Die zweite Entscheidung, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.0.2023 – 1 ARs (KostR) 8/22 – nimmt Stellung zur Gewährung eines Pauschgebühr, wenn sich der Pflichtverteidiger in eine umfangreiche Ermittlungsakte einarbeiten musste. Er gewährt eine Pauschgebühr, aber viel ist es nicht.
Der Kollege Böhrnsen, der mir die Entscheidung geschickt hat, hat eine Pauschgebühr in Höhe von 2.682,- EUR beantragt. Einen (kleinen) Teil davon hat das OLG bewilligt:
„Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierig-keit der Sache nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar und kommt lediglich in Betracht, wenn die anwaltliche Mühewaltung sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 01.06.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437) und die Gewährung eines Pauschbetrags zum Ausgleich eines unzumutbaren Missverhältnisses angezeigt erscheint (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.03.2010 – 1 AR 11/10, juris Rn. 3). Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zu Grunde zu legen. Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und infolge dieses Umfangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15.01.2020 – 1 StR 492/15, NStZ-RR 2020, 160). Dabei ist nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen persönlichen Umständen hat (vgl. BGH a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben steht dem Antragsteller die Pauschgebühr im tenorierten Umfang zu.
Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers für seine nach Teil 4 Abschnitt 1. Unterabschnitte 1. und 2. des Vergütungsverzeichnisses erfassten Tätigkeiten bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens bei einem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten betragen insgesamt 399,-Euro, die sich aus der Grundgebühr (Nr. 4100, 4101 VV RVG) in Höhe von 216,- Euro und der Verfahrensgebühr (Nr. 4104, 4105 VV RVG) in Höhe von 177,- Euro zusammensetzen. Darüber hinaus ist nach Unterabschnitt 5 eine bislang nicht geltend gemachte, als Wertgebühr der Festsetzung einer Pauschgebühr nicht zugängliche (§ 51 Abs. 1 Satz 2 RVG) Gebühr für das Einziehungsverfahren (Nr. 4142 VV RVG) in Höhe von 447,- Euro entstanden (vgl. Senat, Beschluss vom 09.11.2021 – 1 ARs (KostR) 6/21 [n.v.]).
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Das Schwergewicht der Arbeit des Pflichtverteidigers lag vorliegend in der erstmaligen Einarbeitung in die Ermittlungsakten, die mit etwa 6.600 Seiten deutlich über dem üblichen Umfang derartiger Verfahren liegen. Insoweit stellt das Studium umfangreicher Akten im Ermittlungsverfahren ein wesentliches Indiz für das weit überdurchschnittliche Ausmaß dar (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 201). Auch wenn die reine Blattzahl nicht alleine ausschlaggebend für die Bemessung des tatsächlich erbrachten und mithin zu vergütenden Tätigkeitsumfanges ist, so ist gleichwohl in den Blick zu nehmen, dass dem Verfahren insoweit eine Vielzahl von Betrugsfällen zu-grunde lag, was zugleich mit einem nicht unerheblichen Besprechungsbedarf mit dem Beschuldigten einherging.
Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, anstelle der vorbezeichneten gesetzlichen Verfahrensgebühr nach Nrn. 4104, 4105 VV RVG das Doppelte derselben, mithin 354,- Euro anzusetzen (vgl. zur Verdopplung in vergleichbaren Fällen etwa Senat, Beschluss vom 24. Juni 2020 – 1 ARs (KostR) 5/20 [n.v.]).
Die Gewährung einer höheren Pauschvergütung und – wie ebenfalls beantragt – eine gleichzeitige Erhöhung auch der gesetzlichen Gebühr des Antragstellers für seine nach Nrn. 4100, 4101 VV RVG erfasste Tätigkeit kamen hingegen nicht in Betracht. Denn im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. KG, Beschluss vom 02.10.2015 – 1 ARs 26/13, juris Rn. 9) erschien es angemessen und ausreichend, den Zeitaufwand insbesondere bezüglich der Einarbeitung in die Ermittlungsakten lediglich mit der Erhöhung der Verfahrensgebühr abzugelten (vgl. Senat a.a.O.).“
Daran vermag auch der durch die Besuche des Mandanten in den beiden Justizvollzugsanstalten entstandene Aufwand des Antragstellers nichts zu ändern. Denn – entgegen dessen Auffassung in seinem Schriftsatz vom 20. Februar 2022 – hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20.03.1997 – 2 BvR 51/07, NJW 2007, 3420; ähnlich BGH, Beschluss vom 01.06.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437) sehr wohl den gebührenrechtlichen Ansatz, wonach der dahingehende Aufwand zum einen durch den – beim nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gesetzlich verankerten – Zuschlag zu den jeweils entstehenden Gebühren (hier: Nrn. 4101, 4105 VV RVG) und zum anderen durch den Anspruch auf Erstattung der entstandenen Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG sowie auf Zahlung eines Tages- und Abwesenheitsgeldes nach Nr. 7005 VV RVG angemessen vergütet wird, gerade nicht als verfassungswidrig beanstandet.
Sofern der Antragsteller in dem vorbezeichneten Schriftsatz schließlich Überlegungen zu seinem Stundenlohn anstellt, vermag er damit ebenfalls nicht durchzudringen. Denn der Frage, welcher anwaltliche Stundensatz auskömmlich und zur Kostendeckung erforderlich ist, kommt für die Beurteilung, ob dem Verteidiger die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar sind, keine erhebliche Bedeutung zu (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Juni 2014 – 2 ARs 96/13 –, juris; Senat, Beschlüsse vom 24.10.2018 – 1 ARs (KostR) 8/18 und vom 18.05.2022 – 1 ARs (KostR) 2/22 m.w.N. [jew. n.v.]).“
In meinen Augen falsch. Lassen wir mal den Bezug auf die Rechtsprechung des BGH zum Abheben in „exorbitanter Weise“ dahingestellt, das beten alle OLG so nach. Aber: Wenn schon wegen der Einarbeitung eine Pauschgebühr gewährt wird, dann muss man die Nrn. 4100, 4104 VV RVG gemeinsam zugrunde legen, denn Grundgebühr und Verfahrensgebühr fallen immer zusammen an – das sollte man auch bei einem OLG wissen. Und wenn man schon die Gebühren „trennen“ will, dann hätte man die Grundgebühr Nr. 4100, 4101 Vv RVg zugrunde legen müssen, denn die wäre dann die für die „Einarbeitung“ „richtige Gebühr“. Nun ja, ist für ein OLG auch schwer.
Ich habe dem Kollegen übrigens geraten, nicht alles auf einmal auszugeben 🙂 .