BGH I: Der (ehemalige) Staatsanwalt als Richter, oder: Sehenden Auges ins Verderben?

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Heute dann ein wenig Verfahrensrecht vom BGH.

Zunächst aber der Hinweis: Es ist heute ein besonderer Tag für das „BOB“, denn heute sprint der Zähler um. Es geht der 9.000 Beitrag online – immerhin :-). Und das allein, nun ja fast, da einige Beiträge aus der WKD-Zeit von der damaligen „Betreuerin“ stammen.Also, auf geht es- der Weg bsi zum 10.000 Beitrag ist ja nicht so lang. Der dürfte dann, wenn alles glat geht, im nächsten Jahr online gehen.

Den „Jubiläumstag“ eröffne ich dann mit dem BGH, Beschl. v.18.09.2018 – 1 StR 454/18. Er behandelt eine verfahrensmäßig geanz interessante Situation, die man unter die Überschrift „Staatsanwalt als Richter“ fassen könnte.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln. Die Sache war schon mal beim BGH, sie befand sich also nach Aufhebung und Zurückverweisung im zweiten „Rechtsgang“.Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung Revision eingelegt und die hatte mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 2 StPO i.V.m. § 22 Nr. 4 StPO Erfolg. Der Angeklagte hat zu Recht geltend gemacht, dass an der Entscheidung des Landgerichts ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war:

„Der beisitzende Richter am Landgericht Dr. S. erstellte mit Verfügung vom 9. Oktober 2017 einen Vermerk, mit dem er darauf hinwies, dass Gegenstand der vorliegenden Akte auch Erkenntnisse aus einem Verfahrenskomplex gegen K. u.a. sind, der bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – unter dem Aktenzeichen u.a. geführt wurde. Die aus diesem Verfahrenskomplex stammenden Vorwürfe gegen den Angeklagten wurden durch die Staatsanwaltschaft sämtlich gemäß §§ 154 Abs. 1, 170 Abs. 2 StPO eingestellt. An der Bearbeitung dieses Verfahrenskomplexes war der beisitzende Richter als Dezernent der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – beteiligt. Nach seiner Einschätzung liege trotz seiner Befassung mit dem Parallelverfahren weder ein Fall des § 22 Nr. 4 StPO noch ein Grund für eine Selbstanzeige nach § 30 StPO vor.

Diesen Vermerk übersandte der Vorsitzende Richter Vizepräsident des Landgerichts R. am 23. Oktober 2017 dem Verteidiger des Angeklagten zur Kenntnis mit Vorschlägen für die Terminierung der Hauptverhandlung. Der Verteidiger erwiderte mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2017, dass der Begriff der Sache i.S.d. § 22 StPO weit auszulegen sei und keine Verfahrensidentität voraussetze. Eine Änderung in der Besetzung der Strafkammer erfolgte nicht.

Der im Vermerk des beisitzenden Richters benannte Verfahrenskomplex bezog sich in Bezug auf den Angeklagten entsprechend der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – vom 19. November 2015 u.a. auf den Tatvorwurf der Abgabe und gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige durch Überlassen und Verkauf von Marihuana und Haschisch an den 16-jährigen G. im Tatzeitraum zwischen Anfang 2014 und 31. August 2014. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten war auch das Verbringen einer Schusswaffe in den Geltungsbereich des Waffengesetzes durch Einfuhr einer halbautomatischen Kurzwaffe aus Spanien nach Deutschland zwischen 1980 und dem 11. Februar 2015.

Verfahrensgegenstand im mit der Revision angegriffenen Urteil des Landgerichts ist die Abgabe von Betäubungsmitteln an den 16-jährigen G. im Tatzeitraum vom 1. Oktober bis 29. November 2014 in 16 im Einzelnen nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten sowie der Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, die beim Angeklagten bei einer Durchsuchung am 11. Februar 2015 aufgefunden wurde. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten bei der Abgabe von Betäubungsmitteln im Wesentlichen auf die Angaben des Zeugen G. , die es für uneingeschränkt glaubhaft erachtet.

