Es war zu erwarten. Nach der Änderung des Rechts der Vermögensabschöpfung, die zu einer deutlichen Zunahme von Entscheidungen nach § 73 ff. StGB geführt hat, ist natürlich auch der Beratungsbedarf der Mandanten/Angeklagten/Beschuldigten gestiegen. Und die sind ja auch darüber zu beraten, wenn eine Einziehung pp. – aus welchen Gründen auch immer – nicht droht. Und das hat nun nichts mit der Frage der Gebühr zu tun. Denn auch, wenn eine Einziehung nicht zu erwarten ist und der Verteidiger in die Richtung berät, entsteht die zusätzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG.
Dass das den Hütern der Staatskassen, den Bezirksrevisoren, natürlich nicht passen wüde, war zu erwarten. Und es war auch zu erwarten, dass sich die Gerichte der Argumentation: Einziehung nicht zu erwarten –> keine Gebühr Nr. 4142 VV RVG – anschließen würden. Leider. Über eine dieser Entscheidungen habe ich neulich schon berichtet, nämlich den AG Mainz, Beschl. v. 18.01.2019 – 404 Ds 3500 Js 35811/17 (vgl. dazu Zusätzliche Verfahrensgebühr bei Einziehung, oder: Der Verteidiger hat dazu nichts ausgeführt), und mein „Missfallen kund getan“. Aber solche Kritik interessiert nicht – weder den Bezirksrevisor noch das AG. Denn: Man macht es im AG Mainz, Beschl. v. 28.05.2019 – Ls 3444 Js 80146/17 – wieder/weiterhin falsch. Nun ja, warum auch die Auffassung ändern? Ist ja nicht mein Geld.
„Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31.01.2019 (Blatt 250 ff. der Akte) hat das Amtsgericht Mainz nach Anhörung der Bezirkskostenrevisorin (Blatt 248 Rs. der Akte) die Pflichverteidigergebühren in dem Verfahren auf 1.246,76 € festgesetzt und dabei zum Antrag des Verteidigers (Blatt 199 f. der Akte) Absetzungen in Höhe 45 € zuzüglich anteiliger USt. vorgenommen, mit folgender Begründung:
„Die Gebühr nach VV 4142 RVG war in voller Höhe abzusetzen.
Entstehungsvoraussetzung ist, dass es sich um eine Maßnahme handeln muss, die dem Betroffenen den Gegenstand endgültig entziehen und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen lassen will (Gerold/Schmidt, S. 1652, VV 4142 RVG , RnNr. 6). Das Urteil enthält keinerlei Einziehung oder verwandte Maßnahme. Eine rein beratende Tätigkeit über die Möglichkeit der Einziehung sieht die Gebühr VV 4142 RVG nicht vor.
Die Mehrwertsteuer verringert sich dem entsprechend.“
Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seiner Erinnerung (Blatt 260 der Akte) vom 06.02.2019, auf deren Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird.
Die Erinnerung des Verteidigers ist nach § 56 RVG zulässig, sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Zwar genügt für die Gebührenentstehung jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Danach wird die Gebühr bereits durch die beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst, wenn eine Einziehung in Betracht kommt, die Maßnahme muss weder gerichtlich angeordnet noch beantragt sein (vgl. hierzu BeckOK RVG/Knaudt RVG VV 4142 Rn. 9-10 m.w.N.).
Es fehlt im vorliegenden Fall jedoch an der Voraussetzung, dass eine Einziehung ernsthaft in Betracht kommt. Die Einziehung war schon nicht Gegenstand der Anklageschrift, sodass ihre Anordnung gerade nicht naheliegend war. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Einziehung allenfalls in Höhe der in der Anklageschrift genannten geringen Tatbeute (ein nicht genau aufgeklärter Betrag zwischen 50 – 70 €) in Betracht gekommen wäre und bei Beträgen dieser Größenordnung regelmäßig aus Gründen der Geringwertigkeit und fehlenden Verhältnismäßigkeit von der Einziehung abgesehen wird. Dies gilt umso mehr bei einem erwerbs- und einkommenslosen Angeklagten, welcher von Sozialleistungen lebt und bei dem auch keine Tatbeute sicherge-stellt werden konnte. Entsprechend wurde die Einziehung auch weder beantragt, noch war sie Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung. Die Einziehung kam nach den konkreten Umständen des Falles hier folglich gerade nicht in Betracht.“
Leider mal wieder einer der Fälle, in denen der Verteidiger Tätigkeiten erbringt, die nicht honoriert werden (sollen). Ich möchte den Amtsrichter sehen, der das tut oder tun soll.
Und: Feige ist man dann auch noch. Denn:
„Die Beschwerde war nicht zuzulassen. Eine grundsätzliche Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage ist nicht erkennbar.“
Natürlich wäre die Beschwerde zuzulassen gewesen, denn die Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Auch wenn das AG Mainz das nicht versteht oder verstehen will.
Der BGH, Urteil vom 08.11.2018 – III ZR 191/17, sagt (zur übereinstimmenden Frage beim dinglichen Arrest nach § 111b Abs. 2, 5 StPO aF), dass es auf das konkrete wirtschaftliche Interesse des Betroffenen ankomme, einen Zugriff auf tatsächlich vorhandene Vermögensgegenstände abzuwehren. Ansprüche, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht komme und die deshalb eher fiktiven Charakter hätten, blieben unberücksichtigt.
Im vorliegenden Fall war die Tatbeute minimal (€ 50) und der Angeklagte einkommen- und vermögenslos. Das betroffene wirtschaftliche Interesse des Angeklagten lag also bei Null. Das AG Mainz hat folglich schon aus diesem Grund richtig entschieden.
Nein hat es nicht. Denn der Verteidiger muss sich darüber beraten. Sie verwechseln das Ob mit der Höhe des Anspruchs.
AA BGH aaO.: „Ansprüche, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt.“ Ob das das „Ob“ des Anspruchs ausschließt oder zur Höhe Null führt, ist ja wohl egal.
Und was ernstlich in Betracht kommt, entscheidet dann mal wieder der Rechtspfleger? Im Übrigen lassen sich die beiden Fälle m.E. nicht miteinander vergleichen.
Interessant übrigens mal wieder: Man sucht sich immer das heraus, was für den Verteidiger/Rechtsanwalt nachteilig ist bzw. sein könnte und/oder biegt es sich hin.
Die mMn entscheidenden zwei Fragen lassen sich dem Eintrag gar nicht entnehmen.
A) Gibt es im dortigen Bezirk eine „Linie“ der StA, bis zu welcher Wertgrenze man §§ 73ff. StGB aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht anwendet? Dass es entsprechende inoffizielle Tabellen gibt, setzen wir mal bekannt voraus.
B) Wann wurde der Kollege mandatiert? Falls erst nach Anklageerhebung (und Wertgrenze nicht erreicht und kein Antrag gestellt) erschöpft sich die notwendige Beratung wohl auf „Glück gehabt – Einziehung gibt’s keine“ – ob man dafür Gebühren verlangen muss… Wage ich doch zu bezweifeln.
Zu B) Quatsch. Mit Verlaub
Könnte man sonst nicht einfach in jedem strafrechtlichen Mandat über die Einziehung „beraten“ und lecker Gebühren abgreifen? 🤔
Ich frage für einen Freund.
Aber natürlich ist der Zeitpunkt relevant.
Um es als Beispiel ad absurdum zu treiben: Die überforsche Dorfpolizei ermittelt nach einer harmlosen Ohrfeige wegen versuchten Totschlags. Übrig bleibt (ohne UHaft) bei der StA eine vors. KV und mangels Vorstrafen ein Anschreiben zu 153a StPO. Erst dann wird ein Verteidiger hinzugezogen,der hinsichtlich der Einstellung berät, zu der es wenig später für ein paar Euro Auflage ans Tierheim auch kommt.
Mal unterstellt, es findet sich eine entsprechende Kostenenscheidung – darf der Verteidiger die Höchstgebühr nehmen, nur weil fälschlicherweise mal für fünf Minuten ein Kapitaldelikt im Raum stand? Sicher nicht.
Andernfalls müsste bei JEDEM Vermögensdelikt seit der (bekloppt unsinnigen!) Abschöpfungsreform pauschal die Gebühr hierfür anfallen, egal wie fernliegend §§ 73 ff. von vorneherein schon waren.
Hat da grad jemand § 265a gerufen? 😉
Das Beispiel passt doch auch wieder nicht.
Der Zeitpunkt der Mandatierung bzw. die Frage, ob schon angeklagt wurde, ist aus meiner Sicht irrelevant, denn mit der Einziehung muss bis zur 30jährigen Verjährungsgrenze gerechnet und daher auch beraten werden.