Bei dem dritten „Grundbegriff“ aus der Reihe, die ich heute vorstellen möchte, handelt es sich um die Gefährlichkeitsprognose i.S. des § 63 StGB, zu der der BGH in der letzten Zeit häufiger Stellung genommen hat. So dann auch im BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – 1 StR 445/16, mit dem ein Urteil des LG München I, durch das der Beschuldigte im Sicherungsverfahren nach § 63 StGB untergebracht worden war, aufgehoben worden ist. Die doch größere Zahl von Entscheidungen dürfte darauf zurück zu führen sein, dass der BGH das neue Recht in § 63 StGB – Stichwort: Lex Mollath – umsetzen muss. Das LG hatte aufgrund folgender Feststellungen die Unterbringung angeordnet:
„Der Beschuldigte, ein estnischer Staatsangehöriger, identifiziert sich mit Adolf Hitler und fühlt sich deswegen zu Deutschland hingezogen. Mehrmals reiste er seit 2010 nach Deutschland, so auch im Oktober 2015. Am 15. November 2015 hielt er sich am M. Hauptbahnhof auf. In der Schalterhalle schrie er herum und bettelte Passanten aggressiv an. Dabei fasste er eine Frau energisch am Arm. Dies führte dazu, dass ihn Polizeibeamte auf den Bahnhofsvorplatz brachten. Dort stand ein Fahrzeug der U-Bahnwache. Der Beschuldigte schlug mit Fäusten auf die Motorhaube des Fahrzeugs ein und „fuchtelte“ mit einem Messer mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm herum. Dabei waren keine Personen in seiner Nähe.
Anschließend kratzte er zwei Hakenkreuze auf die Motorhaube des Fahrzeugs. Als er dabei von einem Mann angesprochen wurde, richtete er das Messer gegen diesen und „klopfte ihm mit dem Messer gegen Oberarm und Schulter“. Als der Mann sich entfernte, trat der das Geschehen beobachtende Zeuge F. hinzu. Der Beschuldigte hob einen auf dem Boden liegenden Flaschenhals auf und hielt diesen gegen den Zeugen, der daraufhin wegging. Der Beschuldigte warf ihm den Flaschenhals ungezielt hinterher und zerkratzte weiter die Motorhaube. Er verursachte einen Sachschaden von 814 Euro.
Als Polizeibeamte eintrafen und ihn mit auf ihn gerichteter Waffe auffor-derten, das Messer fallen zu lassen, hielt der Beschuldigte das Messer weiterhin zwischen Hüfte und Brust und warf dies erst nach zehn bis 20 Sekunden verzögert weg.“
Der BGH findet „zwei Haare in der Suppe“:
Er sieht zunächst schon die Annahme der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit beim Beschuldigten durch die Strafkammer als rechtsfehlerhaft an, weil nicht ausreichend mit tatsächlichen Feststellungen belegt.
Und: Er beanstandet auch bei der Gefährlichkeitsprognose Darlegungsmängel, wobei er auch Ausführungen zur Neufassung des § 63 StGB macht:
2. a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwarten-den Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40).
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften, S. 17 f.; BT-Drucks. 18/7244), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.
b) Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15 und vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Wenn die Anlasstat – was für die hier angenommene Sachbeschädigung, aber auch die nicht erwogenen, aber in Betracht kommenden Tatbestände der Nötigung bzw. Bedrohung nahe liegt, aber unerörtert bleibt – selbst nicht erheblich ist, bedarf die Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Darlegung (BGH, Beschluss vom 9. April 2013 – 5 StR 120/13, NJW 2013, 2043; Urteile vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 und vom 23. Januar 1986 – 4 StR 620/85). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderem Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf aaO S. 22; BT-Drucks. 18/7244).
c) Den aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. …..“
Das war dann wieder die „Lex Mollath“.