Mir hat gestern der Kollege Vetter aus Düsseldorf einen von ihm in einer Strafsache „erstrittenen“ Beschluss betreffend die Befangenheit eines Schöffen in einer Strafkammersache in einem Verfahren mit dem Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung übersandt; es handelt sich um den LG Düsseldorf, Beschl. v. 02.06.2017 – 20 KLs 70 Js 3429/14-10/15. Dafür herzlichen Dank. Der Kollege möchte in seinem LawBlog zunächst nicht zu der Entscheidung bloggen. Er hat mir das „Aufschlagsrecht“ übertragen. Auch dafür herzlichen Dank.
Ich berichte dann und stelle zunächst mal auf der Grundlage des Antrags des Kollegen, den ich hier nicht einstellen kann, den Sachverhalt vor. Dazu vorab: Wer sich fragt, woher der Kollege das alles weiß: Der Kollege Vetter hatte vorab mal ein wenig zu dem Schöffen im Internet recherchiert. Und war dann fündig geworden, u.a. bei Facebook, so dass er sein Ablehnungsgesuch u.a. auf folgende Punkte stützen konnte:
Punkt 1: Der Schöffe betreibt/betrieb (ich habe es nicht geprüft) auf Facebook ein eigenes Profil. Das Profil ist für jedermann öffentlich zugänglich. Es gibt keine Privatsphäreneinstellungen, welche den zugriffsberechtigten Personenkreis einschränken. Das heiß also, jeder Internetnutzer kann die Seite zu jedem beliebigen Zeitpunkt aufrufen. Dazu aus dem Antrag des Kollegen:
„Am pp. erstellte der Schöffe um pp. einen Eintrag in seiner Facebook-Chronik. Er verlinkte einen Artikel des Express, der unter pp. aufgerufen werden kann. Der Artikel des Express ist am 22.05.2017 veröffentlicht worden.
Der Artikel des Express hat die Überschrift:
„26-Jähriger festgenommen – Mädchen am Allner See vergewaltigt“ Der Artikel lautet wie folgt:
Hennef – Nach Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft wurde letzten Mittwoch am Allner See eine Minderjährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte sich kurz nach der Tat einer Freundin anvertraut, die die Polizei verständigte.
Verdächtiger am Bahnhof geschnappt.
So konnte kurze Zeit später am Hennefer Bahnhof ein 26-Jähriger aus pp. unter dem dringenden Tatverdacht der Vergewaltigung festgenommen werden. Ein Richter ordnete U-Haft an.
26-Jähriger ist nicht vorbestraft.
Der Verdächtige lebt seit Sommer 2014 in Deutschland und ist strafrechtlich bislang nicht aufgefallen, so die Polizei. Er bestreitet, das Mädchen missbraucht zu haben. Die Minderjährige wird durch Opferschützer betreut………“Der Schöffe kommentierte diesen Artikel auf seiner Facebook-Präsenz mit folgenden Worten: Wiederum einer der beliebten Fachkräfte laut Politik!!!………“
Als 2. Punkt hat der Kollege Vetter auf einen weiteren Facebook-Eintrag des Schöffen verwiesen. In dem hatte er einen Beitrag aus „Der Welt“ vom 23.05.2017 verlinkt. Der Artikel trug die Überschrift „Bald hat jeder zweite Hamburger einen Migrationshintergrund“. Der Beitrag untersuchte anhand statistischer Zahlen, wie hoch der Anteil von Migranten mittlerweile in Hamburg ist. Dabei wird hinsichtlich der aktuellen Entwicklung etwa folgendes ausgeführt: „In Billbrook haben 98 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, auf der Veddel 93,1 Prozent und in Hammerbrook 91,5 Prozent. Auf Platz vier folgt Steinwerder mit 87,7 Prozent. Platz fünf belegt der Stadtteil Harburg. Hier haben 82,2 Prozent der unter 18-Jährigen eine Migrationsgeschichte. In Wilhelmsburg sind es 78,9 Prozent, in Neuallermöhe 78,1 Prozent. Auf Rang acht liegt Rothenburgsort mit 77,6 Prozent. Es folgt Jenfeld mit 74,9 Prozent, nur knapp vor Billstedt mit 74,8 Prozent.“
Der Schöffe hatte in seiner eigenen Timeline vier eigene Kommentare zu dem verlinkten Beitrag abgesetzt, und zwar:
Zunächst schrieb er: „Das wird noch interessant… Wir sind bald eine Minderheit in Deutschland…Dank Merkel“
Dann: „Wer kann diese Tante nur wählen.. ??“
Dann: „Hätte nie gedacht wie recht Thilo Sarrazin hat!“
Und dann noch: „Und … Er ist SPD..Mitglied“
Als 3. Punkt bezog sich der Kollege dann auf einen am 09.11.2016 veröffentlichten Artikel in einer Zeitung über die Präsidentenwahl in den USA. Es handelte sich um eine Umfrage auf dem Düsseldorfer Markt und in einigen Altstadt-Lokalen Der Tenor des Artikels ging dahin, dass die Düsseldorfer entsetzt und verunsichert über die Wahl Donald Trumps sind. Als einzige positive Stimme wird der abgelehnte Schöffe zitiert, und zwar mit folgenden Worten: „Ich habe ja was zu feiern. Ich finde es nämlich gut, dass dieser Mann eine Chance bekommt.“
Als 4. Punkt hat der Kollege sich zur Begründung seines Antrags auf Äußerungen des Schöffen zum sog. Edathy-Verfahren bezogen. Der abgelehnte Richter hatte dazu auf der Internetseite „Netzfrauen.org“ geschrieben, dass er sich für „das Gerichtsurteil“ schäme; er sei selbst bei Gericht tätig.“
Der 5. Punkt beschäftigt sich schließlich mit einem Eintrag des Schöffen auf der Seite: meinmutterland.deword zum IS-Attentat in Berlin im Dezember 2016.
