Das zweite Posting der Woche befasst sich dann mit dem BGH, Beschl. v. 03.04.2019 – 5 StR 87/19. Das LG Frankfurt (Oder) hat den Angeklagten u.a. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die mit der Verfahrensrüge Erfolg hatte. Beanstandet worden war, dass der Beisitzer am zweiten HV-Tag nicht anwesend war:
„Das Rechtsmittel des Angeklagten L. hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Revision beanstandet, dass der beisitzende Richter am Landgericht D. am zweiten Sitzungstag der insgesamt zweitägigen Hauptverhandlung – an dem Teile der Beweisaufnahme, unter anderem die Vernehmung einer Zeugin und die Verlesung von Urkunden, durchgeführt, die Schlussvorträge gehalten und das Urteil verkündet wurde – nicht anwesend war. Dies ist durch das Hauptverhandlungsprotokoll, das keine Berichtigung erfahren hat, im Sinne des § 274 StPO bewiesen.
a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.
Das Revisionsvorbringen genügt den Erfordernissen des vollständigen Tatsachenvortrags im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Insbesondere handelt es sich entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht lediglich um eine unzulässige Protokollrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 4 StR 111/11, StraFo 2011, 317; Urteil vom 20. April 2006 – 4 StR 604/05, NStZ-RR 2007, 52, 53). Dem Revisionsvorbringen ist vielmehr die bestimmte Behauptung zu entnehmen, dass der beisitzende Richter D. am zweiten Hauptverhandlungstag abwesend war. Die in diesem Zusammenhang an ein wörtliches Zitat aus dem Sitzungsprotokoll anknüpfende Formulierung in der Revisionsbegründungsschrift, wonach der beisitzende Richter „danach“ – nach dem zitierten Protokollinhalt – nicht anwesend war, dient allein der Beweisführung hinsichtlich des behaupteten Verfahrensfehlers (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2014 – 3 StR 497/14) und beanstandet nicht lediglich eine unzureichende Protokollierung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 210/13, BGHSt 59, 130, 132 f.).
b) Die Beanstandung hat auch in der Sache Erfolg und begründet einen absoluten Revisionsgrund nach § 226 Abs. 1 i.V.m. § 338 StPO.
Die Abwesenheit eines (beisitzenden) Richters oder eines Schöffen während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung führt nach der bisherigen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur zum absoluten Revisionsgrund der vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung im Sinne des § 338 Nr. 1 StPO (BGH, Urteile vom 12. Juli 2001 – 4 StR 550/00, NJW 2001, 3062, und vom 11. Februar 1999 – 4 StR 657/98, BGHSt 44, 361, 365; Beschluss vom 20. Oktober 1981 – 5 StR 564/81, NStZ 1982, 41; SSW-StPO/Momsen, 3. Aufl., § 338 Rn. 43; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 71; Löwe/Rosenberg/Franke, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 80). Ob Fallkonstellationen der psychischen oder physischen Abwesenheit von Richtern stattdessen unter § 338 Nr. 5 StPO zu subsumieren sind (hierfür Löwe/Rosenberg/Becker, aaO, § 226 Rn. 27 mwN; mit ausdrücklich formulierter Neigung zur Anwendung von § 338 Nr. 5 StPO, im Ergebnis aber offenlassend BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 84/16, NStZ 2017, 372, 373) bedarf hier keiner Entscheidung, da eine Rügepräklusion auch bei Anwendung des § 338 Nr. 1 StPO vorliegend ausscheidet (vgl. BGH, aaO; Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 657/98, BGHSt 44, 361, 364).“
Interessante Frage: War er nun wirklich nicht anwesend oder ist/war das Protokoll nur falsch? Hoffen wir mal, dass das Letztere der Fall ist.
Und das nächste Rätsel ist: Wenn er da gewesen sein sollte, warum hat man das Protokoll nicht berichtigt, nachdem die Revisionsbegründung eingegangen ist. Da hätten dann Gericht und StA geschlafen…
Geschlafen haben hier offenbar mehrere 🙂
Falls kein § 63 im Raum stand, stellt sich die Frage wieso die Kammer überhaupt in Dreierbesetzung verhandelt und dadurch diesen bizarren (!) Fehler überhaupt möglich gemacht hat. Solche Fälle laufen hier im Bezirk regelmäßig vor der kleinen großen Kammer. Weil man „so viel zu tun“ hat. Und das Präsidium seit Jahren verschläft, die notwendigen weiteren Kammern zu schaffen… Kaum eine Haftsache, die nicht 6 (eher 9)-Monatsvorlagen sieht. Das OLG macht (noch) mit…