Ich erinnere: Das AG Schleiden hatte mit dem AG Schleiden, Beschl. v. 13.07.2012 – 13 OWi 92/12 (b) – die Einsicht in einen Messfilm bzw. die Messdatei gewährt, nachdem die Verwaltungsbehörde das abgelehnt hatte. Der Kreis Euskirchen hatte daraufhin die Datei zur Verfügung gestellt, allerdings in einem nicht mit gängigen Windows-Programmen lesbaren Zustand. Insoweit hatte es den Verteidiger letztlich an den Hersteller des Messgerätes, die Fa. Jenoptik, verwiesen. Die hatte der Verteidiger angeschrieben (vgl. hier). Sie hat nun geantwortet, und zwar wie folgt:
Sehr geehrter Herr Rößler,
wir beziehen uns auf Ihr Schreiben vom 10.8.2012 und können von hieraus nicht nachvollziehen, weshalb Ihnen seitens des Kreises Euskirchen eine komplette Messsequenz mit allen Bild- und Messinformationen zur Verfügung gestellt wurde. Schließlich enthalten die Daten auch schutzwürdige Messinformationen anderer Verkehrsteilnehmer.
Dementsprechend dürfen wir schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht bereit sein, Ihnen durch Überlassung unseres BiffProcess-Programms die Möglichkeit zu eröffnen, die offensichtlich vorliegenden Daten bzw. deren Integrität zu prüfen bzw. einzelne Vorgänge zu visualisieren.
Unseres Erachtens hätte es genügt, Ihnen einen JPG-Ausdruck des konkreten Falls zu überlassen.
Wenn Sie bzw. Ihre Mandantin bzw. Ihr Mandant dann noch Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses hätten, könnte dieses im Gerichtsverfahren zum Ausdruck gebracht werden und das Gericht hätte die Möglichkeit, durch die Beauftragung eines vereidigten Verkehrssachverständigen eine Einzelfallprüfung zu veranlassen.
Insofern, und das bitten wir zu verstehen, sehen wir uns als Gerätehersteller beim besten Willen nicht in der Lage, Ihrem Wunsch nach Überlassung des von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, Braunschweig, zugelassenen Verifikations- und Visualisierungsprogramms BiffProcess zu entsprechen.
Wenn vereidigte Sachverständige von einem Gericht mit der Vorgangsprüfung beauftragt wurden und noch nicht über das BiffProcess-Programm verfügen, können diese das Softwaremodul gewissermaßen als Sachverständigenwerkzeug für einen Betrag in Höhe von € 2.150,00 zuz. MWST. käuflich bei uns erwerben.
M.E. – gelinde ausgedrückt – bemerkenswert. Denn ist ist nicht Aufgabe des Herstellers, etwas nachzuvollziehen, oder Verfahrenshinweise zu geben bzw. die Entscheidung des AG über den Umfang der Akteneinsicht zu bewerten. Zudem: Der Hersteller als Datenschützer? Auch der Ton des Schreibens ist schon interessant. Mit ihm wird letztlich der Beschluss des AG Schleiden auf „kaltem Wege“ unterlaufen, und zwar auch vom Kreis, wenn er das so hinnimmt. Denn was nutzt eine Datei, wenn ich sie nicht lesen kann.
Was tun: Der Verteidiger hat m.E. keine andere Möglichkeit (mehr), als mit einem weiteren Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu versuchen, an eine lesbare Version der Dateien zu kommen, wenn der Kreis das nicht noch freiwillig sicher stellt. Aber der wird sich im Zweifel hinter dem Hersteller verstecken. Eine unheilige Allianz???
Das Schreiben von Jenoptik geht im Übrigen in die Richtung, die das AG Landstuhl vor einiger Zeit nicht hingenommen und einen Betroffenen frei gesprochen hatte (vgl. hier).
Das war aber doch von vorneherein klar. Jenoptik verkauft diese Anlagen damit die Gemeinden Geld verdienen – daran wird Jenoptik sicher nichts ändern wollen.
In solchen Fällen konsequent auf Freispruch zu erkennen ist die beste Methode dieser
Verhaltensweise Einhalt zu gebieten. Insoweit halte ich das Urteil des AG Landstuhl
für Bahnbrechend.
Ich nehme an, dass Jenoptik einen Datenschutzbeauftragten und/oder aber eine Rechtsabteilung hat, die sich zur Frage der Teilnahme an einer OWi nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG Gedanken gemacht haben könnten, soweit es um die Daten anderer Verkehrsteilnehmer geht. Und dass Jenoptik Hinweise gibt, wie (vielleicht ja schon in der Vergangenheit geschehen) man die Problematik lösen kann, kann man als „nicht zu den Aufgaben gehörend“ ansehen (welche Aufgabe hat Jenoptik denn, wenn ein Anwalt sich an das Unternehmen wendet?) oder aber auch als hilfreichen Lösungsvorschlag.
Das AG kann im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung selbst einen Sachverständigen beauftragen, statt es sich mit etwas verqueren Ausführungen zur Unschuldsvermutung einfach zu machen.
