Vor ein paar Tagen hatte ich ja gemeckert bzw. „knallige“ BGH-Entscheidungen zum Beweisantragsrecht vermisst, und zwar mit der Vorstellung des BGH, Beschl. v. 30.07.2015 – 4 StR 199/15 – und des BGH, Beschl. v. 09.07.2015 – 1 StR 141/15 (vgl. dazu Die Glaubwürdigkeit der Zeugin – ist nicht bedeutungslos) , und gleich haben wir eine Entscheidung. Zwar auch keinen „Knaller“, aber immerhin von Interesse im Hinblick auf einen Sachverständigenbeweisantrag, der in einem Verfahren, das u.a. auch einen Mordvorwurf zum Gegenstand hatte, gestellt worden war. In dem Beweisantrag ging es um ein kriminaltechnisches Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion von Geschehensabläufen und Tatgeschehen. Das Landgericht hatte den Antrag gem. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Einholung eines kriminaltechnischen Sachverständigengutachten sei für den Beweis der behaupteten Tatsache völlig ungeeignet; die objektiv feststehenden Parameter, wie etwa insbesondere Körpergröße und Körpergewicht des Angeklagten sowie des Opfers, Maße und Beschaffenheit des Tatmessers, die im Rahmen der Obduktion des Leichnams erhobenen Befunde zur Stichverletzung, zum Verlauf und zur Tiefe des Stichkanals sowie zur Beschaffenheit der Eintrittswunde, weiterhin die in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der Wohnung des An-geklagten, insbesondere des Wohnungsflurs sowie einer Planskizze des Flurs, aus denen sich dessen Größe, die Lage der Türen und der vorgefundenen Blutspuren ergeben, stellten keine ausreichende Grundlage für eine Rekonstruktion des Tathergangs dar und ließen keinen „sicheren Rückschluss“ zu.
Der BGH sieht es im BGH, Urt. v. 09.07.2015 – 3 StR 516/14 – anders. Nach – lesens- und beachtenswerten 🙂 Ausführungen zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge nimmt er dann auch zu den „materiellen“ Fragen der Rüge Stellung, und zwar:
Es handelt sich um einen Beweisantrag:
„Daran gemessen stellt das Beweisbegehren des Beschwerdeführers einen Beweisantrag dar: Zwar erweckt die Antragsformel für sich genommen den Anschein, der Nebenkläger behaupte lediglich ein – von ihm noch dazu negativ formuliertes – Beweisziel. Aus der folgenden Begründung ergibt sich jedoch mit ausreichender Deutlichkeit, was er durch das Sachverständigengutachten tat-sächlich zu belegen trachtet, nämlich dass nach wissenschaftlichen Erfahrungssätzen der auf der Grundlage der vorhandenen Beweise und Spuren fest-zustellende Tathergang nicht mit den Angaben des Angeklagten zum Ablauf der Tat zu vereinbaren ist. Hierzu ist zum einen die (schriftlich vorbereitete) „geschlossene Verteidigererklärung“ mit der Einlassung des Angeklagten in die Antragsbegründung eingestellt, zum anderen werden aber auch beispielhaft die – den Akten entnehmbaren – Parameter (Rauminhalt, Quadratmeterzahl, Blut-anhaftungen, Stichkanal etc.) aufgelistet, anhand derer nach kriminaltechnischem Erfahrungswissen der Beleg zu führen sei, dass die Beschaffenheit des Tatortes, das Spuren- und Verletzungsbild sowie die weiteren objektivierbaren Tatumstände die Tatschilderung des Angeklagten widerlegen; es werden damit umfangreich Anknüpfungstatsachen benannt, auf die das Gutachten aufbauen soll. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass es sich bei dem Beweisbegehren weder um einen bloßen Aufklärungsantrag handelt, der darauf gerichtet ist, durch Versuche oder Rekonstruktion der Tat hypothetisch mögliche andere Tatabläufe zu ermitteln (vgl. dazu LR/Becker aaO, § 244 Rn. 171 ff. mwN), noch dass der Nebenkläger die allein dem Gericht obliegende abschließende Würdigung des Beweisergebnisses durch die Bewertung des Sachverständigen ersetzt wissen will. Deshalb unterscheidet sich das Beweisthema im vorliegenden Fall entscheidend von dem eines Antrags, der begehrt, lediglich die Ergeb-nisse eines operativen Fallanalysegutachtens in die Hauptverhandlung einzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2006 – 3 StR 77/06, NStZ 2006, 712). Somit ist der Anwendungsbereich des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO eröffnet.“
Und: Das Beweismittel ist nicht völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
„…Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht aber schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können. Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächlichen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des Freibeweises – etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen – klären (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345 mwN).“