ist diese Urkunde. Die Person ist die Geburtsurkunde. Wer für diese Person spricht, ist dem Staat überlassen. Ich als Angehöriger der Allgemeinheit bin für den Angeklagten heute da. Mir gehört aber die Person nicht. Dem Staat gehört die Person. Ich kann nicht für die Person sprechen. Ich habe kein Mandat des Staats, um die Person zu verteidigen. Wir sind alle nur Menschen. Sie sind auch nur ein Mensch und haben kein Recht, hier zu urteilen“.

Das AG hat den Einspruch dann verworfen:

„Die Entscheidung beruht auf §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 StPO in entsprechender Anwendung. Nach dieser Norm ist der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl zu verwerfen, wenn weder er noch ein Verteidiger bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins erscheinen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Vorliegend ist der Angeklagte zwar mutmaßlich körperlich erschienen, denn es spricht einiges dafür, dass eine Person, die Kenntnis von dem Hauptverhandlungstermin hat und über dessen Geburtsurkunde verfügt, der Angeklagte ist. Der Angeklagte hat aber seine Identität als die angeklagte Person nachhaltig bestritten und sich geweigert, in der Rolle des Angeklagten an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dieser Fall steht bei wertender Betrachtung dem genannten gesetzlich geregelten Fall des Nichterscheinens gleich.

Der Normzweck der Ausnahmebestimmung über die Verwerfung der Berufung (der entsprechend auf die Verwerfung des Strafbefehls anwendbar ist) wegen Nichterscheinens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch unentschuldigtes Ausbleiben, durch eigenmächtiges Sich-Entfernen oder durch schuldhafte Herbeiführung von Verhandlungsunfähigkeit den Abschluss des Verfahrens verzögert (vgl. Ullenboom, StV 2019, 643). Ziele einer Verwerfung der Berufung oder der Sachentscheidung in seiner Abwesenheit sind demnach die Beschleunigung des Verfahrens (vgl. BGH, Beschl. v. 10.08.1977 – 3 StR 240/77, NJW 1977, 2277) und die Missbrauchsabwehr (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 08.07.2013 – III-2 Ws 354/13, zit. n. juris). Für ein Erscheinen in diesem Sinne genügt vor diesem Hintergrund nicht schon jede körperliche Anwesenheit des Angeklagten, sondern es erfordert auch, eine Sachentscheidung über seine Berufung nicht dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (vgl. BGH, Beschl. v. 06.10.1970 – 5 StR 199/70, NJW 1970, 2253; BGH, Urt. v. 03.04.1962 – 5 StR 580/61, NJW 1962, 1117). Zu fordern ist auch, sich als Angeklagter zu erkennen zu geben, auf Frage des Gerichts gemäß § 111 Abs. 1 OWiG Angaben zu seiner Identität zu machen und sich so als Angeklagter und Berufungsführer auszuweisen; hierdurch wird sein Recht, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, nicht berührt (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 27.04.2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22, BeckRS 2022, 9205; LG Berlin, Urt. v. 05.12.1996 – (574) 55/141 PLs 4163/95 Ns 93/96, NStZ-RR 1997, 338).

Die Anwesenheit des Angekl. im Fall des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO hat nämlich den Zweck, die Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu ermöglichen, wozu die schlichte körperliche Anwesenheit des Angekl. nicht genügt; notwendig ist, dass der Angeklagte zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung erscheint. Der Ausdruck „nicht erschienen“ ist dann dahingehend zu verstehen, dass nur der Angeklagte erschienen ist, der leiblich am Ort der Hauptverhandlung zugegen ist, die Fähigkeit besitzt, an der Verhandlung verständig teilzunehmen, und die Bereitschaft aufweist, an der Verhandlung mitzuwirken. Ist der körperlich präsente Angekl. nicht bereit, durch seine Mitwirkung selbst und freiwillig die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu schaffen, die er veranlasst hat und die allein zu seinen Gunsten stattfindet, handelt er rechtsmissbräuchlich. Ändert er sein Verhalten trotz Hinweises des Vorsitzenden über die möglichen Konsequenzen gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht, verwirkt er sein Recht auf Durchführung der Berufung. Es gibt keine rechtlichen Interessen des Angeklagten, die ein solches Verhalten rechtfertigen könnten (vgl. LG Berlin, Urt. v. 05.12.1996 – (574) 55/141 PLs 4163/95 Ns 93/96, NStZ-RR 1997, 338).