II.

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Urteilsaufhebung.

Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 2 StPO i.V.m. § 22 Nr. 4 StPO ist gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil wirkte ein Richter mit, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war, weil er zuvor in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen war.

1. Nach § 22 Nr. 4 StPO ist ein Richter u.a. dann von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, wenn er „in der Sache“ als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen ist.

a) Unter „der Sache“ ist grundsätzlich dasjenige Verfahren zu verstehen, welches die strafrechtliche Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat. Es kommt also in erster Linie auf die Identität des historischen Ereignisses an, um dessen Aufklärung es zu der Zeit ging, als der Richter in nicht-richterlicher Funktion tätig war. Der Annahme einer solchen Identität steht auch das Vorliegen mehrerer selbständiger Taten im Sinne des § 264 StPO nicht entgegen. Vielmehr entscheidet in solchen Fällen regelmäßig die Einheit der Hauptverhandlung; sie kann auch solche Vorgänge, die bei natürlicher Betrachtung als verschiedene historische Ereignisse erscheinen, zu einer Einheit zusammenfassen (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91 und vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 263 mwN).

b) Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vorschrift des § 22 Nr. 4 StPO keineswegs nur dazu da ist, das Strafverfahren gegen eine aus früherer anderweitiger Tätigkeit abzuleitende Voreingenommenheit zu schützen. Sie ist vielmehr auch dazu bestimmt, bereits den Schein eines Verdachts der Parteilichkeit zu vermeiden (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91; vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 265 und vom 25. Mai 1956 – 2 StR 96/56, BGHSt 9, 193, 194 f.; Beschluss vom 12. August 2010 – 4 StR 378/10, NStZ 2011, 106). Daraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, § 22 Nr. 4 StPO auch anzuwenden, wenn es an der für den Normalfall vorausgesetzten Verfahrenseinheit fehlt. Der Verdacht der Parteilichkeit kann jedoch bei mehreren für eine einheitliche Behandlung in Betracht zu ziehenden Verfahren vernünftigerweise nur aufkommen, wenn zumindest ein enger und für die zu treffende Entscheidung bedeutsamer Sachzusammenhang besteht (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2003 – 1 StR 102/03, StraFo 2004, 91; vom 16. Januar 1979 – 1 StR 575/78, BGHSt 28, 262, 265 und vom 25. Mai 1956 – 2 StR 96/56, BGHSt 9, 193, 195).

2. Eine „Einheit der Sache“ in diesem Sinne gemäß § 22 Nr. 4 StPO ist hier gegeben.

Zwischen dem vom beisitzenden Richter im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Sachverhalt und dem von ihm in seiner früheren Funktion als Staatsanwalt bearbeiteten Verfahrenskomplex besteht ein solcher enger und bedeutsamer Sachzusammenhang. So betrifft die vom Landgericht abzuurteilende Tat nach Ziffer II. der Urteilsgründe (UA S. 7 f.) mit der Abgabe von Betäubungsmitteln durch den Angeklagten an den 16-jährigen Zeugen G. im Tatzeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 29. November 2014 einen gleichgelagerten Lebenssachverhalt zu dem früher geführten Ermittlungsverfahren mit fast nahtlos aneinander anschließenden Tatzeiträumen von Anfang 2014 bis 31. August 2014. Bei beiden Taten war die Aussage und die Glaubwürdigkeit des Zeugen G. für den Tatnachweis von wesentlicher Bedeutung. Ein solcher enger Sachzusammenhang bestand auch in Bezug auf das unerlaubte Verbringen und den Besitz der halbautomatischen Kurzwaffe.“

M.E. mal wieder so eine Sache, in der die Strafkammer sehenden Auges ins Verderben rennt, vielleicht nach dem Motto: Soll schon gut gehen.

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