Die 37. KW. eröffne ich dann mit zwei Entscheidungen zur (versäumten) Urteilsabsetzungsfrist, also eine Problemtaik aus § 275 StPO i.V.m. § 338 Nr. 7 StPO. Stichwort: Absoluter Revisionsgrund.
Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – KRB 37/19, also eine Entscheidung des Kartellsenats des BGH. Ergangen ist er in einenm Verfahren, das beim OLG Düsseldorf anhängig war. In dem hatte das OLG im OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.02.2108 – 4 Kart 3/17 OWi – die Fa. Rossmann wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 30 Millionen Euro verurteilt. Grund: Mehrere Handelsketten und die „Kaffeefirma“ Melitta hatten sich mehrere Jahre lang über die Verkaufspreise für Filterkaffee abgesprochen.
Auf die Revision von Rossmann hat der BGH das Urteil des OLG Düsseldorf aufgeboben. Begründung: Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist ohne rechtfertigenden Grund:
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, das Urteil sei verspätet zu den Akten gebracht worden (§ 275 Abs. 1, § 338 Nr. 7 StPO, § 71 Abs. 1, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), ist begründet. Das am 28. Februar 2018 nach 24 Hauptverhandlungstagen verkündete Urteil hätte spätestens nach elf Wochen, also bis zum 16. Mai 2018 zu den Akten gebracht werden müssen. Dies ist jedoch erst am 29. Mai 2018 durch Niederlegung auf der Geschäftsstelle geschehen, nachdem das Urteil am Vortag fertiggestellt und unterschrieben war.
1. An der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist war das Oberlandesgericht nicht durch einen unvorhersehbaren und unabwendbaren Umstand im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO gehindert. Ob ein solcher Umstand vorliegt, hat allein das Rechtsbeschwerdegericht zu beurteilen. Die Absetzungsfrist dient der Verfahrensbeschleunigung und soll zugleich die Übereinstimmung der schriftlichen Urteilsgründe mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung sichern (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 436/91, StV 1992, 98). Sie steht nicht zur Disposition des Tatgerichts und darf nur ganz ausnahmsweise wegen unabwendbarer und nicht voraussehbarer Umstände (vgl. KK-StPO/Greger, 8. Aufl., § 275 StPO Rn. 48) überschritten werden, wobei überstrenge Anforderungen zu vermeiden sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1975 – 1 StR 701/75, BGHSt 26, 247, 249). Die gerügte Fristüberschreitung ist trotz des von dem Vorsitzenden und der Berichterstatterin in ihren dienstlichen Erklärungen vom 28. und 29. Mai 2018 geschilderten Sachverhalts, wonach die Berichterstatterin ab dem 11. April 2018 aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen außerstande war, die Urteilsgründe weiter abzufassen, und der Vorsitzende diese Aufgabe daraufhin mit voller Arbeitskraft übernahm, nicht zu rechtfertigen.
a) Bei einem Kollegialgericht wie dem Kartellsenat des Oberlandesgerichts gestattet auch der unvorhersehbare Ausfall der Berichterstatterin die Fristüberschreitung nicht ohne Weiteres. Dies ist darin begründet, dass nicht nur der Berichterstatter, sondern alle berufsrichterlichen Mitglieder des Spruchkörpers für die Einhaltung der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO verantwortlich sind. Beim Ausfall der Berichterstatterin müssen deshalb notfalls die anderen erkennenden Richter oder ein solcher Richter das Urteil abfassen, sofern dies möglich und zumutbar ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 26, 247, 249; BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 5 StR 295/88, BGHR StPO § 338 Nr. 7 Fristüberschreitung 1; Beschluss vom 27. April 1999 – 4 StR 141/99, NStZ 1999, 474; Beschluss vom 9. Dezember 2010 – 5 StR 485/10, StV 2011, 211; Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 390/13, NStZ-RR 2014, 87).