Ähnlich verhält es sich hier. Wenn der Angeklagte aufgrund seines kruden Weltbildes meint, er könne sich nicht hinreichend mit der angeklagten Person identifizieren, um als diese an der Hauptverhandlung teilzunehmen, verhält er sich rechtsmissbräuchlich. Sein körperliches Erscheinen verfolgte erkennbar gerade nicht den Zweck der Teilnahme an der Hauptverhandlung über seinen Einspruch gegen den Strafbefehl, sondern vielmehr den Zweck eines Nasführens des Gerichts und eines Missbrauchs der strafrechtlichen Hauptverhandlung als Bühne für die Präsentation der Weltanschauung des Angeklagten. Damit hat der Angeklagte sein Recht auf die Durchführung der Hauptverhandlung verwirkt und sein Einspruch war zu verwerfen.“

Ohne weiteren Kommentar, da ich keine Zeit für eine Diskussion mit Sympathisanten 🙂 habe. Ich frage mich nur: Wie kann man nur so verwirrt sein? Und hätte ggf. nicht deshalb dem Angeklagten – der „männlichen Person“ – ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen nach § 140 Abs. 2 StPO. Der Kollege hätte es dann aber sicherlich nicht leicht gehabt.

Klima I: Können Grundrechte das Hausrecht brechen? oder: Rechtfertigung aus Klimaschutzgründen?

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In die 17. Woche starte ich mit Entscheidungen zu „Klimaaktivisten“. Und ich habe dann auch eine neue Zuordnungsrubrik in meiner Entschiedungssammlung eröffnet. Nach „Corona“ und „beA“ nun auch „Klimaaktivisten“. Das hat den Vorteil, dass die Entscheidungen sich nicht über die ganze Sammlung verteilen.

Ich stelle als erstes hier zwei schon etwas ältere Entscheidungen vor. Zunächst also das AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.03.2022 – 21 Cs-721 Js 44/22-69/22– und die dazu ergangene Revisionsentscheidung, das OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2022 – 4 RVs 48/22.

Nach den Feststellungen des AG hatten sich der Angeklagte und weitere Personen als „Aktion Lebenslaute“ zusammengeschlossen, um gemeinsam u.a. für Klimaschutz und gegen den vor diesem Hintergrund abgelehnten Braunkohletagebau zu demonstrieren. In Ausübung dessen betraten der Angeklagte und seine gesondert verfolgten 52 Mittäter(innen) am frühen Morgen eines Tages im Jahr 2021 das Tagebaugelände H der S Q AG, indem sie über die „Rampe X“ den Erdwall, der das Tagebaugelände umgab, überwandten. Auf dem Tagebaugelände musizierten der Angeklagte und seine Mittäter(innen) gemeinsam vor einem mitgeführten „Anti-Kohle“-Banner. Kurz darauf trafen Polizeibeamte ein. Deren Aufforderung, sich auszuweisen und das Tagebaugelände zu verlassen, entsprachen der Angeklagte und seine Mittäter(innen) widerstandslos.

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten einen Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) vorgeworfen.

Das AG hat von dem Vorwurf frei gesprochen: Das Betreten des Tagebaugeländes erfülle zwar im Übrigen den Tatbestand des § 123 Abs. 1 StGB. Das Eindringen sei aber nicht „widerrechtlich“ und „ohne Befugnis“ im Sinne der Norm gewesen. An der Rechtswidrigkeit fehle es hier, weil der Angeklagte durch die Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 S. 1GG und Art. 4 Abs. 3 GG gerechtfertigt gehandelt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das OLG Düsseldorf hat dann mit dem OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2022 – 4 RVs 48/22 – aufgehoben und das wie folgt begründet:

„Das Handeln der Angeklagten war rechtswidrig und schuldhaft. Die Angeklagten können insbesondere aus ihren Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 4 Abs. 3 GG weder einen Rechtfertigungs- noch einen Entschuldigungsgrund für ihr Handeln herleiten.

In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob überhaupt aus Grundrechten unmittelbar eine Rechtfertigung abgeleitet oder aus der Versammlungsfreiheit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 3 GG oder der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann (vgl. dazu Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Auflage 2019, Vorbem. zu §§ 32 ff., Rn. 118 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 2015, Az.: III-5 vRVs 7/15, 5 RVs 7/15, zitiert nach juris). Gegen die Möglichkeit einer Rechtfertigung spricht zum Beispiel der Umstand, dass im Einzelfall unklar bliebe, ob oder ab wann der Inhaber des Hausrechts oder staatliche Organe berechtigt wären, den Hausfrieden wieder herzustellen.

Denn ein strafbarkeitsausschließender Vorrang durch die Betätigung der Grundrechte kann jedenfalls nur dann gegeben sein, wenn für die Angeklagten keine andere effektive Möglichkeit bestanden hätte, ihre Grundrechte straffrei auszuüben. Vorliegend wäre eine effektive Grundrechtsausübung auch bei einem rechtmäßigen Handeln möglich gewesen. Die Angeklagten hätten auch vor dem Gelände von RWE demonstrieren können. Diesbezüglich kann seitens der Angeklagten auch nicht eingewandt werden, dass die Demonstration vor dem Gelände von RWE nicht so effektiv gewesen wäre, wie die Demonstration auf dem Tagebaugelände, da das Grundgesetz keinen Anspruch auf die selbstdefinierte effektivste Grundrechtsausübung gewährleistet.“idung auf§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO.