Die zweite Entscheidung des Tages behandelt die Frage der Entschädigung für unrechtmäßig erlittene Haft.
Ergangen ist der OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 – 11 W 67/20 – in einem PKH-Verfahren.
Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 839 BGB, Art.34 GG für eine zu Unrecht erlittene Strafvollstreckungshaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018.
Der Antragsteller wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des LG Hagen vom 21.03.2018 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte nicht. Das Urteil wurde am Tag der Verkündung rechtskräftig. Vor Erlass des Strafurteils war der Antragsteller per Unterbringungsbefehl in der Zeit vom 12.10.2017 bis zum 21.03.2018 in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Der Unterbringungsbefehl wurde am letzten Tag der Hauptverhandlung aufgehoben.
Am 25.10.2018 erließ die Staatsanwaltschaft Hagen einen Strafvollstreckungshaftbefehl aufgrund des Urteils vom 21.03.2018. Dabei blieb unberücksichtigt, dass die Zeit der Unterbringung auf die Strafhaft anzurechnen war, daher erging der Haftbefehl zu Unrecht. Am 13.11.2018 wurde der Antragsteller auf Grund des Haftbefehls festgenommen und in die JVA Hagen zur Verbüßung der Strafhaft überstellt. Am 27.11.2018 fiel die unrechtmäßige Inhaftierung des Antragstellers auf, er wurde am gleichen Tag entlassen.
Der Antragsteller macht wegen der rechtswidrigen Inhaftierung einen Schmerzensgeldanspruch gegen das Land NRW geltend. Vorgerichtlich zahlte das Land ein Schmerzensgeld von 600,00 € (= 40,00 €/Tag) und erstattete dem Antragsteller Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.
Der Antragsteller beantragt jetzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine u.a. auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen gerichtete Klage.
Das LG hat hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiese. Das OLG hat teilweise bewilligt,
„Die gem. §§ 127 Abs.2, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die beabsichtigte Klage des Antragstellers hat Aussicht auf Erfolg, soweit er wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft über das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 600,00 € weitere 900,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 54,15 € verlangt.
1. Dass dem Antragsteller wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 gegen das antragsgegnerische Land dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 839, 253 Abs.2 BGB, Art.34 GG zusteht, steht zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens außer Streit. Streitig ist allein die Höhe des dem Antragstellers zuzuerkennenden angemessenen Schmerzensgeldes.
Der Senat bemisst das angemessene Schmerzensgeld nach den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umständen für die 15 Tage unrechtmäßig erlittener Haft auf einen Betrag von insgesamt 1.500,00 €. Dieser Betrag erscheint erforderlich aber auch ausreichend, um das erlittene Unrecht auszugleichen und dem Antragsteller Genugtuung zu verschaffen.
Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind die Dauer der erlittenen Haft, die Beeinträchtigung der Lebensqualität des Antragstellers während der Haft sowie das Maß der Pflichtwidrigkeit und des Verschuldens ausschlaggebend.
Im Ausgangspunkt sind die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Sowohl das Landgericht als auch das antragsgegnerische Land folgen der ständigen Rechtsprechung des Senats, der zur Bemessung des Schmerzensgeldes wegen einer unrechtmäßig erlittenen Haft – wie eine Reihe weiterer Oberlandesgerichte – regelmäßig auf die Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG abstellt (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2001, Az.: 11 W 23/01, Tz.10; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.12.2011, 10 W 14/11, Tz. 29; OLG München, Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, Tz.62, alle zitiert nach juris; Senat, Urt. v. 15.08.2018, Az.: 11 U 138/17). Des Weiteren nimmt der Senat – wie auch das Landgericht – die Rechtsprechung des EGMR in den Blick, wonach durchgängig rund 500,00 € pro Monat für Fälle konventionswidriger Sicherungsverwahrung in Deutschland als angemessen gesehen werden (vgl. Urt. v. 19.04.2012, 61272/09; Urt. v. 19.01.2012, 21906/09; Urt. v. 24.11.2011, 48038/06; Urteile v. 13.01.2011, 17792/07; 20008/07; 27360/04; 42225/07; Urt. v. 17.12.2009, 19359/04). Die von anderen Oberlandesgerichten angenommenen Schmerzensgeldbeträge für eine rechtswidrig erlittene Haft haben sich bisher in einem Bereich zwischen 20,00 € u. 40,00 €/Tag bewegt. Der Senat hat bisher regelmäßig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung einen Betrag von 40,00 €/Tag zu Grunde gelegt, da er es für erforderlich hält, die sich nach dem StrEG und der Rechtsprechung des EGMR ergebenden Beträge angemessen zu erhöhen, um den Umständen Rechnung zu tragen, dass die Haft, anders als die nach dem StrEG zu entschädigenden Fälle, unrechtmäßig angeordnet worden ist, und, anders als die wegen eines Verstoßes gegen Art.5 Abs.1 EMRK zugesprochenen Entschädigungen, auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht.
