Gestern hatte ich unter dem Tite: „Ich sage es ja immer, Revisionen werden in der Instanz gewonnen zu einem revisionsrechtlichen Beschluss des BGH gebloggt. Dazu war kommentiert worden, das der BGh die Geister, die er rief, nicht mehr los wird, sich aber im Grunde widersprüchlich verhält, wenn er einerseits immer höhere Hürden in der Instanz aufbaut, andererseits aber dann häufig beklagt, dass die Verfahren so lange dauern. Zu dem Thema passt ganz gut der Beitrag von Fezer, der auf HRRS veröffentlicht worden ist und der sich über „zu kurze“ Revisionsbegründungen beklagt, vor allem darüber, dass sich der BGH nicht mehr mit Einwänden der Wissenschaft auseinandersetzt. Die Redaktion von HRRS führt dazu aus:
„Das (gestörte?) Verhältnis Wissenschaft/Rechtsprechung ist vor allem auch im Bereich des Strafverfahrensrechts ein Modethema. Fezer hält dieses Thema für überflüssig und sogar in einer Hinsicht gefährlich. Er rügt, dass sich der BGH nicht hinter einer gewissen „Theorienlastigkeit“ der Wissenschaft verstecken könne, wenn er sich selbst in der Rechtsanwendung zurückhält. Davon betroffen ist – so betont Fezer zu Recht – vor allem die Frage, inwieweit ein Strafsenat verpflichtet ist, in seinen Entscheidungsgründen umfassend zu argumentieren, also auch auf Gegenargumente aus dem Schrifttum einzugehen.
Fezer zeigt anhand mehrerer Beispiele aus der jüngsten BGH-Rechtsprechung auf, dass die Strafsenate in ihren Begründungen einseitig geblieben sind: Sie erwähnen Gegenargumente aus dem wissenschaftlichen Schrifttum entweder gar nicht oder umgehen eine Auseinandersetzung mit ihnen. Demgegenüber sieht Fezer das Revisionsgericht verpflichtet, sich in seiner Entscheidungsbegründung mit allen wesentlichen Argumenten zu befassen, also auch Gegenargumente zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung ergibt sich nach der Ausarbeitung Fezers zunächst einmal aus rechtstheoretischen Erkenntnissen (z.B. aus der juristischen Argumentationslehre), nämlich aus der Notwendigkeit zur vollständigen, rational nachvollziehbaren Argumentation. Ob sich eine solche Argumentationsverpflichtung auch aus dem Grundgesetz ableiten lässt (Art. 97 I und Art. 20 III GG) sieht Fezer derzeit noch als eine ungeklärte Frage. Ergänzend nimmt er auf Art. 103 I GG Bezug.
Fezer fordert den BGH dazu auf, seine Begründungsarbeit zu verbessern. Beachtet das Revisionsgericht die argumentativen Strukturen nicht, dann bestehe die Gefahr, Ergebnisse zu erzielen, die letztlich nicht begründbar sind und reine „Machtsprüche“ ausmachen. Um die Erfüllung der Begründungspflicht realisierbar zu gestalten, schwächt Fezer diese Verpflichtung auf die jeweils wesentlichen Argumente und Gegenargumente ab. Um die Begründungspflicht zu aktualisieren, rät Fezer den Revisionsführern, Angriffe aus dem wissenschaftlichen Schrifttum auf einschlägige BGH-Entscheidungen vorzutragen. Insoweit hätten die Strafverteidiger vielfältige Möglichkeiten, den BGH fortwährend auf seine Argumentationsverpflichtungen hinzuweisen.“
Ich kann nur jedem (Revisions)Verteidiger empfehlen, den Beitrag mal zu lesen und umzusetzen. Der BGH wird sich freuen 🙂 (?)
Pingback: Lesestoff (19) | Rechtler
Sicher wäre es wünschenswert, wenn die Rechtsprechung mehr auf die Rechtswissenschaft einginge. Sich immer nur selbst zu zitieren, ist nicht sonderlich überzeugend, zumal dann, wenn die als Beleg angeführte Stelle überhaupt keine aussagekräftigen Argumente zu dem Problem enthält. Häufig werden allenfalls die Standardkommentare (Fischer, Meyer-Goßner) herangezogen, und auch nur dann, wenn man den eigenen Standpunkt untermauern möchte. Hinweise auf Aufsätze, geschweige denn solche, die sich in Ausbildungszeitschriften (JuS, Jura) oder in eher exotischen Reihen (Goltdammer’s Archiv für Strafrecht) finden, werden praktisch gar nicht mehr herangezogen. Es sei denn, es geht um Anwaltshaftung. Dann hätte der Anwalt natürlich einen Hinweis im "Archiv für civilistische Praxis", Jahrgang 1901, nicht übersehen dürfen… Von Amts- und Landgerichten ist es vielleicht etwas viel verlangt, zu jedem Fall eine dissertationsartige Auseinandersetzung mit allen rechtlichen Problemen des Falles zu verlangen. Es erscheint auch höchst überflüssig, sich noch mit "ausgelutschten" Problemen wie der Frage zu befassen, was unter "Erschleichen" im Sinne von § 265a StGB zu verstehen ist. Auch wenn die rechtswissenschaftliche Literatur dazu ganze Regalreihen füllt, ist die Auffassung des BGH dazu (Beschluß vom 8.1.2009, 4 StR 117/08) ja eindeutig (wenngleich falsch). Zumindest der BGH mit seinem Heer von wissenschaftlichen Mitarbeitern und seiner Großbibliothek sollte sich aber nicht darauf beschränken, sich seine Ergebnisse lustlos per "juris" zusammenzusuchen und nur auf die eigene Rechtsprechung zu verweisen. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm, eine schulmäßige grammatikalische, systematische, teleologische, etc. Auslegung, die einschlägige Rechtsprechung des Reichsgerichts, den Standpunkt der Wissenschaft und die Praxis anderer Staaten wäre überzeugender als der Hinweis: "st. Rspr. des Senats, vgl. nur NStZ 1982, 435".
@ 2
ach, der 1. senat greift aber auch gerne mal auf die bemühungen der wissenschaft zurück. da werden dann zb ältere – und bisher eher weniger beachtete – aufsätze aus der wistra zitiert, wie die werke ein damals jungen staatsanwalts namens jäger. 😉
Wenn man sich einmal die Entscheidungen des amerikanischen Supreme Court anschaut (z.B. http://www.supremecourt.gov/opinions/09pdf/09-158.pdf), können wir uns nicht beklagen. Auseinandersetzungen mit Literatur und Rechtsprechung finden sich dort kaum, jedenfalls nicht in einem für unsere Begriffe wissenschaftlichen Stil.
Noch eigentümlicher sind die Entscheidungen der dortigen Landesberufungsgerichte. Sie erinnern von jeher an die kruden Ausführungen, wie wir sie seit der Geltung des hoffentlich bald wieder abgeschafften § 522 Abs. 2 ZPO erdulden müssen.
ja, so bildet man eine h.M. :-), ist mir auch mal vorgeworfen worden.