Mal wieder Poliscan Speed. Dieses mal aber nicht ein OLG, das die Messmethode „gesund betet“, sondern – nur 🙂 – ein AG, das die Messung mit Poliscan Speed eben nicht einer Verurteilung zugrunde legen will. Begründung u.a.: Ich kann das Messverfahren nicht überprüfen. Dazu führt das AG Mannheim im AG Mannheim, Beschl. v. 29.11.2016 – 21 OWi 509 Js 35740/15 – erstritten vom Kollegen O. Knapp, Oberursel aus:
„Eine weitere mögliche Fehlerquelle erfordert ebenfalls die Beurteilung mehrerer Messungen über die Einzelmessung hinaus.
Nach Auffassung vieler Oberlandesgerichte gibt die Prüfung und Zulassung durch die PTB die Sicherheit, dass eine zuverlässige Messung erfolgt. Es gibt jedoch Umstände, die den Sachverständigen Dipl. Phys. K. zu keiner Antwort auf die Frage veranlasste, ob angesichts dieser noch zu erörternden Umstände er die Korrektheit der Messweribildung bejahen könnte.
Die Messwertbildung findet dergestalt statt, dass die vom LIDAR – Messwertaufnehmer auf-genommenen Rohdaten im Messrechner zunächst als einzelne Objektpunkte zu Objekten, also Fahrzeugmodellen gebündelt werden. Sie werden innerhalb des Messbereichs ver¬folgt, um die Fahrzeuggeschwindigkeit zu ermitteln. Für jedes Fahrzeug ergibt sich dabei als Geschwindigkeitsmesswert eine mittlere Geschwindigkeit im Messbereich.
Dabei sind die Objektpunkte gemessene Werte, die Entfernungswerte der daraus gebildeten Objekte berechnete Werte.
Der implantierte Messalgorithmus, über den die Messwertbildung erfolgt, betrachtet dabei den Messbereich, den die Bauartzulassung mit 20 bis 50 Meter angibt. Im Vorfeld und Nachfeld werden jedoch ebenso Rohdaten erfasst, die Eingang in die Messwertbildung finden, indem sie, vom Messalgorithmus nicht dahingehend geprüft sind, ob sie im Messbereich erfasst wurden und erst dort zu Objekten gebündelt wurden. Das bedeutet, das Gerät prüft im zugelassenen Messbereich nicht, ob originäre Messwerte ( Weg – und Zeitangaben } oder bereits veränderte, geglättete, angepasste oder korrigierte Daten zur Messwertbildung beitragen. Wie bereits ausgeführt, konnte der Vertreter der PTB die Frage, ob diese Art der Messwertbildung korrekt ist und zuverlässige Ergebnisse erbringt, mit anderen Worten, wie sich diese Tatsache tatsächlich auswirkt oder auswirken kann, nicht beantworten.
Sie widerspricht jedenfalls der Bauartzulassung, wenn dort ausgeführt wird, dass außerhalb des Messbereichs detektierte Objektpunkte bei der Messwertbildung nicht berücksichtigt werden.
Um die Größenordnung der Abweichungen, die vorkommen, zu nennen: die PTB gab diese im Juni 2016 mit 0,5 bis 1 Meter an, der Sachverständige Dipl., Ing. B. fand in der hier gegenständlichen Messreihe bei 5,2 Prozent der Messungen Abweichung über 50 Metern und bei 53 Prozent der Messungen Unterschreitung der 20 Meter. Die bis bekannte höchste Abweichung betrug 2,68 Meter.
Dies bedeutet im Ergebnis, das Messgerät entspricht nicht der Bauartzulassung in wesentlichen Teilen, nämlich der Messwertermittlung. Oder umgekehrt, das Gerät misst anders als in der Bauartzulassung beschrieben.
Daraus ergibt sich auch, dass bei jeder einzelnen Messung zu prüfen ist, ob die zur konkreten Messwertbildung beitragenden Rohdaten die Bedingungen der Bauartzulassung einhalten oder nicht.
Diese Umstände wecken Zweifel, insbesondere, da es weder dem sachverständigen Zeugen Dr. F. von der Firma Vitronic noch dem Sachverständigen Dipl Phys. K. gelang darzutun, ob und wenn ja, inwieweit die Abweichungen Einfluss auf den ermittelten Messwert haben.
