Heute dann StGB-Delikte, und zwar drei Entscheidungen zur Beleidigung (§ 185 StGB).
Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.03.2023 – 203 StRR 38/23. Das AG hat die Angeklagte wegen Beleidigung in drei Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte. Das BayObLG hat die Revision gem. § 349 Abs. 2 StGb verworfen:
„Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die Angeklagte durch die Äußerung gegenüber ihrer Freundin der Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen gemäß § 185 StGB schuldig gemacht hat.
Dass mit den Worten „Hurensöhne“ sämtliche mit der vorhergehenden Kontrolle der Angeklagten befassten Beamten, also auch die Geschädigte POM`in I. gemeint waren, wird von der Beweiswürdigung getragen. Die funktionsbezogene Individualisierung der betroffenen Beamten ist hinreichend dargetan. Spontane Formalbeleidigungen gehen nicht zwingend mit einem geschlechtersensiblen Formulieren einher.
Entgegen der Rechtsauffassung der Revision ist der Tatbestand der Beleidigung auch dann erfüllt, wenn die Kundgabe der Missachtung nicht unmittelbar gegenüber dem Geschädigten, sondern gegenüber einem Dritten in Bezug auf den Geschädigten erfolgt (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 185 Beleidigung Rn. 10; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 185 Rn. 6). Ein Selbstgespräch, das von niemandem gehört werden sollte, liegt auch nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht vor. Selbst wenn die Angeklagte nicht damit rechnete, dass ein Beamter die Äußerungen hörte, ist der Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nur darauf richten, dass ein Dritter, hier die Freundin, die Ehrverletzung zur Kenntnis nimmt und den ehrverletzenden Gehalt versteht. Es ist ohne Bedeutung, wenn die Äußerung – auch – einem anderen zugeht (vgl. Regge/Pegel in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl., § 185 Rn. 40 f.).
2. Der von der Revision in Betracht gezogene Ausnahmefall, dass die Angeklagte die Äußerung ihrer Freundin gegenüber innerhalb einer „beleidigungsfreien Sphäre“ getätigt hätte, ist hier nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Tatgerichts nicht gegeben. In der Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen gibt, in der der Äußernde ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Sorge vor staatlicher Sanktionierung kommunizieren darf (vgl. KG, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) –, juris Rn. 22; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Januar 2019 – 16 W 54/18 –, juris Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 24. April 2008 – 6 U 81/08 –, juris Rn. 29; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Februar 1995 – 2 Ws 30/95 –, juris Rn. 14; Hilgendorf a.a.O. Rn. 11 ff.; Eisele/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., Vorbem. §185 Rn. 9a m.w.N.). Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Voraussetzung für die Straffreiheit ist jedoch, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen die Wahrnehmung von Seiten weiterer Personen abgeschirmt ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 2010 – 2 BvR 1413/09 –, BVerfGK 17, 311-319 Rn. 20 zitiert nach juris; KG a.a.O. Rn. 23 und 25 m.w.N.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 23. Januar 1990 – 2 Ss 103/89 –, juris Rn. 13 m.w.N.; Eisele/Schittenhelm a.a.O.Rn. 9b). Dies war hier nach den Feststellungen nicht der Fall. Die Angeklagte äußerte sich nicht vertraulich in einer Sphäre, in der sie davon ausgehen konnte, dass ihre Worte gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen und Dritte abgeschirmt waren, sondern schreiend im öffentlichen Raum beim Verlassen einer Polizeidienststelle.
3. Der Ehrangriff auf die Polizeibeamten war nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt (§ 193 StGB). Die Angeklagte hat hier die ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durch § 185 StGB gesetzte Grenze überschritten, Art. 5 Abs. 2 GG.
Bei der Bezeichnung der Beamten als „Hurensöhne“ handelt es sich – wie auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme angenommen hat – um eine Formalbeleidigung. Die Angeklagte hat ein nach allgemeiner Auffassung besonders krasses, aus sich heraus herabwürdigendes Schimpfwort verwendet, das eine kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit darstellt. Die verwendete Beschimpfung verlässt das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts und kann unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung eines Amtsträgers als Hurensohn gesellschaftlich billigenswert erscheinen könnte, ist nicht denkbar (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19-, juris Rn. 21, 23; BayObLG, Beschluss vom 07. September 2020 – 206 StRR 220/20-, juris Rn. 13, 14). Bei einer solchen Formalbeleidigung tritt ohne weitere Gewichtung und kontextspezifische Einzelfallabwägung die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinter den Ehrenschutz zurück (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 15 m.w.N.; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 12).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine – hilfsweise – vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen (Ehrenschutz / Meinungsfreiheit, vgl. insoweit BVerfG, a.a.O., juris Rn. 25; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 15) auf der Grundlage der im Urteil insoweit noch ausreichend festgestellten Umstände des Einzelfalls zu keinem anderen Ergebnis führen könnte. Das Recht des Bürgers, gerichtliche Entscheidungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist. Dabei fallen grundsätzlich auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich auch erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (BayObLG, a.a.O., juris Rn. 18). Die betroffenen Beamten bedürfen als Träger einer hervorgehobenen staatlichen Funktion im Interesse einer wirkungsvollen Erfüllung öffentlicher Aufgaben des besonderen staatlichen Schutzes (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Februar 2022 – 204 StRR 20/22 –, juris Rn. 16).
Im konkreten Fall sind zwar die Rechtmäßigkeit und der Ablauf der Kontrolle nicht feststellbar. Jedoch fällt als Abwägungsgesichtspunkt zugunsten des Ehrenschutzes und des sozialen Geltungsanspruches der Beamten der als besonders grob herabwürdigend einzuordnende Inhalt der Äußerung beträchtlich ins Gewicht. Der abschätzige Begriff „Hurensohn“ weist inhaltlich keinen erkennbaren Bezug zu der Polizeikontrolle auf, sondern trifft die Person (vgl. BVerfG a.a.O., juris Rn. 28; BayObLG a.a.O. Rn. 16) und insbesondere die Abstammung der Beamten und verletzt auch den sozialen Achtungsanspruch von deren Müttern (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 185 Rn. 43; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl. § 185 Rn. 10). Selbst wenn es im Kontext von Auseinandersetzungen mit Amtsträgern grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, wäre situationsunabhängig das Betiteln mit unflätigen Schimpfwörtern unter der Einbeziehung von Verwandten der Geschädigten nicht mehr gerechtfertigt. Die Angeklagte hätte mit der Verwendung der Schimpfwörter das Maß und die Form durch die Meinungsfreiheit gedeckter Kritik und Empörung eindeutig verlassen.“