@ meine5cent: damit entscheidet also Jenoptik über die Akteneinsicht?
„als hilfreichen Lösungsvorschlag“ – Das Ganze ist nichts anderes als abwiegeln. Und: die „verqueren Ausführungen zur Unschuldsvermutung“ – das kann man auch anders sehen.
Kann das Gericht dann auch Jenoptik direkt verpflichten sich um die Angelegenheit zu kümmern? Oder muss man sich wieder mit dem Umweg über die Behörde begnügen?
Es ist doch überhaupt fraglich, warum die Stadt die Datei nicht sofort in einem lesbaren Format übersendet.
Ist das selbe wie wenn ich einem einen Tresor schicke und sage: Nö! Aufmachen musste Ihn alleine! Von Schlüssel war doch nicht die Rede… Sie wollten einen Tresor, nicht einen Tresor mit Schlüsseln…
Nein, Jenoptik entscheidet gar nichts. Sondern die Verwaltungsbehörde, indem sie entweder selber die Software anschafft, um die Aufzeichnung in ein verbreiteteres Dateiformat umwandeln zu können. Oder das Gericht, das einen Sachverständigen beauftragt.
Eine Verpflichtung eines privaten Unternehmens, für ein OWi-Verfahren Software (ggf. kostenfrei) bereitzustellen oder aber eine Videoaufzeichnung in ein anderes Format zu überführen, sehe ich nicht (es sei denn, die Verwaltungsbehörde nimmt entsprechende Klauseln in ihre Verträge mit Jenoptik auf) und da die Mitarbeiter von Jenoptik nicht unter § 75 StPO fallen dürften, scheidet die Lösung, einen von ihnen als Sachverständigen zu beauftragen, wohl aus.
Wo soll das denn Ihrer Meinung nach enden?
Hat der Verteidiger dann in einem Strafverfahren, in dem es um genetisches Material als Beweismittel geht, einen Anspruch auf kostenfreie Zurverfügungstellung der gesamten technischen Ausrüstung, derer es bedarf, um die LKA-Analyse vorprozessual nachzuvollziehen??
M.E. ist die ganze Richtung falsch. Sowas muss gegebenenfalls in der HV sachverständig geklärt werden, nicht aber folgt aus rechtsstaatlichen Grundsätzen die Notwendigkeit, alle Beweise durch die Verteidigung vorprozessual überprüfen lassen zu können.
Der Verteidiger hat auch die Möglichkeit, einen Sachverständigen, der über die Software verfügt, vorprozessual zu beauftragen. Wo ist das Problem?
Das Schreiben ist schon in sich widersprüchlich, denn einerseits wird auf den Datenschutz verwiesen und andererseits, dass ein gerichtlich beeideter Sachverständiger die Software käuflich erwerben und somit die Daten auswerten kann.
Mir erschließt sich nicht, warum ein RA, als Organ der Rechtspflege, weniger vertrauenswürdig im Umgang mit sensiblen Daten sein soll, als ein Sachverständiger.
Man kann nur hoffen, dass immer mehr Gerichte ein solches Verhalten nicht weiter dulden.
Insbesondere da einer der fundamentalen Grundsätze der Messtechnik ist, dass die jeweilige Messung nachvollzogen werden kann, was angesichts dieser Geheimniskrämerei wohl nicht gegeben ist.
Schön wäre jetzt doch ein Beweisantrag, den Verfasser des Schreibens zu laden, damit er seine Ausführungen schön in einer Verhandlung erörtern kann. (mal sehen wie oft er kommen will). Spaß bei Seite. Bei diesem Verfahrensstand kann wohl keiner der Beteiligten ohne das Programm den Meßvorgang nachvollziehen. Im Falle der Beauftragung eines SV drohen KOsten von mindestens 2100 €, da er wohl versuchen wird die Softwarekosten umzulegen. Da wohl hier die weitere Ermittlung in keinem Verhältnis zum Tatvorwurf steht, kann doch m. E. nur noch eingestellt werden. Oder?
@Messtekki
Das Schreiben ist mE nicht widersprüchlich.
1. Jenoptik weigert sich, als privates Unternehmen auf Anfrage des Verteidigers ihm den Film in ein sonstiges Dateiformat umzuwandeln (was genau in dem Schreiben des Anwalts stand ist leider nicht veröffentlicht , ich vermute aber schwer, dass er nicht die Software bestellt hat), weil der Verteidiger über den gesamten Messfilm mit Daten anderer Verkehrsteilnehmer verfügt. Da kann man durchaus der Meinung sein, dass es datenschutzrechtlich relevant ist, wenn Jenoptik einem Anwalt durch Konvertieren ermöglicht, auch Daten dieser Verkehrsteilnehmer einzusehen.
