Und heute dann StGB-Entscheidungen. Und da ich derzeit in Bayern bin, eröffne ich den Reigen mit einem Beschluss des BayObLG zu Notwehrfragen (§ 32 StGB).
Das LG hatte im Berufungsverfahren folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
„Am 04.09.2019 gegen 17:30 Uhr kam es auf dem Parkplatz der Firma W. in S. zu einer zunächst verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten, der seine Arbeitsstelle aufsuchen wollte, und der Nebenklägerin. Vorausgegangen war ein Überholmanöver des Angeklagten, das die Nebenklägerin, obwohl nach den Feststellungen des Berufungsurteils eine Gefährdung nicht vorgelegen hatte, als gefährlich empfand und diese veranlasste, dem Angeklagten nachzufahren, um ihn auf das Überholmanöver anzusprechen.
Die Nebenklägerin stellte ihr Fahrzeug schräg vor den parkenden Pkw des Angeklagten und fragte ihn, was er sich „dabei gedacht“ habe, „so gefährlich zu überholen“. Es kam zu einer lautstarken Auseinandersetzung, bei der sich die Nebenklägerin dem Angeklagten auf etwa eine Armlänge annäherte. Dies nahm der Angeklagte zum Anlass, die Nebenklägerin mit beiden Händen – gerichtet gegen die Schultern der Nebenklägerin – wegzustoßen, wodurch sie mehrere Schritte rückwärts machte und über die Motorhaube eines Fahrzeugs zu Boden fiel. Die Nebenklägerin stand sogleich wieder auf, ging erneut auf den Angeklagten zu und versetzte ihm mit der rechten Hand eine Ohrfeige ins Gesicht, „um sich für den Schubser zu revanchieren“. Danach machte die Nebenklägerin „keinerlei Anstalten mehr, den Angeklagten weiter anzugreifen“. „Nach kurzem Überlegen“ schlug der Angeklagte mit der rechten Faust auf die linke Gesichtshälfte im Bereich unterhalb des Ohres, sodass die Nebenklägerin zu Boden ging und einen Bruch des linken Kiefers erlitt.
Das Landgericht hat eine Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten wegen Notwehr gemäß § 32 StGB verneint. Zwar habe die Nebenklägerin ihm eine Ohrfeige versetzt, was einen rechtswidrigen Angriff darstellte. Dieser sei jedoch nicht mehr gegenwärtig gewesen, weil die Nebenklägerin „keinerlei“ Anstalten mehr gemacht habe, weiter auf den Angeklagten loszugehen. Im Übrigen wäre der Faustschlag auch nicht erforderlich gewesen, zumal „allenfalls“ mit weiteren „wenig intensiven Angriffen, ähnlich der bereits erfolgten Ohrfeige, zu rechnen war“. Schließlich wäre das Notwehrrecht des Angeklagten aufgrund einer „vorangegangenen schuldhaften Provokation“ eingeschränkt gewesen, wobei das Landgericht die Provokation darin gesehen hat, dass der Angeklagte die Nebenklägerin vorher weggestoßen hatte.“
Das sieht das BayObLG anders und hat im BayObLG, Beschl. v. 03.02.2022 – 202 StRR 9/22 – aufgehoben. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:
- Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, ist der Angriff so lange gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten sind.
- Ein Verteidigungsverhalten in Form eines Faustschlags ins Gesicht ist erforderlich, wenn es zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihm um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Bei Beurteilung dieser Frage hat der Tatrichter insbesondere das bisherige Verhalten des Angreifers zu berücksichtigen, der sich durch geringer dosierte Abwehrmittel (hier: Wegstoßen) nicht von einer Körperverletzungshandlung zum Nachteil des Angegriffenen abhalten ließ.
- Bei der Frage, ob eine das Notwehrrecht einschränkende Provokation des Angegriffenen vorausgegangen war, ist es rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter ein Verhalten desjenigen, der sich auf Notwehr beruft, einseitig aus einem Gesamtgeschehen herausgreift und dabei außer Acht lässt, dass dieses Verhalten rechtmäßig war und durch den Angreifer provoziert worden war.
Rest dann bitte selbst lesen 🙂 .