Wer kennt es als Verteidiger nicht? Das Schwingen der „Auslagen- und Kostenkeule“ durch die Instanzgerichte nach der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses. Häufig hat man den Eindruck, dass nach dem Grundsatz verfahren wird: „Wenn wir dich schon nicht verurteilen können, dann wollen wir dich wenigstens finanziell bestrafen.“. Das ist für die betroffenen Beschuldigten vor allem dann misslich, wenn das Verfahren durch die Einstellung wegen eines Verfahrenshindernis nicht endgültig erledigt ist, sondern noch einmal Anklage erhoben werden kann. Denn dann droht eine „Doppelbelastung.“
So war es im vom BVerfG mit BVerfG, Beschl. v. 26.05.2017 – 2 BvR 1821/16 – entschiedenen Fall.Da hatte die Staatsanwaltschaft dem ehemaligen Angeklagten mit Anklageschrift vom 08.10.2015 ein Verstoß gegen u.a. das Pflichtversicherungsgesetz gemäß §§ 267 Abs. 1, 52 StGB, §§ 1, 6 PflVG zur Last gelegt. Das AG verurteilte den Angeklagten wegen Urkundenfälschung. Der Angeklagte legte gegen das Urteil Sprungrevision ein. Da OLG hat das Verfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt, da dem Verfahren kein wirksamer Eröffnungsbeschluss zu Grunde gelegen habe und somit ein Verfahrenshindernis bestehe (§ 206a Abs. 1 StPO). Es sah gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon ab, die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde hat sich der ehemalige Angeklagte nach erfolgloser Gegenvorstellung gegen die Auslagenentscheidung in dem Beschluss des OLG gewendet. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG sieht durch den OLG-Beschluss das Willkürverbot verletzt:
„Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen bei einer Verfahrenseinstellung sowohl die Verfahrenskosten als auch die notwendigen Auslagen grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Als Ausnahme von diesem Grundsatz eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Möglichkeit, von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Ermessen („kann davon absehen“) ist also erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Angeschuldigte ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde. Zum Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehenden Umstand müssen demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeschuldigten die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfGK 3, 229 <232>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 388/13 -, juris, Rn. 21).
Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Auslagenentscheidung haben indes keine Ermessenserwägungen zum Gegenstand, sondern befassen sich ausschließlich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen, deren Vorliegen erst die zu treffende Ermessensentscheidung eröffnet. Auch in dem Beschluss vom 17. August 2016 über die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht keine Ermessenserwägungen angestellt. Die dortigen Ausführungen beschränken sich vielmehr auf die Darlegung, dass keine Verletzung der Unschuldsvermutung vorliege. Ob das Oberlandesgericht auf die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers hin die gebotene Ermessensausübung überhaupt wirksam hätte nachholen können, kann daher dahingestellt bleiben.
Aufgrund der Art des Verfahrenshindernisses hatte das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall auch besondere Veranlassung, das Absehen von einer Auslagenerstattung eingehend zu begründen. Während ein vom Angeschuldigten schuldhaft selbst herbeigeführtes Verfahrenshindernis es in der Regel unbillig erscheinen lassen wird, dessen notwendige Auslagen – dem Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO entsprechend – der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Steinberger-Fraunhofer, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl. 2016, § 467 Rn. 26; Stöckel, in: KMR, StPO, Band 6, § 467 Rn. 26 <Februar 2007>), ist im vorliegenden Fall das Verfahrenshindernis vom Amtsgericht zu vertreten, das den Eröffnungsbeschluss auf die falsche, da bereits zurückgenommene, Anklageschrift bezogen hat. Bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis kann es der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzubürden (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 58). Im vorliegenden Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass nach der Verfahrenseinstellung eine Verurteilung des Beschwerdeführers in einem neuen Verfahren in Betracht kommt, da die ihm zur Last gelegte Tat noch nicht verjährt ist. Sofern das Oberlandesgericht die damit verbundene mögliche doppelte Belastung des Beschwerdeführers mit seinen notwendigen Auslagen erkannt und nicht für unbillig erachtet haben sollte, hätte es dies im Rahmen der anzustellenden Ermessenserwägungen begründen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. März 2006 – 3 Ws 61/06 -, juris, Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 26. Februar 1987 – 2 Ws 176/87 -, juris).“
Die Entscheidung sollte man als Verteidiger „im Gepäck haben“, wenn er um die Auslagenerstattung für seinen Mandanten kämpft, und zwar nicht nur für das Straf-, sondern auch für das Bußgeldverfahren. Dabei ist – insbesondere für das Bußgeldverfahren – der Satz in der Begründung: „Bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis kann es der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzubürden.“ von Bedeutung. An ihn sollte man vor allem immer dann denken, wenn es um die Frage der Verjährung geht.
Ähnlich übrigens der BVerfG, Beschl. v. 13.10.2015 – 2 BvR 2436/14 – und dazu: Kosten und Auslagen beim Betroffenen? , so einfach geht das nicht mehr….