„Der Verurteilte wurde gehört, aber nicht erhört:“ Will der 1. Strafsenat des BGH sich damit lustig machen?

In der Mailingliste der ARGE Strafrecht weist gerade ein Kollege auf den BGH, Beschl. v. 19.01.2011 – 1 StR 571/11, der heute auf der HP des BGH eingestellt worden ist, hin (ich hatte die Veröffentlichungen noch nicht ausgewertet). Den Hinweis greife ich dann gleich mal auf. In der Sache:

Es geht um eine Anhörungsrüge, die der 1. Strafsenat des BGH zurückgewiesen hat. So weit, so gut. Nur: Der Beschlusstext, mit dem hat der Kollege Probleme, und m.E. zu Recht. Dort heißt es:

„Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Senat hat bei seiner Revisionsentscheidung weder Verfahrensstoff noch Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Angeklagte zuvor nicht gehört worden ist. Auch wurde zu berücksichtigendes Vorbringen nicht übergangen noch in sonstiger Weise der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör verletzt. Der Verurteilte wurde gehört, aber nicht erhört.“

Der Kollege fragt m.E. zutreffend, ob er zu empfindlich sei? M.E. nein, denn das „klingt [schon] das nach einem (leicht?) überhöhten Senat, der sich lustig macht“. Oder bin ich auch zu empfindlich? Jedenfalls eine „unschöne“ Formulierung des 1. Strafsenats des BGH. So etwas muss nicht sein.

22 Gedanken zu „„Der Verurteilte wurde gehört, aber nicht erhört:“ Will der 1. Strafsenat des BGH sich damit lustig machen?

  1. meine5cent

    Duden online:
    erhören
    schwaches Verb – 1a. jemandem Erbetenes gewähren; 1b. einer Werbung nachgeben; 2. anhören und aushalten

    Von lustig machen mE keine Spur, die Wortbedeutung 1a trifft es.
    „Sein Vorbringen wurde zur Kenntnis genommen und sorgfältig geprüft, es führt aber zu keiner abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage, so dass im Ergebnis der Rüge der Erfolg versagt bleibt“
    wäre länger und würde dasselbe besagen. Ist mE auch mal schön, dass ein Gericht knapp und klar und nicht in Schwurbelsätzen formuliert.

  2. Dr. Klaus Malek

    LiKo,
    ich glaube, für den 1. Senat stellt das „gehört, aber nicht erhört“ einen terminus technicus dar, i.S.v zur Kenntnis genommen, aber bei der Entscheidung nicht berücksichtigt. Siehe auch Entscheidung vom 20.12.2011 – 1 StR 354/11 -.
    MfkG
    Klaus Malek

  3. RA Müller

    Das Gericht hat sich hier sicherlich etwas pointiert ausgedrückt. Ich habe indes nicht den Eindruck, daß das Gericht sich über den Betroffenen lustig macht.

  4. meine5cent

    @ Herr Burhoff:
    Man kann auch erst einmal etwas hineininterpretieren und dann Gegenargumente als Gesundbeten bezeichnen ;).

  5. Sascha Petzoldf

    @meine5cent
    Ihre Interpretation, dass der 1. senat das Gehört sorgfältig geprüft hat kann man statistisch ausschließen. Über den Vorwurf sorgfältiger Arbeit ist der 1. Senat erhaben. Wann soll das auch geschehen bei all den Nebentätigkeiten des Herrn Nack.
    Sascha Petzold

  6. Burschi

    Der (Merk-)Spruch, dass Art. 103 I GG einen Anspruch darauf gewähre, gehört zu werden, aber nicht darauf, erhört zu werden, ist ein prozessrechtlicher Vorlesungsklassiker mit ellenlangem Bart. Er findet sich deshalb von jeher auch immer wieder in Lehrbüchern und Gerichtsentscheidungen. Sie sind vermutlich die ersten, die sich daran stören.

  7. Detlef Burhoff

    Ob es ein „prozessrechtlicher Vorlesungsklassiker“ ein merkspruch oder sonst etwas ist, ist immer noch etwas anderes, als wenn ein solcher Spruch in einem BGH-Beschluss steht. Ich denke in zivilrechtlichen Entscheidungen taucht ja auch nicht auf: Und ist das Kindlein noch so klein……

  8. Burschi

    Wenn das in zivilrechtlichen BGH-Entscheidungen nicht auftaucht, dann deshalb, weil die Singularzulassung beim BGH hier dafür sorgt, dass man den Prozessbevollmächtigten sowas nicht ins Stammbuch zu schreiben braucht. Wenn, wie im Strafprozess, jeder dahergelaufene Anwalt Revision zum BGH einlegen darf, ist das anders (und führt nicht nur zu hohen Beschlussverwerfungsquoten, sondern eben auch zu Merksprüchen im BGH-Urteil).

