StGB II: Unverändertes Hakenkreuz bei Facebook, oder: Ist das strafbar oder von der Meinungsfreiheit gedeckt?

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Bei der zweiten Entscheidung zu der heutigen Thematik handelt es sich um das OLG Braunschweig, Urt. v. 05.10.2022 – 1 Ss 34/22. Auch in der Entscheidung geht es um das Vorliegen des (objektiven) Tatbestandes des § 86a StGB bei öffentlicher Verwendung des Hakenkreuzes durch Posten auf einer sozialen Internetplattform, in diesem Fall bei Facebook.

Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) freigesprochen. Die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hatte das LG verworfen. Dagegen dann jetzt die Revision der Staatsanwaltschaft, die zur Aufhebung geführt hat.

Das LG hatte folgenden Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagte ist Nutzer des sozialen Netzwerks „Facebook“ und unterhält dort unter dem Namen „B. W.“ ein privates Profil, auf dem sie diverse Beiträge postet. Da die Angeklagte beruflich in der Altenpflege tätig ist, aus gesundheitlichen Gründen sich jedoch nicht gegen „Corona“, also das SARS-Cov-2-Virus, impfen lassen kann oder will und deshalb um den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchtete, hat sie die politische Debatte und Entscheidungsfindung über die Einführung einer allgemeinen oder der sogenannten einrichtungsbezogenen Impfpflicht intensiv verfolgt und mit diversen kritischen, eine Impfpflicht ablehnenden Beiträgen auch in ihrem Facebook-Profil kommentiert.

Insoweit postete sie unter anderem am 14.5.2021 um 16:19 Uhr die nachfolgende Abbildung:

Die Angeklagte, die sich durch eine ihre Berufsgruppe betreffende Impfpflicht diskriminiert sieht, weil ihr hierdurch „Türen verschlossen“ werden, hatte diese Abbildung zuvor an anderer Stelle im Internet gefunden und auf ihr Facebook-Profil übernommen. Mit ihrem Post bezweckte sie, anderen im Sinne einer „Warnung“ ihre Meinung kundzutun, dass Geschichte sich wiederhole, nämlich ihrer Auffassung nach der bundesdeutsche Staat mit Blick auf die Corona-Impfung seine Macht ähnlich rücksichtslos einsetze und die Rechte seiner Bürger missachte wie seinerzeit die nationalsozialistische Diktatur.

Beiträge, die sich inhaltlich an ideologisches Gedankengut der NS-Diktatur anlehnten oder dieses gar ausdrücklich befürworteten oder sonst den Eindruck erwecken konnten, die Angeklagte sympathisiere mit der nationalsozialistischen Ideologie oder deren Protagonisten, hatte die Angeklagte auf ihrem genannten Facebook-Profil nicht eingestellt. Vielmehr lehnt die Angeklagte, die bislang in keiner Weise polizeilich oder gar staatsschutzpolizeilich aufgefallen ist, rechtsradikales Gedankengut nachdrücklich ab.“

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat die Kammer sodann unter Ziff. IV. des Urteils ausgeführt, dass diese Feststellungen einen Schuldspruch der Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht trügen.

Zwar bestünde zunächst kein Zweifel daran, dass das auf dem unteren Gesundheitspass abgebildete Hakenkreuz ein Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB sei, da dieses das Parteiabzeichen der NSDAP und damit einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB sei, auf welchen § 86a Abs. 1 StGB verweise. Auch sei der von der Angeklagten gepostete Beitrag ein Inhalt, der dieses Kennzeichen enthalte, und die Angeklagte habe das Kennzeichen in einem von ihr verbreiteten Inhalt verwendet, da das Facebook-Profil der Angeklagten, das diesen Inhalt umfasse, für eine unbestimmte größere Anzahl von Facebook-Nutzern einsehbar gewesen sei, so dass die festgestellte Handlung zumindest objektiv dem Wortlaut des Tatbestandes des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfalle.

