Ich habe bislang gedacht, dass es „ein bisschen schwanger“ nicht gibt. Nach der Lektüre des OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.05.2017 – 2 Rb 8 Ss 246/17 – muss ich das aber wohl anders sehen. „Ein bisschen schwanger“ geht doch, jedenfalls bei PoliscanSpeed. Leider.
Es geht also mal wieder um PoliscanSpeed, die „heilige Kuh“ der OLG. Der Betroffene ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Zugrunde gelegt worden ist eine Messung mit PoliscanSpeed. Bei der hatte die Auswertung des digitalen Falldatensatzes ergeben, dass der Pkw des Betroffenen in einem Abstand von 49,82 bis 19,95 m vom Messgerät gemessen worden ist. Die Bauartzulassung sieht hingegen einen Messbereich zwischen 50 und 20 m vor. Das OLG sagt: Macht nix. Es handelt sich (dennoch) um ein standardisiertes Messverfahren. Zwar sind die Vorgaben der Bauartzulassung nicht eingehalten worden. Die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Einsatzbedingungen führt aber – so das OLG – nicht ohne Weiteres zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses; vielmehr muss der Tatrichter die Auswirkungen auf die Gültigkeit der Messwertbildung überprüfen. Zudem würden bei der geringfügigen Überschreitung des zugelassenen Messbereichs bei Messungen PoliScan Speed Besonderheiten gelten. Die PTB habe in einer Stellungnahme vom 16.12.2016 zum einen darauf hingewiesen, dass sich der Messbereich allein auf die Position des softwareseitigen Modellobjekts bezieht, welches das angemessene Fahrzeug repräsentiert. Je nach konkret vorliegender Fahrzeugkontur und Verkehrssituation könne es vorkommen, dass einzelne Rohmessdaten für die Bildung des geeichten Messwertes berücksichtigt werden, deren Ortskoordinate (meist nur knapp) außerhalb des Messbereichs liegt. Solange sich dabei das Modellobjekt im Messbereich befindet, sei dies zulässig. Unabhängig davon betone die PTB, dass ein Rohmesswert, dessen Ortskoordinate außerhalb des Messbereichs liegt, in sich genau so zuverlässig sei wie solche, deren Koordinaten innerhalb des Messbereichs liegen. Und: Die Geschwindigkeit sei hier so erheblich überschritten, dass Messfehler keine nachteiligen Auswirkungen für den Betroffenen haben können.
In meinen Augen ist das „ein bisschen schwanger“, aber auch ein weiterer Stein in der Mauer, die die OLG um das Messverfahren PoliscanSpeed bauen – aus welchen Gründen auch immer. Schon das Mantra „standardisiertes Messverfahren“ und die darauf beruhenden Probleme bei der Einsicht in Messunterlagen sowie die Hochstilisierung der Bauartzulassung zu einem antizipierten Sachverständigengutachten haben an der Mauer gebaut. Und nun noch dieser Beschluss. Ich hoffe nur, dass sich das OLG bewusst ist, was es damit anrichtet. Denn:
M.E. ist dieser Beschluss ein weiterer Schritt zur Abschaffung des standardisierten Messverfahrens, obwohl man an sich schon länger den Eindruck hat, dass die OLG den Begriff und die damit zusammenhängenden Folgen allenfalls dann noch bemühen, wenn es zu Lasten des Betroffenen geht. Man fragt sich welchen Sinn Grenzwerte in der Bauartzulassung für den Messbereich eigentlich noch haben, wenn bei einem Verstoß dagegen die Messung gleichwohl standardisiert bleibt mit den erheblichen Folgen für den Betroffenen? Bislang galt – bzw sollte gelten: Bei einem Verstoß gegen die Vorgaben der Bauartzulassung verliert ein an sich standardisiertes Messverfahren diesen Charakter mit der Folge, dass die Messung vom Tatrichter in der Regel unter Hinzuziehung eines Sachverständigen auf ihre Richtigkeit zu prüfen ist. Diesen Ansatz gibt das OLG Karlsruhe hier auf und sieht das Messverfahren auch bei „nicht nennenswerten“ Abweichungen von den Vorgaben der Bauartzulassung noch als standardisiert an. Das widerspricht dem Sinn der PTB-Bauartzulassung im Rechtsinstitut „standardisiertes Messverfahren“. Da stellen sich außerdem dann die Fragen: Wo ist die Grenze? Wieviel Abweichung ist denn zulässig? Und ab wann ist das Verfahren nicht mehr standardisiert? Und wer legt die zur Beantwortung dieser Fragen erforderlichen Werte fest?
Nun, die Antworten liegen (vielleicht/wahrscheinlich) auf der Hand: Natürlich die PTB, die bei den OLG den Status der Unantastbarkeit erlangt hat. Das, was sie sagt, ist Gesetz bzw. wird so behandelt. Da kann der Betroffene – gestützt auf andere Sachverständigengutachten – vortragen, was er will. Es interessiert nicht. Man fragt sich, warum man eigentlich die „unheilige Allianz“ mit der PTB eingeht und warm man nicht endlich mal, den Gang nach Karlsruhe wagt. Warum hat man Angst vor dem 4. Strafsenat des BGH? So verkommt jedenfalls der vom BGH geprägte Begriff des „standardisierten Messverfahrens“ zu einer Worthülse. Das Ganze ist ein Trauerspiel. Verteidigen lohnt sich nicht mehr. Zumal, wenn man als Verteidiger damit rechnen muss, dass einem vom OLG „unprofessionelle Zeit- und Geldverschwendung“ entgegen gehalten wird, wenn man sich „in Beweisanträgen und/oder Rechtsmitteln auf die Außenseitermeinungen der Amtsgerichte zu stützen/[stütz], die inzwischen von den übergeordneten Oberlandesgerichten darüber belehrt wurden, dass und warum sie völlig daneben lagen (so der OLG Koblenz, Beschl. v. 22.03.2017 – 1 OWi 4 SsRs 21/17 und dazu Fake-News vom „übergeordneten“ OLG Koblenz?, oder: „unprofessionelle Zeit- und Geldverschwendung“).
Die Wegelagerei bringt halt hohe Einnahmen. Die muss man mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Allerdings ist das eigentlich nicht die Aufgabe der Richter 🙁
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