Der „Rechthaber“ postet gerade unter dem Titel „Stundensatz eines Strafverteidigers bis 500 Euro zulässig“ zum Urteil des OLG Koblenz v. 26.04.2010 – 5 U 1409/09, über das wir auch schon berichtet hatten, vgl. hier. Im Post heißt es zur Zulässigkeit der 500 €/Stunde: „So jedenfalls entschied das Oberlandesgericht Koblenz kürzlich (Az.: 5 U 1409/09), aber es kommt – natürlich – auf die Umstände des Einzelfalls an, ob nicht doch ein Fall des Wuchers vorliegt.“ Ich habe so meine Zweifel, ob das OLG Koblenz wirklich „entschieden“ hat, dass 500 € zulässig sind. In der Sache ist ein Honorar von 250 €/Stunde für angestellte Rechtsanwälte durchgegangen, die Frage, ob ggf. auch eins von 400 €/Stunde für Partner zulässig/angemessen gewesen wäre, hat das OLG offen gelassen und auch offen lassen können.
Zu den 500 € führt das OLG in Zusammenhang mit seiner Kritik an der Entscheidung des OLG Düsseldorf AGS 2010, 118 lediglich aus: „Diese Kritik teilt der erkennende Senat nicht in der Diktion, jedoch in den tragenden juristischen und wirtschaftlichen Überlegungen. Stundensätze von bis zu 500 € sind je nach den Umständen des Einzelfalles nicht per se unangemessen (vgl. OLG Celle in AGS 2010, 5 ff unter Hinweis auf Mayer in Gerold u. a., RVG, 18. Aufl., § 3 a Rn. 26). Das klingt m.E. schon etwas anders und ist m.E. nicht mehr als ein obiter dictum. Das gilt ebenfalls für die in Bezug genommene Entscheidung des OLG Celle AGS 2010, 5. Auch da heißt es zu einer Honorarvereinbarung von 150 €/Stunde nur: „Diese Honorarvereinbarung ist als solche wirksam. Eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung lässt sich hinsichtlich der Höhe des vereinbarten Stundensatzes nicht erkennen. Im Gegenteil dürften Stundensätze von weniger als 150 € – nach unten – nicht mehr angemessen sein (vgl. Madert in Gerold u. a., RVG, 17. Aufl., § 4 Rn. 34). Selbst Stundensätze von bis zu 500 € sind nicht per se unangemessen (vgl. Mayer in Gerold u. a., RVG, 18. Aufl., § 3 a Rn. 26). Also auch nur ein obiter dictum mit Hinweis auf Mayer in Gerold/Schmidt. Daraus kann man m.E. aber nicht den Schluss ziehen, es sei über einen Stundensatz von 500 € als zulässig „entschieden“.
Entschieden ist m.E. aber über 250 €/Stunde. Die dürften – auch für angestellte Rechtsanwälte durchgehen (vgl. hier und hier). Alles was darüber hinaus geht, kann. muss aber nicht zulässig sein. Also weiter Vorsicht.
Mit Stundensätzen ist das so eine Sache. Zum einen muß man erst einmal einen Mandanten finden, der bereit und in der Lage ist, hohe Stundensätze zu bezahlen. Das ist nur eine Minderheit. Ferner sind Spitzenstundensätze von 300,- Euro und mehr sicher nur gerechtfertigt, wenn sich ein absolut kompetenter Spezialist wirklich persönlich mit dem Fall beschäftigt und dessen Erfahrung und Spezialwissen für die Fallbearbeitung erforderlich ist. Das verringert die Zahl der potentiellen Mandate weiter. Denn 98% aller Fälle sind für jeden einigermaßen erfahrenen Juristen keine wirkliche Herausforderung.
Auch in schwierigen Wirtschaftsstrafsachen ist das reine öde Aktenstudium sicher mit 300,- bis 500,- Euro pro Stunde deutlich überbezahlt, zumal man 90% des Akteninhalts in solchen Verfahren von vornherein vergessen kann.
Die Möglichkeiten von Anwälten, ein Verfahren im Sinne des Mandanten zu beeinflussen wird, gerade in Strafsachen, gewaltig überschätzt. Um einen lustlosen, überarbeiteteten und/oder inkompetenten Richter ein für den Mandanten günstiges Ergebnis abzuringen, ist keine große Kunst. Einem altgedienten, kompetenten und engagierten Vorsitzenden einer Großen Strafkammer ins Schwimmen zu bringen, ist aber auch für die erfahrensten Verteidiger schwer bis unmöglich.
Nehmen wir beispielhaft den Fall Alexander Falk:
Der BGH hat die Revision von Alexander Falk, der drei „Starverteidiger“ mit bestimmt nicht geringen Honorarforderungen engagiert hatte, verworfen und der Revision der Staatsanwaltschaft stattgegeben.
