Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, der AG Nürnberg, Beschl. v. 13.07.2020 – 403 Ds 604 Js 58985/15 – verhält sich zum Haftzuschlag (Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG) bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Um den hat der Kollege Peisl aus Nürnberg, der mir den Beschluss geschickt hat, mit der Staatskasse gestritten. Der Kollege hat dann beim Amtsrichter „gewonnen“. Der hat den Haftzuschlag gewährt. Begründung:

„Laut Ziffer 4100 VV RVG entsteht die Grundgebühr gemäß dessen Unterabschnitt 1 neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt.

Unstreitig lagen hier Zuschlagsvoraussetzungen in der Weise vor, dass der Angeklagte sich im Verfahren in Haft befand. Fraglich ist einzig und allein, ob trotz vorheriger Einarbeitung des Verteidigers, als sich der Angeklagte noch nicht in Haft befand, sondern auf freiem Fuß war, der Zuschlag auch dann anfällt, wenn der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens als zur Zeit der Einarbeitung des Verteidigers in Haft befand.

Nach Auffassung des Gerichts ist dies der Fall. Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 4100 VV RVG Unterabschnitt 1, der für die Grundkonstellation die Entstehung der Verfahrensgebühr als einmalig für die erstmalige Einarbeitung definiert, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Spiegelbildlich dazu kann nach der Systematik des Gesetzes für den Zuschlag im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG nichts anderes gelten – auch diese fällt an, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Mithin ist es nicht erforderlich, dass die Zuschlagsvoraussetzungen zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben, sondern nur, dass diese in irgendeinem Verfahrensabschnitt gegeben waren. Nur so ergibt der Zuschlag Sinn. Denn der Aufwand bei Bearbeitung einer Haftsache ist ungleich höher als er einer Nicht-Haftsache; es kann daher nicht von rein zufälligen zeitlichen Konstellationen abhängen, ob der Zuschlag gewährt wird. Genau dies sagt im Grundsatz schon Ziffer 4100 VV RVG aus, indem deren Unterabschnitt 1 gerade unabhängig von der zeitlichen Einordnung die Grundgebühr auslöst. Ziffer 4101 VV RVG ist genau in diesem Lichte zu lesen, weshalb es gerechtfertigt ist, dass ein etwaiger Mehraufwand, der einen Zuschlag rechtfertigt, unabhängig von seiner zeitlichen Komponente rechtlich immer als Teil der Ersteinarbeitung zählt.

Das ist hier der Fall, sodass die Grundgebühr im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG mit 192,00 Euro anfiel und nicht wie im Ausgangsbeschluss mit nur 160,00 Euro.

Im Übrigen ist die Berechnung im Antrag des Verteidigers vom 21.01.2020 zutreffend, so dass auf diesen Bezug genommen werden kann, weshalb im Ergebnis insgesamt 415,31 Euro an Vergütung zuzusprechen waren.2

Wie gesagt: M.E. nicht richtig, denn: Befand sich der Angeklagte/Mandant zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger sich „eingearbeitet“ hat – das ist der Abgeltungsbereich der Grundgebühr – (noch) nicht in Haft, ist die Grundgebühr ohne Haftzuschlag entstanden. Dass der Mandant später inhaftiert wurde hat keinen Einfluss mehr auf bereits abgeschlossene Gebührentatbestände. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Grundgebühr „neben“ der Verfahrensgebühr entsteht. Das AG irrt, wenn es meint, dass die „Zuschlagsvoraussetzungen“ nicht zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben müssen. Doch. Müssen sie, sonst passt der Zuschlag nicht. Wäre die Auffassung des AG richtig, würde die Grundgebühr ja immer (nachträglich) mit Zuschlag entstehen, wenn der Mandant irgendwann im Laufe des Verfahrens inhaftiert würde. Das ist aber nicht der Fall.

4 Gedanken zu „Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

  1. Helmschrott Ernst

    Guten Morgen Herr Burhoff,

    wie recht Sie haben ! Ich war der für die Sache zuständige Bezirksrevisor. Ich dachte schon, dass Sie die Entscheidung für richtig halten würden……….

    Beste Grüße aus Nürnberg

    Ernst Helmschrott

  2. Ernst Helmschrott

    Guten Tag Herr Burhoff,
    ich habe Ihr Feedback vom 03.08.2020 erst jetzt gelesen. Trotzdem vielen Dank. Daß Sie nur manchmal richtig liegen, das haben Sie selbst gesagt……
    Ich hatte Ihnen zuvor geschrieben:
    „Guten Morgen Herr Burhoff,
    wie recht Sie haben ! Ich war der für die Sache zuständige Bezirksrevisor. Ich dachte schon, dass Sie die Entscheidung für richtig halten würden……….
    Beste Grüße aus Nürnberg
    Ernst Helmschrott“

    Mein Kollege in Nürnberg hat mich gerade auf eine Anmerkung von Herrn Dr. Mayer aus Bühl hingewiesen in NJW Spezial (Heft 21, 696). Im Klartext wird die „einsame“ Entscheidung als richtig befunden. Ich habe nur die Befürchtung, dass eine neue Sichtweise entsteht, welche Sie ebenfalls nicht teilen. Diese Sichtweise wirft wichtige Grundsätze über den Haufen. Ich versuche nunmehr auch mit Herrn Dr. Hans-Jochem Mayer Kontakt aufzunehmen. Meine persönliche Auffassung war immer: was ein Rechtsanwalt an Vergütung verdient, das muss man ihm geben. Auch aus der Staatskasse. Wenn ein Revisor allzu kleinlich ist, dann gehen seine Ausführungen an der Realität vorbei.

    Viele Grüße aus Nürnberg
    Ernst Helmschrott

  3. Detlef Burhoff Beitragsautor

    Ich hatte Ihnen geschrieben: „Nun, manchmal liege sogar ich richtig“. Das ist etwas anderes als „nur manchmal“ :-).

    Welche „neue“ Sichtweise befürchten Sie. Ich denke, dass AG Nürnberg wird nicht das RVG revolutionieren 🙂

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