Gleichwohl sei die festgestellte Handlung keine tatbestandsmäßige Verletzung der genannten Strafnorm. Denn es sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der (zu) weit gefasste Tatbestand einer aus Sinn und Zweck der Norm erwachsenden Begrenzung bedürfe, da die Strafnorm grundsätzlich weder einer inhaltlichen Zustimmung des Täters zu dem von dem Kennzeichen verkörperten Gedankengut noch die konkrete Gefahr einer identifizierenden Wirkung der Verwendung des Kennzeichens voraussetze. Als tatbestandsmäßig würden daher nur Handlungen angesehen, die im Einzelfall geeignet seien, bei objektiven Beobachtern den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisation, deren Kennzeichen er verwende, zu erwecken; nicht tatbestandsmäßig seien demgegenüber solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm erkennbar nicht zuwiderliefen. Im vorliegenden Fall erscheine es geradezu ausgeschlossen, dass ein Betrachter des festgestellten Posts annehmen könne, die Angeklagte sympathisiere mit den Parteizielen der NSDAP, der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik oder dem Nationalsozialismus im Allgemeinen. Die Nebeneinanderstellung des Musters eines modernen Gesundheitspasses, der ausschließlich bezwecke, den Inhaber als „Corona-negativ“ auszuweisen, und des Gesundheitspasses aus der NS-Zeit mit dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ könne niemand als Befürwortung des mit dem Hakenkreuz verbundenen Symbolgehalts ansehen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der aus dem Facebook-Profil im Übrigen eindeutig erkennbaren Gegnerschaft der Angeklagten zu der gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik. Vielmehr werde eindeutig der NS-Gesundheitspass als abschreckende, negative Parallele dargestellt, um die vermeintliche Verwerflichkeit der gegenwärtigen Gesundheitspolitik zu brandmarken. Diese Meinung möge weit überzogen und geradezu geschichtsvergessen sein, dies ändere aber nichts daran, dass für einen neutralen Betrachter das mit dem Hakenkreuz versehene Dokument in der hiesigen Veröffentlichung klar für diejenige Haltung bzw. Politik stehe, gegen die sich die Angeklagte wenden wolle. Nach Auffassung der Kammer könne selbst nur ein flüchtiger Betrachter nicht zu dem Eindruck gelangen, der Verfasser des Posts solidarisiere sich in irgendeiner Weise mit nationalsozialistischer Ideologie; warum demgegenüber die Staatsanwaltschaft meine, dass nicht erkennbar sei, ob der Beitrag eine Distanzierung von Methoden der NS-Zeit enthalte, sei für die Kammer rätselhaft. Die vorliegende Fallgestaltung – Impfgegnerin, die öffentlich ein Dokument mit Hakenkreuz abbildet, um gegen vermeintlich „nazi-ähnliches“ Vorgehen der aktuellen (Gesundheits-) Politik zu protestieren – unterscheide sich in keinem wesentlichen Punkt von derjenigen – Linksdemonstrant, der in der Öffentlichkeit einem Polizeibeamten den Hitlergruß zeige und „Sieg Heil!“ rufe, um gegen „nazistische Methoden“ der Polizei zu protestieren –, der der Entscheidung BGHSt 25, 30 zugrunde gelegen habe und in der der BGH es für zumindest naheliegend erachtet habe, dass kein Verstoß gegen § 86a StGB gegeben sei.“

Diese Auffassung teilt das OLG nicht. Es führt zur „Restriktion“ aus – Rest bitte im verlinkten Volltext lesen:

„….

Die obergerichtliche Rechtsprechung differenziert vor dem Hintergrund des oben genannten dritten Schutzzweckes (Verhinderung der Wiedereinbürgerung) danach, ob das Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild getreten ist und keine Nachwirkung anzunehmen ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. November 1985, Ss 575/18, NJW 1986, 1275).

Im vorliegenden Fall steht der Schutzzweck, das Kennzeichen aus dem politischen Leben zu verbannen, einer teleologischen Reduktion entgegen.

Denn es handelt sich keineswegs um eine nur flüchtige Verwendung des Kennzeichens. Nach den Feststellungen der Kammer hat die Angeklagte den Gesundheitspass mit dem aufgedruckten – und unveränderten – Hakenkreuz in ihr Facebook-Profil eingestellt. Zwar fehlt es an einer Feststellung, wie lange der Post dort sichtbar gewesen ist; jedoch kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er zumindest einige Zeit dort – jedenfalls für die Facebook-„Freunde“ oder sonstige Personen oder Gruppen, die der Angeklagten auf Facebook folgen – sichtbar gewesen ist. Darüber hinaus besteht bei der Veröffentlichung des Hakenkreuzes im Internet auf der sozialen Plattform Facebook die Gefahr einer zahlenmäßig nicht zu kontrollierenden Verbreitung der Abbildung. So hatten die „Freunde“ bzw. „Follower“ der Angeklagten die Möglichkeit, ihren Post zu „liken“ bzw. ihrerseits wiederum zu posten, mit der Folge, dass das Hakenkreuz dann für deren „Freunde“ und „Follower“ sichtbar gewesen wäre. Schon darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, auf die sich die Kammer gestützt hat (Urteil vom 18. Oktober 1972, 3 StR 1/71 I, BGHSt 25, 30 – 35). In jenem Fall hatte der Angeklagte die Kennzeichen (Zeigen des sogenannten „Hitlergrußes“ und „Sieg Heil“-Ruf) nur einmalig verwendet, so dass die Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild traten und damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieser Kennzeichen entsprechenden Richtung von vorneherein ausgeschlossen war.

