Wenn sich die Motivlage für die Tötung ändert, oder: Schwurgericht „vergisst“ den rechtlichen Hinweis

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Heute – 07.11.2019 – ist ein besonderer Tag. Das Wichtigeste: Die kleine Prinzessin wird 2 Jahre alt – und daran erkenne ich mal wieder: Ich werde älter. Es geht schneller, als man denkt.

Und dann haben wir noch einen besonderen Tag: Dazu dann heute Nachmittag mehr…. jetzt wird erst mal etwas gearbeitet. 🙂

Und das machen wir zunächst mal mit dem BGH, Beschl. v. 24.07.2019 – 1 StR 185/19. Es geht um die Hinweispflicht bei/vor einer Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Da meinte das Schwurgericht in Stuttgart, ohne rechtlichen Hinweis auskommen zu können, und zwar bei etwa folgendem Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten wegen der Tötung seiner früheren Lebensgefährtin wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen (§ 211 Abs. 2 StGB) veurteilt. Bei dieser Wertung hat es dem Umstand erhebliches Gewicht beigemessen, dass der Angeklagte mit der Tötung der ehemaligen Lebensgefährtin den Verlust des gemeinsamen Sorgerechts für den gemeinsamen Sohn verhindern wollte, vor allem auch deshalb, weil sonst für ihn die letzte Aussicht weggebrochen wäre, einem drohenden Strafvollzug zu entgehen.

Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge teilweise Erfolg. Denn: Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte das Vorliegen niedriger Beweggründe damit begründet, der Angeklagte habe mit der Tötung seiner ehemaligen Lebensgefährtin die Aufdeckung seiner Falschangaben im Sorgerechtsstreit sowie den ihm drohenden Verlust des durch die falschen Angaben erschlichenen gemeinsamen Sorgerechts für den gemeinsamen Sohn bei einem unmittelbar bevorstehenden Gerichtstermin verhindern wollen. Zudem habe er der Getöteten jedes Recht abgesprochen, in Zukunft das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn auszuüben. In Abweichung hiervon hat das LG in den Urteilsgründen als Beweggrund des Angeklagten für die Tötung der Lebensgefährtin aber eben zugrunde gelegt, dass er den Verlust des Sorgerechts auch deshalb verhindern wollte, weil dies seine letzte Hoffnung, dem sich bereits abzeichnenden Strafvollzug zu entgehen, zunichtegemacht hätte.

Einen förmlichen Hinweis darauf, dass es gedachte, von einem anderen Tatmotiv als Anknüpfungspunkt für die Annahme niedriger Beweggründe als die Anklage auszugehen, hat das LG in der Hauptverhandlung nicht erteilt. Und das gefällt dem BGH nun gar nicht:

„b) Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet. Die Verfahrensweise des Landgerichts ist mit § 265 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 StPO nicht vereinbar. Dem Angeklagten hätte ein förmlicher Hinweis darauf erteilt werden müssen, dass das Landgericht die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe auf eine Motivlage zu stützen gedachte, die von der in der Anklageschrift angenommenen deutlich abwich. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, 3210) hat der Gesetzgeber in § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO die Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 StPO auf Fälle erweitert, in denen sich in der Hauptverhandlung die Sachlage gegenüber der Schilderung des Sachverhalts in der zugelassenen Anklage ändert und dies zur genügenden Verteidigung vor dem Hintergrund des Gebots rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und des rechtsstaatlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1769/04) einen Hinweis erforderlich macht (vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 37 sowie BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – 1 StR 688/18 Rn. 14). Der Gesetzgeber hat dabei an die Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (BT-Drucks. 18/11277, S. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14 Rn. 13; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. Juni 2019 – 5 StR 20/19 Rn. 14). Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Gesichtspunkte wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 – 1 StR 688/18 Rn. 15). Danach bestehen Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, die Tatrichtung, die Person eines Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes. Hingegen sind Hinweise etwa hinsichtlich der Bewertung von Indiztatsachen nach dem Willen des Gesetzgebers auch zukünftig nicht erforderlich. Ebenso wenig muss das Gericht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens vor der Urteilsberatung seine Beweiswürdigung offenlegen oder sich zum Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2019 aaO mwN).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war aber auch bereits nach der alten Rechtslage (§ 265 Abs. 1 und 4 StPO aF) anerkannt, dass ein förmlicher Hinweis dann zu erteilen ist, wenn die Verurteilung auf ein schon in der Anklageschrift angenommenes Mordmerkmal gestützt werden soll, sich aber die Tatsachengrundlage, die dieses nach Auffassung des Gerichts ausfüllt, gegenüber derjenigen ändert, von der die Anklage ausgegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 206/18 Rn. 9 mwN). Dies bedeutet für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, dass der Angeklagte nicht nur davon in Kenntnis zu setzen ist, durch welche bestimmten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als erfüllt ansieht; vielmehr ist er auch darüber zu informieren, dass sich diese Tatsachen aus Sicht des Gerichts gegenüber der Anklageschrift oder aber auch einem früher erteilten Hinweis geändert haben können (BGH aaO).

