Einziehung II: Vollstreckung der Einziehungsentscheidung, oder: Wenn der Wert des Erlangten „futsch“ ist

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Die zweite Entscheidung, der OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – Ws 2/20 – ist schon etwas älter. Er hat sich bisher in meinem Ordner „versteckt. Das OLG nimmt Stellung zur Vollstreckung einer Einziehungsanordnung, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist. Und: Es darf nicht vollstreckt werden.

Im Streit zwischen Strafvollstreckungskammer und der Staatsanwaltschaft ist die Vollstreckung einer Einziehungsanordnung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 49.500,00 €, die der Angeklagte nach den Feststellungen des verurteilneden LG aus Betäubungsmittelgeschäften 49.500,00 € erlangt hatte. Es war aber auch festgestellt, dass er sämtliche Einnahmen für seinen Lebensunterhalt und für Eigenkonsum von Betäubungsmitteln verbraucht hatte. Die StVK war davon ausgegangen, dass die Vollstreckung nach § 459g Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StPO obligatorisch zu unterbleiben habe. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die keinen Erfolg hatte:

Die sofortige Beschwerde (§ 462 Abs. 3 S. 1 StPO) der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ansbach ist nicht zu beanstanden.

„1. Die Strafvollstreckungskammer hat § 459g Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StPO zutreffend angewendet. Diese Vorschrift eröffnet im Gegensatz zur Vorgängerregelung in § 73c Abs. 1 S. 2 Alt. 1 StGB a.F. keine Ermessensentscheidung mehr bei eingetretener Entreicherung. Vielmehr hat die Vollstreckung nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, der keinen Raum für eine anderweitige Auslegung eröffnet, zwingend zu unterbleiben, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist.

a) Die Beschwerde hat darin recht, dass ein zentrales Ziel der Gesetzesänderung die Schließung von Abschöpfungslücken war. So wurde § 73c Abs. 1 S. 2 StGB a.F. als Hemmnis für eine effektive Vermögensabschöpfung im Blick auf nachträglich entdecktes Vermögen gesehen. Die Belastung der Tatgerichte mit Fragen der Entreicherung sollte beseitigt und die Problematik in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525 S. 47, 48, 57). Im Anschluss daran besteht nunmehr durch die vollständige Einziehung des Wertersatzes durch das Tatgericht auch bei (vermeintlicher) Entreicherung die Möglichkeit, auf nachträglich entdeckte Vermögenswerte des Täters nach § 459g Abs. 5 S. 2 StPO zuzugreifen.

b) Im Zuge der Entscheidungsverlagerung vom Tatgericht auf die Strafvollstreckungskammer wurde mit der Neuregelung in § 459g Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StPO, wonach die Vollstreckung auf Anordnung des Gerichts unterbleibt, soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist, allerdings auch eine maßgebliche sachliche Änderung zu Gunsten des entreicherten Verurteilten vorgenommen.

Nach der Gesetzesbegründung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525 S. 57) solle die Vollstreckung der Anordnung regelmäßig unterbleiben, wenn die Entreicherung des Täters (oder Teilnehmers) feststehe. Die Regelung in § 459g Abs. 4 S. 1 StPO-E (in Kraft getreten als § 459g Abs. 5 S. 1 entsprechend dem Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 18/11640 S. 46) beuge einer erdrosselnden Wirkung (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, BT-Drs. 18/9525 S. 57, 94) einer Einziehungsanordnung trotz Entreicherung vor.

Die bisherige Regelung in § 73c Abs. 1 S. 2 StGB a.F., die Anordnung kann unterbleiben, soweit der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist (oder wenn das Erlangte nur einen geringen Wert hat), wurde entsprechend dieser vorstehenden Gesetzgebungsabsicht somit durch die zwingende Formulierung ersetzt, dass die Vollstreckung auf Anordnung des Gerichts unterbleibt, soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist (oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre).

c) Vom zwingenden Charakter des § 459 Abs. 5 S. 1 StPO gehen auch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs aus (BGH 1. Strafsenat, Urteil vom 15.05.2018, 1 StR 651/17, Rn. 57, juris; BGH 3. Strafsenat, Beschluss vom 22.03.2018, 3 StR 577/17, juris; BGH 4. Strafsenat, Urteil vom 27.09.2018, 4 StR 78/18, Rn. 11, juris; BGH 5. Strafsenat, Urteil vom 08.05.2019, 5 StR 95/19, Rn. 6, juris; ebenso: OLG München, Beschluss vom 19.07.2018, 5 OLG 15 Ss 539/17, Rn. 26, juris).

d) Die Gegenauffassung (KK-Appl, StPO, 8. Aufl., § 459g Rn. 17), die mit der Begründung, das ausnahmslose Unterbleiben der Vollstreckung liefe dem erklärten Ziel der Neuregelung zuwider, einen missverständlichen Wortlaut zugrunde legt und im Anschluss daran dem Gericht – entsprechend § 73c Abs. 1 S. 2 StGB a.F. – einen Ermessensspielraum einräumt, überzeugt nicht, da der Gesetzeswortlaut von § 459g Abs. 5 S. 1 StPO eindeutig ist und keinen Spielraum für eine Auslegung eröffnet. Weiterhin ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass gerade die regelmäßige Entlastung des Verurteilten im Falle einer Entreicherung vom Gesetzgeber als Gegenpol zur vom Tatgericht vorzunehmenden umfassenden Einziehungsanordnung gewollt war, um der Gefahr einer „erdrosselnden“ Wirkung der Einziehungsanordnung entgegenzuwirken.

e) Auch die weitergehenden Überlegungen der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth in der Beschwerdebegründung zur quasi-bereicherungsrechtlichen Rechtsnatur der Vermögensabschöpfung (vgl. Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665, 674), zum von ihr unter Umständen zu stellenden Insolvenzantrag und dazu, dass der Fall der Entreicherung letztlich der Regelfall sei, führen angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts und der klaren Intention des Gesetzgebers zu keinem anderen Ergebnis.

Der Verteidiger wies in seiner Gegenerklärung zur Beschwerde vom 30.01.2020 im Übrigen zu Recht darauf hin, dass es bei einem Abstellen auf Bösgläubigkeit im Sinne der zivilrechtlichen Bereicherungsvorschriften (so Köhler/Burkhard, a.a.O., S. 674) nahezu keinen Raum mehr gäbe für eine zum Wegfall der Vermögensabschöpfung führende Entreicherung.

f) Nachdem die Entreicherung des Verurteilten vorliegend nach dem Ausgangsurteil feststeht und sich diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse ergeben haben, ist die angefochtene Anordnung der Strafvollstreckungskammer des Unterbleibens der Vollstreckung zu Recht ergangen. Auf die aktuelle, von den Taten des Verurteilten unabhängige Vermögenslage kommt es nicht an.“

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