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2010&Sort=3&nr=53051&linked=bes&Blank=1&file=dokument.pdf
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2010&Sort=3&anz=134&pos=0&nr=53055&linked=urt&Blank=1&file=dokument.pdf
Die Verteidiger hatten während des Verfahrens alles aufgefahren was geht und sich sehr viel Mühe gegeben, wie sich aus der sehr interessanten Prozeßdokumentation ergibt:
http://www.die-strafverteidiger.de/prozessdokumentation-2/verfahren-gegen-alexander-falk/
Wobei möglicherweise nicht alles sinnvoll und erfolgversprechend war, was dort von der Verteidigung vorgetragen wurde. Trotz aller Mühe: das Landgericht Hamburg hat es geschafft, ganz souverän eine Entscheidung zu finden, die zumindest den Angriffen der Revision des Angeklagten standgehalten hat.
Sicher: wer über Millionen verfügt und sich selbstverschuldet in Schwierigkeiten gebracht hat, kann auch hohe Stundensätze zahlen, die er für seine eigene mehr oder weniger kompetente Tätigkeit auch von seinen eigenen Kunden verlangt. Der Mandant sollte sich jedoch immer bewußt sein, daß ein Anwalt nicht zaubern kann und die Höhe der Stundensätze nichts über die Qualität der Arbeit aussagt. Manchmal zahlen Mandanten auch viel Geld für Wind und Show. Es haben schon PKH-Kläger nebst Wald- und Wiesenanwalt gegen „Staranwälte“ gewonnen. Eigentlich passiert das täglich.
Ich finde es eher überraschend, dass bei strafrechtlich tätigen Rechtsanwälten die Stundensätze so restriktiv behandelt werden. Im wirtschaftsrechtlichen Bereich (Corporate, insb. M&A) ist es keine Seltenheit, dass den Mandanten bereits für junior associates (d.h. Berufsanfänger) Stundensätze von EUR 300,- und mehr abgerechnet werden. Dass Stundensätze von Partnern bei EUR 500,- und mehr liegen ist da eigentlich selbstverständlich.
@ 1
es bleibt ihnen ja unbenommen, sich in einem komplizierten rechtsstreit an einen feld- wald- und wiesenanwalt ihres vertrauens zu wenden. wenn der dann die sache zum erfolg bringt, umso besser.
aber was spricht dagegen, wenn spezialisten hohe stundenhonorare vereinbaren? niemand zwingt den mandanten, eine solche vereinbarung zu unterschreiben.
@ 2: ich weiß auch nicht, warum man bei Strafverteidigern so „kleinlich“ ist. hat vielleicht mit der Materie zu tun.
Das liegt sicher daran, daß die beteiligten Richter für einen Bruchteil solcher Stundensätze (auch netto gerechnet) die gleiche Arbeit machen müssen und leicht erkennen, daß vieles, was Strafverteidiger vorbringen, „heiße Luft“ ist, die vielleicht den Mandanten und das Publikum beeindruckt, verfahrens- und revisionsrechtlich jedoch keine Auswirkungen hat (siehe oben, Fall Falk).
Außerdem soll bei Strafverteidigern offenbar die Ausnahme von der Regel gelten, daß das Honorar nicht für die Bemühungen, sondern für einen Erfolg gezahlt wird. So liest man mitunter in Entscheidungen über Honorarstreitigkeiten, daß die vom Angeklagten z.B. geleisteten/geforderten 15.000,- Euro schon deshalb unangemessen seien, weil der Angeklagte verurteilt und die Revision als „o.u.“ verworfen worden ist.
Bei zivil- oder verwaltungsrechtlich tätigen Anwälten fragt niemand nach dem Erfolg der Bemühungen – schon gar nicht wenn die Gebühren rein streitwertabhängig berechnet werden -, obwohl hier nicht weniger heiße Luft produziert und die Mandanten in oftmals offensichtlich aussichtslose Rechtsmittel „getrieben“ werden. Und in den unseligen urheber- und wettbewerbsrechtlichen Abmahnfällen schrauben sogar die Gerichte die Honorare durch völlig übertriebene fünf- bis sechsstellige Streitwerte in die Höhe, halten sogar die von studentischen Mitarbeitern hektographierten Massenbriefe mit eingescannten Unterschriften für kostenerstattungsfähige anwaltliche Arbeit.
Alles wenig nachvollziehbar – Rechtsprechung eben.
Honorare im Strafrecht sind immer wieder ein heikles Thema. Kaum unterzeichnet, kommt der Vertragspartner und meint, viel zu teuer. Klar war er inzwischen bei der Konkurrenz, die die Verteidigung für einen Betrag um X geringer angeboten hat.
