Pflichti III: Beschuldigter unter Betreuung, oder: Nicht generell ein Pflichtverteidiger

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch der LG Münster, Beschl. v. 12.03.2020 – 9 Qs-82 Js 6888/19-14/20, mal wieder eine Entscheidung zur Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn der/die Beschuldigte unter Betreuung steht. Das LG hat die Bestellung abgelehnt:

„Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Weder die Schwere der Tat noch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen lassen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Es geht lediglich um den Kauf von drei Kleidungsstücken im Internet für insgesamt 12,00 € zuzüglich 4,80 € Versand. Dies zeigt sich auch daran, dass das Verfahren gemäß § 153 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde.

Die Sach- oder Rechtslage ist auch nicht schwierig. Es geht letztlich nur um die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Beschwerdeführerin.

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin nicht selbst verteidigen konnte. Dies ergibt sich nicht schon allein aus der Tatsache, dass sie unter gesetzlicher Betreuung stand. Vielmehr muss konkret anhand des jeweiligen Falles geprüft werden, ob die Fähigkeit zur Selbstverteidigung besteht oder nicht. Nach diesen Maßstäben kommt eine Beiordnung hier nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin stand seit dem 19.03.2018 unter gesetzlicher Betreuung für die Aufgabenkreise postalische Angelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung bei Behörden und Ämtern sowie Wohnungsangelegenheiten. Außerdem wurde zur Wirksamkeit von Willenserklärungen im Bereich der Vermögenssorge ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Aus dieser Art und diesem Umfang der gesetzlichen Betreuung lässt sich nichts herleiten. Aus dem Auszug der Betreuungsakte ergibt sich zwar, dass der Beschwerdeführerin bereits im Jahre 2011 eine gesetzliche Betreuung für den Bereich der Vermögenssorge nahegelegt worden war, sie aber den Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst 2012 abgebrochen hatte. Zu einer erneuten Kontaktaufnahme kam es erst wieder im November 2017, weil sie psychische Probleme Katte und ihr aufgrund von Zahlungsrückständen* die Wohnung gekündigt• worden war. Außerdem war „ihr größtes Problem“ ein Haftbefehl, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte und nunmehr eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen antreten musste, die sie dann auch verbüßt hat.

Aus diesen Umständen ergibt sich nicht, dass sie sich im vorliegenden Verfahren nicht selbst verteidigen kann. Soweit die Verteidigung unter Berufung auf das OLG Hamm eine andere Auffassung vertritt, greift dies nicht durch. Diese Entscheidung (Beschluss vom 14. August 2003 -2 Ss 439/03 -, Rn. 11, juris) betrifft einen ganz anderen Sachverhalt. Dort ging es um den Vorwurf einer Verkehrsunfallflucht und die Frage der subjektiven Wahrnehmbarkeit des Unfalls. Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen 80-jährigen Mann, der seit sieben Jahren unter Betreuung stand und dessen Hörfähigkeit und damit die subjektive Wahrnehmbarkeit des Unfallgeschehens zweifelhaft-war. Das Oberlandesgericht hat nicht allein aufgrund der Tatsache der Betreuung, sondern aufgrund deren Dauer in Verbindung mit dem Alter bei dieser Verfahrens- und Beweissituation die Notwendigkeit einer Beiordnung bejaht. Dies ist mit den Umständen des vorliegenden Falles nicht vergleichbar.“

Nun ja. Kann man auch anders sehen und wird ja auch zum Glück teilweise anders gesehen.

Ein Gedanke zu „Pflichti III: Beschuldigter unter Betreuung, oder: Nicht generell ein Pflichtverteidiger

  1. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Wenn man die Betreuungsakte bezieht (würde ich als StA stets machen wenn sich aus der Akte Anhaltspunkte ergeben) und sich aus dem dort idR vorhandenen Gutachten ein Bild machen kann, muss man nicht zwingend immer beiordnen. Aber vermutlich in der überwiegenden Zahl der Fälle. Es schadet doch auch niemandem, im Gegenteil. Der Verteidiger bringt vielleicht eine sinnvolle Einlassung und man hat was, womit man arbeiten kann.

    Meine StA hier macht es sich immer viel zu leicht. Da wird keine Akte beigezogen und auch nicht selbst begutachtet, sondern man klagt es einfach sportlich an, damit die Zählkarte erledigt ist.

    Wenn ich dann im Zwischenverfahren schimpfe, kommt es mit zwei handgeschriebenen Zeilen zurück: „Wenn das Gericht meint, es brauche ein Gutachten – möge es selbst eines in Auftrag geben.“

    Was ich dann auch mache – und wenn dann Schuldunfähigkeit rauskommt, sieht diese Akte keinen Eröffnungsbeschluss…. § 170 II StPO wäre viel korrekter… Aber die StA muss schnell erledigen, da ist keine Zeit, seine Arbeit korrekt zu machen….

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