Der Senat berücksichtigt bei der Bemessung des in Betracht kommenden angemessenen Schmerzensgeldes außerdem die zum 08.10.2020 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs.3 StrEG, wonach die Entschädigung für jeden angefangenen Tag einer (rechtmäßig) angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 € beträgt. Da die geänderte Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Tag ihres Inkrafttretens maßgeblich ist (BT Drs 19/17035, S.7), orientiert sich der Senat bei der hier vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldbetrages an der nunmehr gültigen Fassung des StrEG. Entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass der Betrag nach dem StrEG bei rechtswidriger und schuldhafter Anordnung der Haft angemessen zu erhöhen ist. Nach Abwägung der im vorliegenden Fall vorgetragenen Umstände des Einzelfalls bemisst der Senat das Schmerzensgeld für die in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 erlittene Haft mit einem Betrag von insgesamt 1.500,00 €, worauf das antragsgegnerische Land vorgerichtlich bereits 600,00 € gezahlt hat.
Konkrete Umstände, die abweichend von der Praxis des Senats die Zahlung eines deutlich von den Eckbeträgen des StrEG und der EMRK abweichenden Schmerzensgeldes erforderlich machen, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargetan. Von daher besteht keine Veranlassung dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes zu bewilligen, allein damit über sein Begehren im Hauptsacheverfahren entschieden werden kann. Da die der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Grunde liegenden Umstände unstreitig sind, bedarf es keiner weiteren Klärung durch ein Hauptsacheverfahren. Die Bestimmung der angemessenen Höhe des Schmerzensgeldes betrifft außerdem lediglich den vorliegenden Einzelfall, so dass im Hauptsacheverfahren keine grundsätzlichen Fragen zu klären sind. Auch die von dem Antragsteller angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Koblenz, München und Karlsruhe rechtfertigen keinen anderen Ansatzpunkt für die Schmerzensgeldbemessung. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit dem Beschluss vom 07.03.2018, 1 U 1025/17, die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, dass das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 400,00 € zum Ausgleich für eine unrechtmäßige Ingewahrsamnahme von 13 Stunden angemessen und ausreichend sei. Keineswegs ergibt sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, dass eine unrechtmäßige Freiheitsentziehung mindestens ein Schmerzensgeld von 400,00 €/Tag erforderlich erscheinen lässt. Soweit der Antragsteller zutreffend darauf hinweist, dass das Oberlandesgericht München wegen zu Unrecht verhängter Beugehaft mit Urteil vom 27.05.1993, Az.: 1 U 6228/92, ohne Rücksicht auf die Entschädigungsbeträge nach dem StrEG ein Schmerzensgeld von 1.500,00 DM wegen 4 Tage unrechtmäßig angeordneter Haft für angemessen gehalten hat, ist die Entscheidung durch die nachfolgende Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München überholt (vgl. Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, veröffentlicht bei juris). Dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12.11.2015, Az.: 9 U 78/11, lag schließlich ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem dortigen Verfahren ist dem Kläger für eine zweimonatige rechtswidrige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € zugesprochen worden, wobei bei der Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblich zu berücksichtigen war, dass die Unterbringung mit einer Zwangsmedikation einhergegangen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz.56 – juris).“
Dass der StrEG Anspruch lächerlich niedrig ist, lassen wir an der Stelle mal offen.. Aber wie um alles in der Welt kommt man bei einer Kammeranklage(!) für eine versuchte schwere KV mit Sachbeschädigung zu nur 5 Monaten Freiheitsstrafe?