Eine Frage, die in der Praxis immer wieder eine – für die Betroffenen – erhebliche Rolle spielt und die nicht unumstritten ist, entscheidet (noch einmal) der schon etwas ältere OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13.07.2015 – 1 Ws 114/15. Es ist die Frage nach der Zulässigkeit der sog. Abstinenzweisung bei einem langjährig und manifest suchtkranken Verurteilten (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB). Zulässig oder unzulässig, weil es sich um einen unzumutbaren Eingriff in die Lebensführung des Verurteilten handelt. Das OLG geht davon aus:
„a) Mit der durch das am 18. April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung (BGBl. I, S. 531) neu in den nach 145a StGB strafbewehrten Katalog der Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB eingefügten Möglichkeit einer „Abstinenzweisung“ gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass der Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln in vielen Fällen einen zentralen Risikofaktor für eine gelungene Resozialisierung darstellt, weshalb es „für einen rückfallfreien Verlauf“ vielfach entscheidend darauf ankomme, Tendenzen des Abgleitens in einen erheblichen Suchtmittelmissbrauch frühzeitig zu erkennen und ihnen zu begegnen (vgl. BT-Drucks. 16/1993, S. 19). Als Weisungsadressaten kommen daher vor allem im Straf- oder Maßregelvollzug erfolgreich behandelte alkohol- oder drogensüchtige Straftäter in Frage, denen die Weisung dazu dienen soll, in der Zeit nach ihrer Entlassung die erforderliche Abstinenz gegen Rückfälle abzusichern (vgl. Schneider, NStZ 2007, 441, 443; Fischer, aaO., § 68b Rn. 12; OLG Hamm, Beschl. vom 10.01.2013 – 5 Ws 358/12 und 5 Ws 359/12, Rn. 39 nach juris).
b) Gegenüber einem – wie hier – langjährig und manifest suchtkranken Verurteilten, der bislang nicht oder nicht erfolgreich behandelt werden konnte, scheidet eine Weisung nach 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB hingegen nach vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung aus, da sie an die Lebensführung des Verurteilten unzumutbare Anforderungen stellen würde (vgl. OLG Dresden NJW 2009, 3315, 331; OLG Celle NStZ-RR 2010, 91 f. – Rn. 6 ff. nach juris; Schneider, aaO.; Fischer, aaO., § 68b Rn. 12, 12b; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, aaO.; LKSchneider/StGB, 12. Aufl., § 68b Rn. 36; a. A.: OLG Köln NStZ.RR 2011, 62 f. – Rn. 10 ff. nach juris; OLG Rostock NStZ-RR 2012, 222 f. – Rn. 15 ff. nach juris; differenzierend: OLG Hamm, aaO., das auf die Umstände des Einzelfalls abstellen will; OLG München NStZ-RR 2012, 324 f. – Rn. 12 nach juris, das eine Abstinenzweisung bei Unfähigkeit zur Ab-stinenz für unzumutbar hält, Abstinenzfähigkeit aber bei einem Heroinabhängigen bejaht, der im Strafvollzug abstinent war und hierzu auch „in einer geschützten Umgebung bei lebensbegleitender Therapie“ in der Lage wäre; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.06.2014 – 3 Ss 76/14, Rn. 3 nach juris). Denn von ihm würde ein Verhalten – nämlich Suchtmittelfreiheit – verlangt, zu dem er bedingt durch seine Suchterkrankung von vornherein nicht in der Lage ist. Weder während seiner neun Tage andauernden therapeutischen Behandlung im Rahmen der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG im Dezember 2013 noch im anschließenden Strafvollzug ist es dem Verurteilten gelungen, drogenfrei zu leben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er, da lediglich eine erfolgreich absolvierte stationäre Drogentherapie eine realistische Chance auf eine Heilung von der langjährigen Drogensucht böte, auch nunmehr in Freiheit abermals Betäubungsmittel (insbesondere Heroin und Kokain) konsumieren. Ein nach § 145a StGB mit Strafe bedrohter Weisungsverstoß wäre daher vorprogrammiert. Entsprechend dem Zweck der Führungsaufsicht, gefährliche oder rückfallgefährdete Straftäter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von künftigen Straftaten abzuhalten (vgl. OLG Celle, aaO., Rn. 8 nach juris; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, aaO., § 68 Rn. 3; Fischer, aaO., Vor § 68 Rn. 2; LK-Schneider, aaO., Vor § 68 Rn. 3), sollen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht dazu dienen, den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten oder die insoweit bestehende Gefahr zumindest zu verringern (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, aaO., § 68b Rn. 1; Fischer, aaO., § 68b Rn. 2). Durch eine Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB gegenüber einem langjährig und manifest Drogenabhängigen würde dieser Zweck geradezu in sein Gegenteil verkehrt, indem bereits ein ansonsten straffreier bloßer Konsum von Drogen unter Strafe gestellt wird. Die von dem Verurteilten im Rahmen seiner Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer erklärte Überlegung, „ins Substitutionsprogramm zu gehen“, ändert hieran nichts, sondern bestätigt gerade das Fortbestehen der Suchterkrankung.
c) Die Argumente der Gegenauffassung geben dem Senat keine Veranlassung für eine hiervon abweichende Beurteilung…….“
Logisch. Ich kann nicht per ordre de mufti einem Kranken vorschreiben, einfach nicht mehr Krank zu sein. Strukturell wäre so eine Weisung das gleiche wie zu verlangen, keine Metastasen mehr zu haben.
Und bevor jetzt hier die Empörung losbricht: Ich stehe einer allzu schnellen Entschuldigung einer Sucht als bloße (schicksalsgegebene) Krankheit auch kritisch gegenüber. Aber darum geht es nicht. Wenn die Entscheidung, eh ist eine Krankheit, dann muss die Auflage auch dementsprechend aussehen.