Es handelt sich der Sache nach um die Anfrage eines Privaten an ein nicht verfahrensbeteiligtes Unternehmen, das auf solche anwaltliche Anfragen hin gesetzlich nicht zu irgendeiner Mitwirkungshandlung verpflichtet ist, wobei man allenfalls über einen Kontrahierungszwang nachdenken könnte, wenn der Anwalt denn tatsächlich die Software kaufen möchte.
2. Wenn andererseits wie von Jenoptik aufgezeigt das Gericht einen Sachverständigen beauftragt – der sich dagegen ggf. auch nicht wehren kann,wenn er öffentlich bestellt und vereidigt ist, § 75 StPO – dann ist das etwas deutlich anderes. Der hat einen gerichtlichen Auftrag, ihm wird vom Gericht die Videoaufzeichnung zum Zweck der Erfüllung dieses Auftrags zur Verfügung gestellt und er kann sie dann mit den ihm zur Verfügung stehenden bzw. von ihm zu beschaffenden Arbeitsmitteln auswerten. Ob man, wie in Herrn Burhoffs oben verlinktem Aufsatz einen Zeugen von Jenoptik aufgeben kann, die Messdaten zu erläutern, halte ich für etwas problematisch. Denn dem Zeugen müsste man erst einmal aufgeben (auf welcher Grundlage?), sich den Messfilm mit Hilfe der Software anzusehen (vor der Verhandlung?) bzw. ein Notebook mit biffProcess. zur Hauptverhandlung mitzubringen und den Film anzusehen. Ob es solche aktive Mitwirkungspflichten eines Zeugen dahingehend gibt, selbst die notwendigen Arbeitsmittel mitzubringen, um ein Augenscheinsobjekt überhaupt erst ansehen und ggf. als sachverständiger Zeuge erläutern zu können? Kann man diskutieren.
€meine5cent
Die Ladung des Zeugen war von schaffy wohl mehr als diszipilarische Massnahme gedacht.
Der Zeuge muss zwar erscheinen, kann aber natürlich sagen: Ich habe den Film nicht gesehen und weis daher nix. Gibt 3 Geld 80 Entschädigung für eine Tagesreise 🙂 .
Nach der 3. Ladung wird er sich überlegen ob er auf Schreiben von Anwälten überhaupt noch reagiert; dann könnte man stattdessen den Geschäftsführer von Jenoptik laden.
Das würde der Firma den Spass verderben – allerdings auch die Kosten der Betroffenen um einiges anheben. Schon daher glaube ich nicht daran daß das viele so umsetzen …
jpg mit allen seinen artefakten? das problem ist dass jenoptik ja auf der breiten masse mitschwimmt. ein standardisiertes messverfahren dürfte niemals eines sein, dessen spezifikationen, benutzungshinweisen, software, bekannte fehlerquellen etc. geheim sind. zack problem gelöst. dann hätte nur die kämmerer ein paar problemchen mehr 😉
@ Gast:
100% Zustimmung.
In seiner Zeit als RiOLG hat der Herr Blogverfasser die Bodenhaftung offensichtlich etwas verloren. Vielleicht sollte er sich schlicht und einfach mal wieder in eine amtsgerichtliche OWi-Verhandlung reinsetzen und die Konsequenzen dieses völlig überspitzten Messfilm- und Bedienungsanleitungs-Gedusels betrachten.
Es rührt mich zutiefst, dass Sie sich Gedanken um meine Bodenhaftung machen. Keine Angst: Sie war und ist da.
@EKD
Ich habe den Eindruck, daß der Blogverfasser sowohl über die erforderliche Bodenhaftung wie auch die Kenntnisse verfügt um beurteilen zu können ob an Amtsgerichten korrekt gearbeitet wird. Das hat er nachhaltig bewiesen.
Wenn Ihnen die Regelungen eines Rechtsstaates nicht angenehm sind – das ist wohl der Anlass für Ihr Posting – stellen Sie doch einen Asylantrag in Nordkorea 🙂
@ EKD: Ein vollständiges Akteneinsichtsrecht als „völlig überspitzten Messfilm- und Bedienungsanleitungs-Gedusel“ zu bezeichnen bedarf schon einer hartnäckigen Uneinsichtigkeit und Verbohrtheit. Mich erinnert das an die Phrasen manches (Amts-)Richters, der einen hartnäckig schweigenden bzw. leugnenden Angeklagten, „Uneinsichtigkeit“ vorwirft. Könnte es sein, dass sich hier ein Amtsrichter bemüht, eine ihm unangenehme und lästige Ausprägung unserer Rechtsordnung, nämlich den Anspruch auf ein faires Verfahren und eine VOLLSTÄNDIGE Akteneinsicht, abzuqualifzieren, da sie ihm Mehrarbeit und einen erhöhten Begründungsaufwand liefern könnte? Vielleicht sollten Sie sich als Verfasser dieses Kommentares einmal die Mühe machen, für geraume Zeit in die Position eines Verteidigers zu begeben, um einmal das Bußgeldverfahren aus der entgegengesetzten Richtung zu „erleben“. Das würde sicher manchen Amtsrichter vom richterlichen Olymp zurückbringen!