Und heute dann noch zum Wochenausklang RVG- bzw. Kostenentscheidungen.
Zunächst stelle ich den LG Koblenz, Beschl. v. 07.11.2022 – 9 Qs 74/22 – vor, der sich noch einmal mit der Frage der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren im Rahmen der Kostenerstattung befasst.
Die Staatsanwaltschaft hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßigen Diebsstahls in sechs Fällen angeklagt. Der Kollege Herzog aus Koblenz, der mir den Beschluss geschickt hat, ist der Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Das AG hat die Angeklagte – nach Einstellung des Verfahrens gern. § 154 Abs. 2 StPO im Übrigen – wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und Diebstahls unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Wegen eines weiteren versuchten Diebstahls wurde sie darüber hinaus zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
Auf die Berufung der Angeklagten hat das LG diese wegen Diebstahls in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und der Urkundenfälschung in zwei weiteren Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurde einem damals weiteren Mitangeklagten und der Angeklagten auferlegt – dieser jedoch mit Ausnahme ihrer notwendigen Auslagen, die der Staatskasse auferlegt wurden.
Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag hat der Kollege die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren für die erste und zweite Instanz in Höhe von 4.817,54 EUR beantragt. Die Kostenfestsetzung erfolgte antragsgemäß, der festgesetzte Betrag wurde angewiesen. Mit einem weiteren Kostenfestsetzungsantrag hat der Kollege dann beantragt, zusätzlich für das Berufungsverfahren Wahlverteidigergebühren in Höhe von 233,24 EUR (insgesamt 919,87 EUR abzüglich der bereits festgesetzten und ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung für die zweite Instanz in Höhe von 686,63 EUR) festzusetzen. Zugleich legte er eine Abtretungsvereinbarung vor.
Die Bezirksrevisorin beim LG hat beantragt, die Gebühren und Auslagen auf 0,00 EUR festzusetzen, da infolge einer Anrechnung der bereits vom Verteidiger bezogenen Pflichtverteidigervergütung für das Verfahren erster und zweiter Instanz nach § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG kein festzusetzender Betrag mehr verbleibe. Der Kollege hat hierzu gemeint, die Bezirksrevisorin verstehe die von ihr selbst in Bezug genommene Rechtsprechung und Literatur völlig falsch, die Wahlverteidigervergütung sei höher, als die gezahlte Pflichtverteidigervergütung zuzüglich der beantragten Differenz zur Wahlverteidigervergütung. Das AG hat den Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen. Die ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung sei auf die Wahlanwaltsvergütung anzurechnen. Insoweit werde alleine auf den gesamten Erstattungsbetrag abgestellt, den der Verteidiger aus der Staatskasse erhalten habe – unabhängig davon, für welche Verfahrensabschnitte er diesen Betrag erhalten habe. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Kollegen hatte beim LG keinen Erfolg:
„Zu Recht hat das Amtsgericht Koblenz den Antrag des weiteren Beteiligten auf Festsetzung einer Wahiverteidigervergütung zurückgewiesen.
Die mit dem Kostenfestsetzungsantrag geltend gemachte Vergütung für den Berufungsrechtszug ist tatsächlich angefallen, jedoch ist von dem geltend gemachten Betrag in Höhe von noch 233,24 Euro die dem Verteidiger bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Abzug zu bringen. Da diese die geltend gemachte Wahlverteidigervergütung um ein Vielfaches übersteigt, war die aus-zuzahlende Vergütung im Ergebnis auf 0,00 Euro festzusetzen.
Zwar war der Verteidiger der Verurteilten zum Pflichtverteidiger bestellt und auch im Berufungsrechtszug als solcher tätig, doch ist wegen der Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 2 Satz 1 RVG es möglich, anstatt der dem Verteidiger zustehenden Pflichtverteidigergebühren für das Verfahren zweiter Instanz für letzteres Wahlverteidigergebühren auf Grundlage der vom Landgericht Koblenz getroffenen Kostengrundentscheidung zu Lasten der Staatskasse abzurechnen.
Denn nach § 52 Abs. 1 1. Halbsatz RVG kann auch der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, wenn und soweit dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht (§ 52 Abs. 2 Satz 1 RVG).
Dies ist hier geschehen.
Der dem Verurteilten gerichtlich beigeordnete Verteidiger hat auf Grundlage der Kostengrundentscheidung des Landgerichts Koblenz mit seinem Kostenfestsetzungsantrag – nach Abtretung eines vermeintlich bestehenden Anspruchs des Verurteilten – eine Wahlverteidigervergütung beansprucht und hiermit das sich aus § 52 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz RVG ergebende Wahlrecht ausgeübt.
In § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG ist allerdings weiter geregelt, dass der Anspruch des Verteidigers gegen den Beschuldigten insoweit entfällt, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat.
Hier hat die Staatskasse bereits eine Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 4.817,54 Euro an den Verteidiger ausgezahlt, die die nunmehr geltend gemachte Wahlverteidigervergütung übersteigen.
Die durch diese Regelung erfolgte Verrechnung der Vergütungsansprüche hat ihren sachlichen Grund in dem Umstand, dass es sich bei der an den Pflichtverteidiger gezahlte Vergütung um Kosten des Verfahrens handelt, die der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung zu tragen hat und hinsichtlich derer ein Zahlungsanspruch der Staatskasse gegen den Beschuldigten besteht (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021, § 52 Rdnr. 15 m. w. N.). Durch die Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG wird mithin lediglich eine ansonsten erforderliche ausdrückliche Aufrechnungserklärung der Staatskasse obsolet.“
Die Entscheidung ist zutreffend und entspricht der inzwischen h.M. in der Rechtsprechun, von der ein Teil auch auf meiner Homepage steht. Wegen der genauen Fundstellen verweise ich auf die Entscheidungen zu § 52 RVG und auf die Kommentierung zu § 52 RVG im RVG-Kommentar.
Hätte der Kollege dann Wahlverteidigergebühren für beide Instanzen beantragen können/müssen?
Nein, wie kommen Sie darauf. Es liegt doch dafür überhaupt keine Kostengrundentscheidung vor.
Oh. Das hatte ich glatt überlesen :-/ „Kosten des Berufungsverfahrens“… . Dann war meine Frage in der Tat deplatziert.
Kann ja mal passieren 🙂