Dass der Post – mag dies auch ohne Zutun der Angeklagten geschehen sein – tatsächlich Breitenwirkung erzielt hat, lässt sich im Übrigen allgemein zugänglichen Quellen entnehmen. So ist der Antwort der Sächsischen Staatsregierung vom 29. November 2021 auf eine kleine Anfrage (Drs. 7/8055) zu entnehmen, dass ein gleicher Post vom 16. Mai 2021 zu einem Ermittlungsverfahren geführt hat. Und in dem Verfassungsschutzbericht 2021 des Landes Baden-Württemberg wird ausgeführt, dass der historische Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen gegen Juden mit – hauptsächlich online verbreiteten – Äußerungen wie „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ relativiert würde (Seite 70).

Hinzu kommt, dass sich die Angeklagte in dem tatgegenständlichen Post gerade nicht offensichtlich von der NSDAP oder der dieser zugrundeliegenden Ideologie distanziert hat. Der Bundesgerichtshof hat dies bislang in Fällen angenommen, in denen eine Distanzierung zum Beispiel mittels Durchstreichungen des Kennzeichens, Darstellungen der Zerstörung des betreffenden Kennzeichens oder dessen Kombination mit der üblichen Symbolik aus dem Bereich der Abfallentsorgung („Umweltmännchen“) erfolgt und damit die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck gebracht wird (BGH, Urteil vom 15. März 2007, 3 StR 486/06, juris; weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Anstötz in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 86a, Rn. 21). Eine solche optische Distanzierung ist der tatgegenständlichen Abbildung des Hakenkreuzes indes gerade nicht zu entnehmen.

Aber auch die Wertung der Kammer, „die Nebeneinanderstellung des Musters eines modernen Gesundheitspasses, der ausschließlich bezwecke, den Inhaber als „Corona-negativ“ auszuweisen, und des Gesundheitspasses aus der NS-Zeit mit dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ könne niemand als Befürwortung des mit dem Hakenkreuz verbundenen Symbolgehalts ansehen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der aus dem Facebook-Profil im Übrigen eindeutig erkennbaren Gegnerschaft der Angeklagten zu der gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik“, ist keineswegs so eindeutig, wie die Kammer meint. Wie sich die Einstellung der Angeklagten zu den Werten und Zielen der NSDAP verhält, ob sie diese ablehnt oder befürwortet, ergibt sich aus dem Post selbst nicht. Das Hakenkreuz ist unverändert dargestellt. Aus dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ kann nicht nur – wie die Kammer meint – der Schluss gezogen werden, dass damit der mit dem Hakenkreuz verbundene Symbolgehalt abgelehnt werde. Diese Wertung setzt zum einen das Wissen voraus, dass die Angeklagte Impfgegnerin bzw. Gegnerin der aktuellen Coronapolitik ist. Zum anderen erfordert sie die Kenntnis, dass die Angeklagte die Ideologie der Nationalsozialisten sowie deren Symbole ablehnt. Beide Umstände ergeben sich aus dem Post selbst nicht. Die Worte „immer billiger“ implizieren auch, dass das damalige Drehbuch (im Dritten Reich) weniger billig, mithin nicht ganz so schlecht wie heute war. Die Kammer hat nicht bedacht, dass für die Freunde und Follower der Angeklagten auf deren Facebook-Startseite im sogenannten „Feed“ zunächst nur der fragliche Post der Angeklagten – zusammen mit weiteren neuesten Nachrichten und Posts anderer Personen – angezeigt wird. Um nachzuvollziehen, welcher Art die weiteren Posts der Angeklagten sind – aus denen sich nach den Feststellungen der Kammer ihre Gegnerschaft zur gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik ergibt –, bedarf es eines Aktivwerdens des Betrachters, indem er das Profil der Angeklagten aufruft, um deren „timeline“ (früher: Facebook-Chronik) zu sehen. Die Feststellung der Kammer, die Angeklagte grenze sich von nationalsozialistischem Gedankengut ab, ergibt sich weder aus dem Post selbst noch aus den weiteren Posts in ihrer „timeline“, sondern beruht offenbar auf ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung.“

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