Bedenklich erscheint die Aussage der PTB: „ Die in der Falldatei enthaltenen Rohdaten stellen Hilfsgrößen dar. Eine Auswertung dieser Hilfsgrößen kann für eine externe, nachträgliche Plausibilisierung des geeichten Geschwindigkeitsmesswerts herangezogen werden. Diese nachträgliche Plausibilisierung darf aber nicht überbewertet werden, denn die Hilfsgrößen bzw. eine Auswertung der Hilfswerte und die damit verbundenen Fehlereinflüsse wurden einerseits nicht im Rahmen der Bauartzulassung geprüft und bewertet
Selbst bei gültigen Messungen ist es denkbar, dass der mittels Rohdaten bestimmte Geschwindigkeitsmesswert mehr als die Verkehrsfehlergrenzen vom geeichten Geschwindigkeitswert abweicht.
Wie ausgeführt, tragen diese Rohdaten zur Messwertbildung bei ( entgegen der Bauartzulassung).
Abschnitt 11 zu EO 18 – 11 limitiert die Verkehrsfehlergrenzen.§ 37 Abs. 2 MessEG führt § 13 Abs. 1 EO fort, Danach endet die Eichfrist unbeschadet der Ursache und Häufigkeit der Nichteinhaltung der Verkehrsfehlergrenzen.
Solange die PTB die im Raum stehenden Fragen nicht hinreichend beantwortet, ist dem Gericht eine Entscheidung nicht möglich.“
Schauen wir mal, wie es weitergeht.
Aber anstatt auf eine Stellungnahme der PTB hinzuwirken, auf das eine Entscheidung möglich wird, wird das Verfahren eingestellt und damit die Sache somit dem Zugriff der Staatsanwaltschaft und der (aufhebenden) Entscheidung des Oberlandesgerichts entzogen. Bedenklich. Es bleibt zu hoffen, das eine solche Entscheidung nicht Schule macht.
Vielleicht war der Kollege es auch einfach nur leid…..
Ich verstehe es auch nicht, wie man hier den § 47 II ziehen kann, NACHDEM man offenbar schon einen Sachverständigen und einen sachverständigen Zeugen des Geräteherstellers bemüht hat. Vorher wäre es eher sinnvoll, mit der Begründung, dass der vorgeworfene Verstoß nicht so schwerwiegend ist und der Beweisaufwand außer Verhältnis zum Ahndungsinteresse steht, aber nachdem der Aufwand schon betrieben wurde ist es einfach nur inkonsequent und letztlich eine willkürliche Beschneidung des Rechtswegs (wenn auch ausnahmsweise eine zu Gunsten des Betroffenen), die eine Klärung durch das OLG verhindert.
Wenn man die Zulassung als antizipiertes Sachverständigengutachten im Sinne des sog. „Standardisierten Messverfahrens“ i. d. R. zu Ungusten ansieht, kann man den Beschluss des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 24.10.2014 – 2 (7) SsBs 454/14 – AK 138/14) http://www.verkehrslexikon.de/Texte/Rspr6922.php hier umgekehrt als antizipierten OLG-Beschluss in obiger Sache sehen. Wenn einmal die Zusatzdaten nicht gegen die Verwertbarkeit sprechen, weil sie den Messwert bestätigen, muss das im umgekehrten Fall doch gegen die Verwertbarkeit sprechen. Die OLG-Entscheidung ist somit obsolet. 😉
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Das AG Friedberg (Urteil v. 22.11.2016 – 45 a OWi-103 Js 26581, zfs 2017,112) hat in Ansehung der Entscheidung des AG Mannheim und der inzwischen erfolgten Stellungnahme der PTB keine Veranlassung gesehen, die Anwendung der Grundsätze zum standartisierten Messverfahren in Frage zu ziehen.
Begründung:
„Denn Die Speicherung von Zusatzdaten ist gerade nicht Gegenstand der Zulassung der PTB und der Eichung, sondern diese Zusatzdaten sollen dazu dienen, dem einzelnen eine Nachberechnung des gemessenen Wertes (Plausibilitätsprüfung) zu ermöglichen.
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