b) Hieran gemessen hätte das Oberlandesgericht das schriftliche Urteil fristgerecht zu den Akten bringen müssen. Die Berichterstatterin hatte den von der Rechtsbeschwerde mitgeteilten dienstlichen Erklärungen zufolge bis zum 11. April 2018 mit beanstandungsfreiem Arbeitseinsatz zumindest einen „Rohentwurf, der die Feststellungen und die Grundzüge der Beweiswürdigung umfasste“, gefertigt. Die zugehörigen Dateien und die Mitschriften aus der Hauptverhandlung stellte sie dem Vorsitzenden zur Verfügung, als dieser am selben Tag die Bearbeitung des Urteils übernahm. Zwar ist es bei diesem Ablauf unter den Umständen des Einzelfalls nachvollziehbar, dass die weitere Abfassung der Urteilsgründe durch einen anderen erkennenden Richter etwa dadurch mehr Zeit in Anspruch nehmen kann, dass sie sechs Wochen nach der Verkündung erst wieder eine Einarbeitung in die Sache erfordert, wobei die Aussagen von Zeugen, die in der Hauptverhandlung ausführlich, teilweise ganz- und mehrtägig vernommen worden sind, nur den nicht selbst erstellten Mitschriften zu entnehmen sind. Eine fristgerechte Absetzung des 130 Seiten umfassenden Urteils war dem Oberlandesgericht aber gleichwohl jedenfalls deshalb möglich und zumutbar, weil auch der weitere beisitzende Richter – im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit dem Vorsitzenden – die schriftlichen Urteilsgründe hätte vervollständigen können. Die in der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden vom 29. Mai 2018 hervorgehobene Komplexität des Falls sprach nicht gegen ein solches Vorgehen, sondern hätte es aufgrund der Verantwortung aller erkennenden Richter für die Fristwahrung gerade erfordert. Eine zeitsparende Arbeitsteilung, für die eine Ablichtung handschriftlicher Mitschriften hätte genutzt werden können, war auch bei der Niederschrift der 88-seitigen Beweiswürdigung praktikabel. Dies gilt insbesondere für die einzelnen Umsetzungshandlungen, die das Oberlandesgericht im Wesentlichen mit den grundlegend als glaubhaft bewerteten Aussagen von drei Zeugen und dem Inhalt von Besuchsberichten und Aktennotizen belegt hat.
Die sonstigen Dienstgeschäfte des Oberlandesgerichts standen der Fertigstellung der Urteilsgründe innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO – auch durch ein arbeitsteiliges Zusammenwirken zwischen Vorsitzendem und beisitzendem Richter – nicht entgegen. Die Pflicht, das Urteil rechtzeitig abzusetzen, geht allen aufschiebbaren Dienstpflichten vor (vgl. KG, wistra 2016, 511, 512; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 275 Rn. 15). Eine solche aufschiebbare Dienstpflicht war die Vorbereitung der am 13. Juni 2018 beginnenden Hauptverhandlung in einem weiteren Kartellbußgeldverfahren (vgl. hierzu allgemein BGH, StV 2011, 211; Beschluss vom 7. September 1982 – 1 StR 249/82, NStZ 1982, 519; KG, wistra 2016, 511, 512; SSW-StPO/Güntge, 3. Aufl., § 275 Rn. 10 aE). Hiermit war der beisitzende Richter – zugleich in Vertretung des Vorsitzenden – während des Laufs der Absetzungsfrist befasst. Wäre er stattdessen wie geboten auch zur Abfassung der Urteilsgründe herangezogen worden, hätte gegebenenfalls der Prozessauftakt in der zur Verhandlung anstehenden Sache um kurze Zeit verschoben oder die weitere Terminierung geändert werden können. Gegen diese Möglichkeiten sprechende Gründe sind mit Blick auf die Bedeutung der fristgerechten Urteilsabsetzung weder den dienstlichen Erklärungen zu entnehmen noch sonst ersichtlich.“
Tja, was schreiebt man da? Ist zumindest peinlich, auch wenn man die „gesundheitlichen und persönlichen Gründen“. Im Übrigen: Der BGh verlangt ja in seiner Rechtsprechung nun nicht zum ersten Mal „Teamwork“, und zwar ggf. auch bei der Urteilsabsetzung. Und das gilt dann auch beim OLG.
Die Fa. Rossmann wird es freuen. Es geht zurück auf Los 🙂 .
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