bb) Nach diesen Maßstäben war hier ein Hinweis geboten; denn die Tatsachengrundlage, auf welche das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe stützt, weicht wesentlich von derjenigen der Anklage ab. Die Urteilsgründe gehen von einem anderen Tatmotiv und damit zur subjektiven Tatseite von einem anderen Sachverhalt aus als die Anklage.

In der Anklageschrift wurde das Vorliegen niedriger Beweggründe damit begründet, dass der Angeklagte die Aufdeckung seiner Falschangaben im Sorgerechtsstreit, den ihm deswegen drohenden Verlust des erschlichenen Sorgerechts sowie die Ausübung des Sorgerechts durch K. durch deren Tötung verhindern wollte. Demgegenüber begründet das Landgericht in den Urteilsgründen das Vorliegen niedriger Beweggründe wesentlich damit, dass der Angeklagte gestützt auf sein Sorgerecht, das er sich mit der Tötung der Mutter des gemeinsamen Kindes erhalten wollte, in einem laufenden Strafverfahren Vorteile bei der Strafbemessung oder Strafvollstreckung sichern wollte.

Diese Beweggründe weichen deutlich voneinander ab. Zwar geht das Urteil in gleicher Weise wie die Anklage davon aus, dass sich der Angeklagte mit der Tötung von K. das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn erhalten wollte. Eine Verbindung zwischen Tötungshandlung und der Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung oder einer günstigeren Strafvollstreckung in einem laufenden Strafverfahren gegen den Angeklagten wird in der Anklageschrift aber nicht hergestellt. Vielmehr wird erstmals in den Urteilsgründen als Grund für die Annahme niedriger Beweggründe darauf abgestellt, dass der Angeklagte die Tat beging, um gestützt auf das bestehende Sorgerecht dem Strafvollzug zu entgehen. Gerade aber deswegen, weil der Angeklagte das Leben der Getöteten derart geringgeschätzt habe, dass es aus seiner Sicht hinter seinen persönlichen Interessen habe zurücktreten müssen, hat das Landgericht die Beweggründe des Angeklagten für die Tötung als niedrig gewertet.

cc) Der Hinweis auf die geänderte Tatsachengrundlage war auch zur genügenden Verteidigung erforderlich. Denn erst dieser hätte dem Angeklagten ermöglicht, sich gegen den Vorwurf einer in der Vorstellung des Angeklagten bestehenden Konnexität zwischen Sorgerecht und günstigem Verlauf eines laufenden Strafverfahrens als Motiv für eine Tötung seiner ehemaligen Lebensgefährtin zu verteidigen. Die bloße Angabe in der Anklageschrift, dass der Angeklagte gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt hatte, genügt dafür nicht. Es kann dahinstehen, ob der Hinweis entbehrlich gewesen wäre, wenn die Änderung der Sachlage durch den Gang der Hauptverhandlung für die Verfahrensbeteiligten ohne weiteres ersichtlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18 Rn. 5 mwN); denn dies war hier nicht der Fall.

