In die 40 KW. – das Jahresende naht mit Riesenschritten – starte ich mit zwei Entscheidungen zu Sachverständigenfragen.
Im BGH, Beschl. v. 09.06.2020 – 5 StR 167/20 – hat der BGH in einem Verfahren, in dem es um die Unterbringung des Beschuldigten (§ 63 StGB) ging, zur Frage der Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachten Stellung genommen. Der Verteidiger hatte hilfsweise für den Fall der Anordnung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass der Beschuldigte an einer drogeninduzierten Psychose erkrankt sei. Diesen Antrag hat das LG im Urteil – ausdrücklich gestützt auf den Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO – mit der Begründung zurückgewiesen, der – bereits gehörte – Sachverständige F. habe nachvollziehbar dargelegt, warum er nicht sicher habe feststellen können, ob den Anlasstaten eine paranoide Schizophrenie oder aber jeweils eine drogeninduzierte Psychose zu Grunde gelegen habe. Weder sei die Sachkunde des Sachverständigen zweifelhaft, noch sei er von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Der bloße Umstand, dass er in seinem vorläufigen Gutachten noch zu einer eindeutigen Diagnose gekommen sei, in seinem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten aber nicht, mache letzteres nicht mangelhaft.
Die Revision hatte Erfolg:
„2. Die Zurückweisung des Beweisantrags verstößt gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 1. Halbsatz StPO.
Nach dieser Vorschrift kann die Anhörung eines weiteren Sachverständigen abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist. Hier ist indes nicht schon durch das Gutachten des Sachverständigen F. das Gegenteil der behaupteten Tatsache – also die Nichterkrankung des Beschuldigten an einer drogeninduzierten Psychose – erwiesen gewesen. Vielmehr ist das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgegangen, dass der Beschuldigte statt unter einer paranoiden Schizophrenie auch unter einer drogeninduzierten Psychose gelitten haben könnte (vgl. UA S. 19 ff., 30). Soweit das Landgericht gemeint haben sollte, das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache sei schon deshalb erwiesen, weil eine drogeniuzierte Psychose nicht sicher festgestellt werden könne, hätte sie – worauf die Revision zutreffend hinweist – den Inhalt des Beweisantrags nicht ausgeschöpft.
Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob – angesichts der zahlreichen Beanstandungen, die gegen die Methodik des Gutachters von der Verteidigung substantiiert erhoben worden sind – die knappen Erwägungen zur Sachkunde des Sachverständigen und Qualität seines Gutachtens den an die Ablehnungsbegründung eines Ablehnungsbeschlusses zu stellenden Anforderungen genügen (vgl. zum erforderlichen Begründungsumfang je nach Art und Gewicht der gegen das Erstgutachten vorgebrachten Einwände BGH, Beschlüsse vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 358; vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 287, 288; vom 9. Juli 2013 – 3 StR 132/13, NStZ-RR 2014, 281; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 340 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 244 Rn. 75). Denn die Frage, ob der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen sind, ist nur von Bedeutung, wenn das Gericht das Gegenteil der behaupteten Tatsache als „durch das frühere Gutachten“ bereits erwiesen ansehen und deshalb den Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen ablehnen will (BGH, Beschlüsse vom 10. August 2004 – 3 StR 240/04, BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 2 Zweitgutachter 7; vom 3. November 2009 – 3 StR 355/09, NStZ-RR 2010, 51).
3. Zwar kann das Revisionsgericht, wenn – wie hier – ein Hilfsbeweisantrag in zulässiger Weise erst in den Urteilsgründen beschieden worden ist, die Ursächlichkeit des Verstoßes gegen § 244 Abs. 4 StPO mit der Begründung verneinen, dass das Tatgericht den Antrag mit einer anderen Begründung rechtsfehlerfrei hätte ablehnen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1997 – 1 StR 578/97, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 9; vom 10. August 2004 – 3 StR 240/04, NStZ 2005, 159; vom 24. August 2007 – 2 StR 322/07, NStZ 2008, 116; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 244 Rn. 107 mwN). Die dafür erforderliche Voraussetzung, dass ein solcher Ablehnungsgrund sich aus den Urteilsgründen ergeben oder sonst auf der Hand liegen muss, ist hier aber nicht erfüllt. Der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angestellten Überlegung, die Strafkammer habe aufgrund des ihm durch den Sachverständigen vermittelten Wissens die für die Beurteilung der Störung des Beschuldigten erforderliche eigene Sachkunde erlangt und hätte deswegen den Antrag nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO ablehnen können, steht schon entgegen, dass sie sich für die Frage einer Abgrenzung zwischen substanzinduzierter Psychose einerseits und paranoider Schizophrenie andererseits ausdrücklich keine Sachkunde zugetraut hat. Sie hat hierzu ausgeführt, den Schluss des Sachverständigen, eine solche Abgrenzung sei nicht zu leisten, habe sie „letztlich hinzunehmen, da sie mangels eigener Sachkunde nicht entscheiden“ könne, ob der Sachverständige möglicherweise einen zu strengen Maßstab angelegt habe; ihr erscheine die Begründung des Sachverständigen für die Änderung seiner Diagnose und sein Abweichen vom Ergebnis des vorläufigen Gutachtens „jedenfalls nicht als offensichtlich unvertretbar“ (UA S. 23).
4. Trotz der von dem Landgericht angestellten Alternativerwägungen ist nicht ausgeschlossen, dass die Einholung des beantragten Gutachtens auf die Prüfung der Strafkammer, ob eine und gegebenenfalls welche Maßregel zu verhängen ist, Einfluss gehabt haben könnte.
5. Die Sache bedarf daher – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Abläufen der drei Anlasstaten haben jedoch Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.“