Das LG Düsseldorf hat im LG Düsseldorf, Beschl. v. 02.06.2017 – 20 KLs 70 Js 3429/14-10/15 – dem Ablehnungsgesuch des Angeklagten, den der Kollege Vetter verteidigt hat, statt gegeben. Zusammenfassung des Beschlusses, so wie ich ihn verstehe: Jede Äußerung für sich allein hätte nicht gereicht, aber die „Gesamtschau“ führt zur Besorgnis der Befangenheit – und mehr muss ja nicht vorliegen. Aus der Begründung:
„Anzumerken ist allerdings, dass die in dem Befangenheitsgesuch dargelegten Meinungsäußerungen des abgelehnten Richters im Internet die Grenzen des Art. 5 GG nicht überschreiten. Richtern und auch Schöffen ist es nicht grundsätzlich verwehrt, sich politisch zu äußern. Dies gilt auch, wenn die geäußerte politische Meinung manch einem nicht gefallen sollte und sich – wie hier — kritisch zu Migrationsthemen verhält. Aus kritischen Äußerungen eines Richters bzw. Schöffen zu Migrationsthemen lässt sich auch nicht grundsätzlich ableiten, dass ein solcher Richter bzw. Schöffe in einem Strafverfahren gegen einen Angeklagten mit Migrationshintergrund oder einen Angeklagten mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit voreingenommen ist oder sein muss.
Vielmehr kommt es regelmäßig auf die genaue Betrachtung der Umstände des Einzelfalles an.
Diesbezüglich ist vorliegend eine inhaltliche und eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Zumindest das Zusammenspiel von Inhalt und zeitlichem Zusammenhang einer der Meinungsäußerungen begründet angesichts des konkreten Tatvorwurfs im Zusammenhang mit einer weiteren Meinungsäußerung vorliegend aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Schöffen.
Gegenstand dieses Strafverfahrens ist der Vorwurf einer schweren Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
Während des Laufs der Hauptverhandlung hat der abgelehnte Richter öffentlich eine Meldung des Express über – ebenfalls – eine schwere Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung kommentiert, und dies in einer Weise, die im Ergebnis hinsichtlich ihres Sinngehalts nur die Deutung zulässt, dass der abgelehnte Richter davon ausgeht, dass der dortige Tatverdächtige, der die Tatbegehung abstreitet, die Tat begangen hat.
Die Frage, ob dies vorliegend die Besorgnis der Befangenheit begründet hätte, wenn es sich um die einzige öffentliche Kommentierung des abgelehnten Richters zu einem Fall gehandelt hätte, bei dem der Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Raum stand, muss die Kammer nicht beantworten, weil es nicht die einzige Kommentierung des abgelehnten Richters zu einem Fall ist, bei dem der Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Raum stand.
Der abgelehnte Richter hat nämlich auch den Fall des früheren Bundestagsabgeordneten Edathy kommentiert, Diesem war im Jahr 2014 der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften vorgeworfen worden, Das Verfahren ist in der dortigen Hauptverhandlung gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages von 5.000,- € vorläufig (und nach erfolgter Zahlung endgültig) eingestellt worden.
Der abgelehnte Richter hat dazu auf der Internetseite „Netzfrauen.org“ geschrieben, dass er sich für „das Gerichtsurteil“ schäme; er sei selbst bei Gericht tätig.
Dass die Einstellung durch Beschluss und nicht durch ein Urteil erfolgte, ist unerheblich.
Erheblich ist vorliegend die Kommentierung durch den abgelehnten Richter in der Zusammenschau mit seiner Kommentierung während der hier laufenden Hauptverhandlung zu der Meldung des Express.