  9. Burschi

    Es glaubt Ihnen doch keiner, dass Sie das nicht ebenfalls denken.

    Und als einen der ihren werden die Sie sowieso nie akzeptieren. Da sollten Sie doch lieber die Selbstachtung aufbringen, mit der Anbiederei aufzuhören.

  10. Sascha Petzold

    Es zeigt sich wie im echten Leben ein deutlich wahrnehmbares Niveaugefälle zwischen anwaltlichen und richterlichen Kommentaren. Vielleicht mag es daran liegen, dass die mutigen Richter nicht einmal den Mum haben, ihre Klarnamen zu nennen.
    Zum juristischen Niveauvergleich sollte man mal Statistiken erheben oder vergleichen über die Fortbildungsbereitschaft, insbesondere auch am Abend und am Wochenende. Eine solche gibt es meines Wissen bei Richtern nicht.
    Zum rechtlichen Gehör haben das BVerfG und andere Kenner der Juristerei eine deutlich andere Meinung als der BGH, der davon ausgeht, dass es ausreicht die Revisionsbegründung entgegen zu nehmen. Das Revisionsvorbringen muss aber auch im Wesentlichen beachtet werden. Dies tut der 1. Senat nicht (vgl. Revisionsstatistiken). Dass er dann, bei wahrscheinlich offensichtlichen Verstoß gegen einen Verfassungsgrundsatz auch noch pampig wird, zeigt eine erschreckende Ferne zur Professionalität, eine unerträgliche Arroganz der Macht und wohl auch nicht mehr behebbare Erziehungsdefizite.
    Ein Kollege berichtete mir von einem Frühjahrstreffen in Karlsruhe. Beim gemütlichen Teil am Abend mit reichlich Alkohol äußerte eine BGH-Richter angeblich: „Ja wenn wir alle Urteile aufheben würden, nur weil sie falsch sind …“
    Lieber Rechtsstaat – Gute Nacht
    Sascha Petzold
    (So schaut eine Name aus, liebe Burschi’s, meine 5cent’s und alle die anderen Inkognito-Richter)

  11. RA Kehl

    Herr Kollege Petzold, Sie sind ganz schön frustriert. Aber nicht in allen Fällen, wo man keinen Erfolg hat, muss es an den anderen liegen. Ich für meinen Teil bin mit dem BGH zufrieden (jedenfalls mit meinem Stammsenat).

  12. Sascha Petzold

    Sehr geehrter Herr Kehl,
    sicherlich haben Sie Recht. Meines Wissens hat der 1. Senat 1/10 der Aufhebungsquote der übrigen Senate. Ich glaube es liegt nicht an der frappierend schlechteren Qualität der Bayerischen Rechtsanwälte.
    Und es bleibt natürlich dabei. Der Erfindungsreichtum des BGH zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen finden keine Stütze im Gesetz und sind nur der Arbeitsvermeidung geschuldet.

  13. Claudio Helling

    Ich bin einer der „dahergelaufenen Rechtsanwälte“ und egal ob Merkspruch oder Uraltwitz: Vom 1. Strafsenat, der ja so unglaublich viel auf sich hält, darf man erwarten, dass er sich derlei Formulierungen in Beschlüssen verkneift. Selbst dann, wenn es nicht bewusst arrogant gemeint gewesen sein sollte, irritiert das den Betroffenen und vermittelt ihm den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden (erst recht dann, wenn er als Laie irgendwelche Juristensprüche nicht kennt). Das sollte in jedem Fall vermieden werden, trägt es doch sicherlich nicht zur Akzeptanz der Rechtsprechung in der breiten Bevölkerung bei.

  14. meine5cent

    Sorry, Herr Petzold, wenn Sie jetzt meinen, ich sei Inkognito-Richter liegen Sie falsch.. Ich weiß auch nicht, wo Sie in meinem Beitrag das Niveau (s. „Niveaugefälle“) konkret vermissen. Ihr Beitrag von 18.09 Uhr zeigt aber, dass Sie außer herabsetzenden Äußerungen auch nicht gerade viel Niveauvoll-Argumentatives zu bieten haben.

    Herr Burhoff bietet die Möglichkeit, unter Pseudonym zu kommentieren. Es hat vielleicht jeder seine eigenen Gründe, anonym oder pseudonym zu posten, ohne alleine deshalb den Troll- oder Feigheitsvorwurf („Mumm“) zu verdienen. Gerade in der Anwaltschaft sollte doch das Verständnis für die Wahrnehmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und für Datenschutzfragen groß sein.