dd) Den danach erforderlichen Hinweis hätte der Vorsitzende der Strafkammer förmlich erteilen müssen. Er wäre als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen gewesen (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) und kann nur durch dieses bewiesen werden (§ 274 Satz 1 StPO, vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 206/18 Rn. 13).

ee) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Zwar hat der Angeklagte seine Täterschaft insgesamt in Abrede gestellt. Auch hat er angegeben, dass er sich Hafterleichterungen durch ein gemeinsames Sorgerecht nicht versprochen habe (UA S. 31). Der Senat kann gleichwohl nicht ausschließen, dass sich der Angeklagte zu seinen Zielen und zu dem von ihm geplanten Vorgehen im anstehenden Berufungsverfahren anders als geschehen verteidigt hätte, wenn er darauf hingewiesen worden wäre, dass vom Landgericht zwischen diesem Verfahren und der Frage, ob niedrige Beweggründe vorliegen, ein Zusammenhang gesehen wird.“

Für mich ist das Verhalten des Schwurgerichts nicht nachvollziehbar. Wenn man es mit einer gesetzlichen Neuregelung zu tun hätte, könnte man ja vielleicht noch ein wenig Verständnis aufbringen. Aber nicht so, wenn auch nach altem Recht ein rechtlicher Hinweis erforderlich war. Das sitzen doch drei (hoffentlihc) erfahrene Berufsrichter. Und keiner kommt auf die Idee, dem Angeklagten vor einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld einen Hinweis zu erteilen, dass sich die Sachlage geändert hat bzw. man von einem anderen Motiv ausgehen will. Muss man m.E. nicht noch weiter kommentieren. Kommentiert sich selbst :-).

Zumal: Der BGH scheint auch sonst Probleme mit dem Urteil zu haben:

3. Die Verurteilung wegen Mordes hat daher bereits wegen des Verfahrensfehlers keinen Bestand. Es bedarf keiner Entscheidung mehr, ob der Schluss des Landgerichts, der Angeklagte habe sich auch deshalb zur Tat entschlossen, weil er dadurch einen sich abzeichnenden Strafvollzug vermeiden wollte, auf einer tragfähigen verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26 mwN). Dasselbe gilt für die Frage, ob die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit unter Berücksichtigung seiner Vorverurteilungen die Feststellung einer besonderen Schuldschwere im Sinne von § 57a Abs. 1 Satz 1 StGB hätte tragen können (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2015 – 1 StR 152/15, NStZ 2015, 635 und vom 15. April 1999 – 4 StR 93/99, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 22).

 

3 Gedanken zu „Wenn sich die Motivlage für die Tötung ändert, oder: Schwurgericht „vergisst“ den rechtlichen Hinweis

  1. Thomas Hochstein

    Nun ja. Das Schwurgericht hat für die Annahme niederer Beweggründe ja nicht auf eine andere, sondern ergänzend auf eine weitere, eng zusammenhängende Tatsachengrundlage abgestellt; zudem hat der Angeklagte – wie auch der BGH ausführt – sich zu dieser Frage in der Hauptverhandlung eingelassen, so dass ihm die – nicht wesentlich – geänderte Sachlage auch bekannt war (und er sich diesbezüglich nicht nur verteidigen konnte, sondern sogar verteidigt hat). Zudem muss sich doch fragen, wie sich ein die Tat zur Gänze bestreitender Angeklagter zu dem möglichen Motiv der Tat, die er gar nicht begangen haben will, anders einlassen soll als indirekt, nämlich bspw. wie hier, dass es ihm bei dem Sorgerechtsstreit nicht auf mögliche Hafterleichterungen ankam. Es erscheint daher einigermaßen schwer verständlich, wie das Urteil – unterstellt, der Hinweis sei erforderlich gewesen – auf dessen Unterbleiben beruhen soll. Auch der Senatsentscheidung kann ich dazu nichts wirklich erhellendes entnehmen.

    Möglicherweise ging es dem BGH im Ergebnis mehr um die Fragen, die „keiner Entscheidung mehr“ bedürfen …

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