Der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist ein Delikt, das – gerade wegen des Bezugs zu Kindern – (neben einigen anderen Delikten) in der Öffentlichkeit regelmäßig als besonders verwerflich angesehen wird. Und das, was Herr Edathy gemacht hat, ist moralisch ohne jede Frage verwerflich gewesen.
Die auch in der Öffentlichkeit diskutierte Frage war in jenem Fall aber, ob das, was Herr Edathy erworben hatte, nach der seinerzeit gegebenen Rechtslage überhaupt pornographisches Material darstellte oder ob es nach der damaligen Gesetzeslage noch in einer Grauzone angesiedelt war, die den Straftatbestand noch nicht erfüllte. Es bestand deshalb durchaus die Möglichkeit, dass Herr Edathy (gegebenenfalls unter Ausschöpfung des Instanzenzuges) nicht schuldig gesprochen worden wäre. Dies war – neben der moralischen Entrüstung – Gegenstand auch der öffentlichen Diskussion. Das Bestehen dieser Möglichkeit ändert an der moralischen Verwerflichkeit rein gar nichts, wird aber bei der dortigen Entscheidung, das Verfahren einzustellen, zumindest auch eine Rolle gespielt haben.
Wenn angesichts jener Situation jemand, der als Schöffe „bei Gericht tätig“ ist, erklärt, dass er sich für eine auf dem Boden des geltenden Rechts getroffene gerichtliche Entscheidung „schämt“, begründet das noch nicht notwendig die Besorgnis der Befangenheit in jedwedem zukünftigen Verfahren, an dem dieser Schöffe teilnimmt.
Im vorliegenden Verfahren begründet es aber in der Gesamtschau der Umstände eben diese Besorgnis, weil es in dem hiesigen Verfahren um den Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht und der abgelehnte Schöffe zweimal (davon einmal während der laufenden Hauptverhandlung) Fälle, in denen es ebenfalls um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht bzw. ging, in einer Weise kommentiert hat, die aus der Sicht des hiesigen Angeklagten und der Sicht eines vernünftigen Angeklagten auch bei ruhiger Prüfung der Sachlage besorgen lassen, dass der abgelehnte Richter eben bei der Beurteilung von Vorwürfen, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betreffen, eine innere Haltung hat, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend. beeinflussen kann.“
Es kann also Sinn machen und sich für den Angeklagten „lohnen“, wenn in entsprechenden Verfahren der Verteidiger mal ein wenig im Internet forscht, wenn man nicht will, dass der Mandant ggf. von einem „befangenen“ Schöffen verurteilt wird. Und es reicht ja die „Besorgnis der Befangenheit“. Und die ist hier m.E. zu Recht angenommen worden. Die Nachschau kann sich im Übrigen auch für das Gericht „lohnen“, um „unliebsame“ Überraschungen im Verfahren zu verhindern. Im Ergebnis profitieren alle davon.
Saubere Arbeit.
Kammer oder Verteidiger, oder beide? 🙂
Beide.
Inwiefern ist es eigentlich zulässig, derartige (besondere) personenbezogene Daten des fraglichen Schöffen zu veröffentlichen, die eine vergleichsweise einfache Identifikation ermöglichen?
@Bernd
Seine eigene Schuld, oder? Hätte er die Datenschutzeinstellungen angepasst, hätte Herr Vetter die Daten nicht mal gefunden. Aber wer sich auf den Marktplatz namens Facebook stellt und herumschreit, dass ihn jeder hören kann, kann im Nachhinein nicht erwarten, dass es unzulässig wäre auf diese Schreierei noch mal zu verweisen.
Das wäre ja so, als würde ein Unternehmen eine Werbeanzeige schalten und sich im Nachhinein dadrüber beschweren, dass doch tatsächlich Leute die Werbung mit dem Unternehmen in Verbindung bringen.
Teile der Begründung finde ich aber sehr merkwürdig. Was hat die „moralische Verwerflichkeit“ als wertende Aussage zum Edathy-Fall da verloren – vor allem vor dem Hintergrund, daß eine Strafbarkeit eventuell auch verneint werden hätte können?
@Conszious:
Aus der Einwilligung des Schöffens in die Veröffentlichung einzelner Aussagen lässt sich wohl kaum eine Einwilligung zur Veröffentlichung eines umfangreichen Dossiers herleiten. Und ich habe wie gesagt Schwierigkeiten zu erkennen, wieso die Veröffentlichung ohne Einwilligung des Schöffen zulässig sein sollte.
Ein „Dossier“ ist in meinen Augen etwas anderes.
Im Übrigen handelt es sich um einen in öffentlicher Hauptverhandlung verhandelten Sachverhalt und verkündeten Beschluss des LG, der im Übrigen auch in der Presse behandelt worden ist.
Ich schließe jetzt hier allerdings den Diskurs.