Hier mal ein Beispiel, wie problematisch das alles sein kann:
Vorwurf Totschlag, U-Haft, 6 Monate intensive Verteidigung im Vorverfahren, Haftprüfung beantragt und schriftl. begründet, am Termin teilgenommen, Haftbeschwerde schriftlich begründet, sofortige Beschwerde zum OLG schriftlich begründet, 16 Haftbesuche, 3000 Seiten Verfahrensakten studiert. Stundenaufwand im Vorverfahren mind. 90 Stunden in 6 Monaten, macht bei 200 € x 90 Std. 18.000 € aus. Wer kann das bezahlen? Aber es wäre erforderlich, um eben in aufwendigen, schwierigen Verfahren intensiv zu arbeiten und gleichzeitig auch als Einzelanwalt wirtschaftliche Belange zu berücksichtigen. Der weit darunter liegende Pauschbetrag machts auch noch. Aber eben bei aufwendigen Verfahren wie hier beschrieben am unteren Rand.
Dann steht die Hauptverhandlung vor der Tür, Totschlag steht zur Debatte, 6 schweigende Angeklagte. Die Anklage benennt Dutzende Zeugen und eine Kompanie Sachverständige. Die Prozessdauer ist nicht kalkulierbar, sie könnte zwischen 15 und 35 Tagen liegen. Was nun? Pauschalhonorar als Festbetrag z.B. über 20 Tage unabhänbgig von der tatsächl. Anzahl der Verhandlungstage? Klingt vernünftig, sowohl zur Risikominimierung der Kosten für den Auftraggeber als auch für den wirtschaftlich denkenden Verteidiger, der sich nicht verkalkulieren darf, wenn der Prozess dann tatsächlich 35 Tage andauert und der seine Zeit nicht in der Verhandlung absitzt, sondern aktiv verteidigt und auch schon auf die Revision schielen muss. Maßstab über der Mittelgebühr mit 750 € x 20 Tage ergibt 15.000 € als Festbetrag unabhängig der Anzahl an Verhandlungstagen.
Dann kommt die große Überraschung: Prozess durch unerwartete Zeugenaussage oder „umkippen“ der Angeklagten (Geständnis) nach 10 Tagen beendet. Und nun wird der böse Verteidiger durchs Fegefeuer getrieben: reine Abzocke, war doch voraussehbar mit den wenigen Prozesstagen, nichts erreicht, zurück mit einem Teil des Honorars.
Wäre es sinnvoller gewesen, für die Hauptverhandlung ein Stundenhonorar zu vereinbaren? Das aber kann schon bei 10 HV-Tagen teurer werden als ein Pauschalbetrag, dem 20 HV-Tage zugrundegelegt werden. Beispiel: 10 HV- Tage im Durchschnitt 6 Stunden (also 60 Std), Vor- und Nachbereitung der HV- Tage weitere 15 Stunden und 10 Stunden Besprechungen mit dem Mandant in der U-Haft: insgesamt 85 Stunden x 200€/Std. ergibt 17.000€. Aber solche Überlegungen stellen Honorarvertragspartner nicht an.
Wie man es macht, macht man es verkehrt. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Oder nehmen wir die gesetzgeberisch großzügige Regelung, wonach auch ein Pflichtverteidiger eine Honorarvereinbarung mit dem Mandanten oder einem Dritten abschließen darf. Nur, Lieber Pflichtverteidiger, wehe dir, du forderst aus dem vereinbarten Honorar einen Vorschuss. Das ist nämlich gesetzlich untersagt (§ 52 Abs. 2 Satz 2 RVG). Wenn der Vertragspartner freiwillig leistet, so heißt es in der Kommentarliteratur, dann dürfe der Pflichtverteidiger das Honorar auch annehmen. Na wie nett. Fordert der Anwalt im Sinne des § 52 (1) RVG, wenn er mit oder ohne Fristsetzung dem Vertragspartner entsprechend der Vereinbarung im Honorarvertrag eine Rechnung zusendet? Kann die Rechnung zur Forderung werden, wenn sie auf einer freiwillig zustande gekommenen Vereinbarung basiert? Im Zweifel werden „böse Juristen“ sagen: ja.
Sorry, aber was soll der Quatsch? Die ohnehin fiskalisch denkende Justizkasse und mit ihr eine nicht beträchtliche Anzahl von Richtern, die in Kostensachen zu befinden haben, sollten froh sein, wenn Vater Staat bei Honorarvereinbarungen entlastet ist. Und der Pflichtverteidiger hat ohnehin nicht die Möglichkeit, das Mandat niederzulegen und seine Tätigkeit von der Zahlung des Honorars abhängig zu machen.
Ich verteidige leidenschaftlich gern. Wenn es aber um Honorare geht, würde ich mich immer gern unter der Sitzbank im Zuschauerbereich eines Gerichtssaals verkriechen.