    Woher Sie Ihre Erkenntnisse zum Umfang der Nebentätigkeiten von Herrn Nack haben und zur Frage der Prüfungstiefe der BGH_Senate weiß ich nicht, ich weiß auch nicht, ob die Nebentätigkeiten Nacks umfangreicher sind als z.B. die von Herrn Fischer.
    Wenn Sie Recht hätten, müssten jedenfalls permanent BVerfG-Entscheidungen ergehen, mit denen Beschlüsse des 1. BGH-Strafsenats wegen Gehörsverletzung aufgehoben werden. So viele sind mir aber nicht bekannt. Im Übrigen gehört der von Ihnen so geschmähte Herr Nack zu denjenigen, die eine – von der Anwaltschaft geforderte – Aufzeichnung der Hauptverhandlung befürworten (vgl. NStZ 2011,310). Und wenn sich ein Revisionsrichter solche Aufzeichnungen ansehen möchte, spricht das mE nicht für mangelnden Arbeitseifer und Gehörsvermeidungsstrategien bei der Prüfung von Revisionen.
    Mummlos anonym
    meine5cent

    Offenbar haben Sie zudem Probleme mit dem Prozentrechnen oder eigenes Ausgangsmaterial aus mir unbekannten Quellen. Wenn Sie auf die statistischen Vergleiche von RA Ortega im De-legibus-Blog abstellen:
    5,7 % Erfolgsquote bei Entscheidung des 1. Senats im Beschlusswege gegenüber übrigem BGH_Senats.- Mittel von 15,9 sind nicht 1/10 der Aufhebungsquote, sondern nicht ganz 1/3.
    14,5 % Erfolgsquote Angeklagtenrevisionen insgesamt beim 1. Senat gegenüber 38,2 % bei den übrigen Senaten sind auch nicht 1/10, sondern nicht ganz 1/3.

  15. Marko Gregor

    Ich meine Herr Helling triffts. Die Formulierung ist zumindest ungeschickt. Entscheidend ist doch nicht, wie wir Juristen solche Dinge sehen und verstehen. Der „normale Mensch“ versteht sie nicht. Aber den (be)treffen die Entscheidungen. Ob solche Formulierungen damit dem Ansehen von Justiz und Rechtsstaat förderlich sind, wage ich zu bezweifeln. Sie zeugen m.E. davon, dass die Urheber solcher Formulierungen sich vom Rest der Bevölkerung etwas entfernt haben und sich wahrscheinlich einfach nicht vorstellen können, wie das ankommt. Sollte
    I.Ü zeigt die Diskussion mal wieder, dass uns allen ein wenig Gelassenheit gut tun würde.

    @Burschi: Weshalb wird Herr Burhoff nicht als einer der ihrigen – also der Anwaltschaft – akzeptiert? Woher wissen Sie das? Sind Sie Anwalt? Und wenn ja: Können Sie für alle Anwälte, alle Strafrechtler oder zumindest einen großen Teil derer sprechen?

  16. kj

    Dass der BGH sich als letzte Instanz über die, vielleicht auch schlechte Verteidigung des Anwalts, noch lustig macht, halte ich für asozial. Dahergelaufener Anwalt, inkognito Richter, Niveaugefälle Anwalt-Richter, das klingt auch wie Kindergarten.

  17. RpflNiedersachsen

    Ob der BGH sich lustig machen will weiß ich nicht, ich glaube es nicht. Allerdings habe ich solche Formulierungen schon öfter gelesen. In den Fällen ging es allerdings um „Querulanten und Nachtreter“, welche mit Beschwerden/Rügen jenseits aller Vernunft aufgewartet haben. Da wurde auch schon mal ein „Basta“ gesprochen.

    Liegt hier auch so ein Fall vor? Kann man m. E. nur orakeln, der Beschluss ist hierfür zu kurz, wer will kann bestimmt einen genervten Unterton reininterpretieren.

  18. wernerL

    die Formuliereung ist „unerhört“.Unerhört finde ich auch die Aufhebungsstatistik der BGH Senate -vor allem des 1. Senats und des Bundesverfassungsgerichts.(eine Wende zeichnet sich nun offenbar bei den letzten Entscheidungen des 2. und des 4. Strafsenates ab?) Es stellt sich die Frage,ob die entsprechenden Rechtmittelmöglichkeiten nur auf dem Papier bestehen, was in einem Rechtsstaat ebenfalls unerhört wäre.Hier ist die Standesvertreteung der Rechtsanwälte schon lange gefragt..

  19. N.N.

    @Petzold – die Qualität der Arbeit eines Senats anhand seiner Verwerfungsquote zu bemessen halte ich für eine sehr fundierte wissenschaftliche Herangehensweise, zumal Statistiken für sich genommen völlig nichtssagend sind. Genau so wenig lässt sich aus ihnen der betriebene Arbeitsaufwand herauslesen, mag auch die Herangehensweise des 1. Senats für den ein oder anderen frustrierend sein. Der Senat neigt ohnehin zu pointierter Ausdrucksweise

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