Ich hatte neulich ja schon über den BGH, Beschl. v. 11.05.2022 – 5 StR 306/21 berichtet (vgl. StPO I: Strengbeweisverfahren/Gerichtskundigkeit, oder: Kein Hinweis auf “Gerichtskundigkeit”).
Auf den komme ich jetzt wegen einer vom BGH im Zusammenhang mit Covid 19 angesprochenen Frage betreffend den Ausschluss der Öffentlichkeit zurück. Es war (auch) eine unzulässige Begrenzung der Zuhörerzahl geltend gemacht worden. Dazu der BGH:
„1. Die Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 338 Nr. 6 StPO) durch eine Begrenzung der Zuhörerzahl ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Revisionen hat die Strafkammervorsitzende die Entscheidung, die Zuhörerzahl aufgrund der COVID-19-Pandemie zu beschränken, in ihrer sitzungspolizeilichen Anordnung nach eigenem Ermessen getroffen und sich nicht an die – eine Höchstzahl an Zuhörern vorgebende – Hausordnung des Gerichtspräsidenten gebunden gesehen. Daraus, dass die Vorsitzende die zulässige Zuhörerzahl im Wege der Verweisung auf die jeweils geltende Hausordnung bestimmt hat, ergibt sich nichts anderes. Die Strafkammervorsitzende hat die „hier getroffenen Maßnahmen“ lediglich „vor dem Hintergrund“ der Hausordnung des Gerichtspräsidenten ergriffen, sie eigenständig begründet und nur ergänzend auf die Begründung des Landgerichtspräsidenten Bezug genommen. Inhaltlich war die Beschränkung der Zuhörerzahl aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen nicht zu beanstanden.
Da die Vorsitzende eine eigene Entscheidung getroffen hat, kommt es nicht darauf an, dass der grundsätzliche Vorrang der sitzungspolizeilichen Befugnisse gegenüber dem Hausrecht des Gerichtspräsidenten (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1972 – 4 StR 71/72, BGHSt 24, 329; Beschluss vom 19. Januar 1982 – 5 StR 166/81; auf diese Entscheidungen Bezug nehmend BVerfG, Beschluss vom 14. März 2012, 2 BvR 2405/11, NJW 2012, 1863) bindende Regelungen der Justizverwaltung zur Kapazität eines Sitzungssaals nicht in jeglicher Hinsicht ausschließt. Derartige Anordnungen können die Sitzungsgewalt des Vorsitzenden im Einzelfall durchaus einschränken, um etwa bau- oder gesundheitspolizeilichen Anforderungen, Erfordernissen des Brandschutzes oder Verkehrssicherungspflichten Rechnung zu tragen (vgl. bereits BGH, Urteil vom 10. Juni 1966 – 4 StR 72/66, BGHSt 21, 72 zur Einhaltung gesundheits- oder gewerbepolizeilicher Sicherungsvorschriften bei einer Augenscheinseinnahme). Die in der Sitzungspolizei zum Ausdruck gelangende unabhängige richterliche Gewalt wird hierdurch regelmäßig nicht in Frage gestellt, insbesondere wenn Gefahren für gewichtige Rechtsgüter abzuwehren sind, die auf vom Prozessgegenstand unabhängigen Gründen beruhen, und zugleich die getroffenen Maßgaben das richterliche Handeln in der Verhandlung nicht spezifisch tangieren.“